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Braune Flut: Der größte Algenteppich der Erde

Die Ozeane verändern sich. Ein Zeichen dafür könnte ein gigantischer Gürtel aus Braunalgen sein, der sich über 8000 Kilometer erstreckt und 2018 erstmals nachgewiesen wurde.
Algenteppich

Unter Seefahrern ist die Sargassosee gut bekannt, dieses Meeresgebiet zwischen Florida und Bermuda, in dem große Teppiche aus Braunalgen aus der Gattung Sargassum schwimmen. Doch dieses Phänomen hat sich in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet: Im Jahr 2018 reichte ein Gürtel aus treibendem Sargassum sogar von der Küste Westafrikas bis nach Brasilien und in die Karibik – eine noch nie registriertes Ausmaß, das ein Team um Mengqiu Wang von der University of South Florida in Tampa in »Science« beschreibt. Über 8850 Kilometer erstreckte sich dieses Braunalgenband im Atlantik, wobei die dichtesten Konzentrationen vor der nördlichen Küste Südamerikas und in der Karibik erreicht wurden. Der Inselstaat Barbados rief deswegen 2018 sogar den Notstand aus, weil die Strände unter den angelandeten Braunalgenmassen erstickten und die Pflanzen beim Verwesen stinkenden Schwefelwasserstoff freisetzten.

Dabei zeigen die Daten aus den letzten 19 Jahren der Wissenschaftler einen deutlichen Trend: Von der Jahrtausendwende bis 2010 traten keine ausgedehnten Braunalgenblüten im zentralen Atlantik und der Karibik auf. Nach 2011 kam es hingegen in jedem Jahr bis auf 2013 zu großen Teppichen, wobei das Ausmaß natürlich jährlich schwankte, 2018 aber seinen bisherigen Höhepunkt erreichte. Schätzungsweise trieben damals im Juni rund 20 Millionen Tonnen Sargassum im Ozean und bildeten den bislang größten Algenteppich der Erde. Auch in historischen Daten fanden sich keine vergleichbaren Braunalgenblüten.

Form und Dimension der Seetangansammlungen hängen laut Wang und Co zwar auch von natürlichen Faktoren wie Meeresströmungen ab. Doch die entscheidende Größe bildet der Nährstoffeintrag im Atlantik. Vor der westafrikanischen Küste spielt zum Beispiel der Aufstieg nährstoffreichen Tiefenwassers im Winter eine Rolle, um dort das Braunalgenwachstum zu fördern. Dadurch bilden sich erste Teppiche, die nach Westen driften. Im Frühling und Sommer treibt dann der Amazonas das Wachstum an. Große Flächen Amazoniens wurden in den letzten Jahrzehnten abgeholzt und in Viehweiden sowie Sojafelder umgewandelt, die intensiv gedüngt werden. Stickstoff- und Phosphorverbindungen werden vom Regen ausgewaschen und gelangen schließlich über den großen Strom ins Meer, die die Algenblüte regelrecht anheizen. Der Einsatz von Düngemitteln habe sich dabei ab 2010 intensiviert, so die Forscher, was die häufigeren und stärkeren Blüten nach 2011 ausgelöst habe. »Ab diesem Zeitpunkt muss sich die Chemie des Ozeans geändert haben, dass die Blüten völlig außer Kontrolle gerieten«, sagte der an der Studie beteiligte Wissenschaftler Chuanmin Hu in einer Mitteilung.

Sargassum am Strand | Die Braunalgenmassen werden auch Strände gespült wie hier bei Delray Beach im südlichen Florida. Sie bilden dann stinkende und verrottende Berge, die das Badeerlebnis schmälern.

Für Wang und Co bilden sie daher den neuen Normalfall. Die Staaten Südamerikas und der Karibik, aber auch Florida müssten in Zukunft regelmäßig mit dem Treibgut rechnen. Die Teppiche belasten dabei nicht nur den Tourismus, sondern können beim Absinken auch Korallenriffe und Seegraswiesen ersticken oder sogar komplette Todeszonen im Wasser schaffen: Ihr Abbau zehrt lebenswichtigen Sauerstoff auf. Eine Prognose, wo und wann die Braunalgen massenhaft auftreten, wollen die Forscher jedoch nicht abgeben. Dafür spielten zu viele andere Faktoren wie Meeresströmungen oder vorherrschende Winde eine Rolle, so Wang. Fällt beispielsweise der Auftrieb vor Westafrika zu schwach aus oder schüttet der Amazonas nach sehr intensiven Regenzeiten mehr Süßwasser ins Meer, fällt auch das Braunalgenwachstum schwächer aus.

In »gesunden« Mengen, wie dies vor 2011 ausschließlich der Fall war, fördern die Teppiche auf dem offenen Meer sogar das Leben: Sie dienen Fischen und Meeresschildkröten als Nahrung und Versteck, was wiederum Meeressäuger anlockt. Doch das ändert sich dramatisch, wenn sie in Ufernähe kommen.

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