Außerirdisches Leben: Der Grund für unsere Einsamkeit
"Wo sind sie?"
Die Frage stellte der berühmte Physiker Enrico Fermi 1950 auf dem Weg zum Mittagessen in Los Alamos, so wird berichtet.
"Sie", das sind die Außerirdischen.
In Anbetracht der unfassbaren Größe des Weltalls und dessen Alter von 13,8 Milliarden Jahren, wunderte sich Fermi, müsste doch längst einmal ein Außerirdischer aufgetaucht sein, um uns Erdlingen "Hello World!" zuzurufen. "Sie" müssten doch eigentlich in Massen im Universum unterwegs sein.
Dieser vermeintliche logische Widerspruch wird seither als Fermi-Paradoxon bezeichnet. Verschiedene Theorien versuchten es in den letzten Jahrzehnten aufzulösen. Und eine davon hat nun wissenschaftlichen Auftrieb bekommen.
Tsvi Piran von der Hebrew University in Jerusalem und Raul Jimenez von der Universität Barcelona, ihres Zeichens theoretische Astrophysiker, beschreiben in einem Aufsatz, wie stark Gammastrahlenausbrüche die Entwicklung von Leben im All bedrohen.
Unüberwindliche Herausforderungen
Nach ihren Berechnungen, die sie im September auf der Preprint-Plattform arXiv.org veröffentlicht haben und die demnächst in den Physical Review Letters erscheinen, treten diese ungeheuren Blitze elektromagnetischer Strahlung so häufig auf, dass sie die Entwicklung von komplexem Organismen vor beinah unüberwindliche Herausforderungen stellen.
So könnten die Blitze die Ozonschicht eines Planeten angreifen und zerstören und Lebensformen gefährlicher UV-Strahlung aussetzen. Die Entwicklung von höherer Intelligenz, jedenfalls solcher, wie wir sie auf der Erde kennen, wäre dadurch äußerst unwahrscheinlich.
Gammastrahlenausbrüche oder kurz Gammablitze sind mithin die energiereichsten Phänomene, die man bisher beobachtet hat. Sie wurden 1967 zufällig entdeckt, mit Satelliten, die eigentlich Hinweise auf geheime Atomwaffentests liefern sollten. Diese Satelliten spähten nach Gammastrahlung, einer kurzwelligen Form elektromagnetischer Wellen, die bei Kernprozessen entsteht. Doch statt der verborgenen Nukleartests stießen sie auf die zunächst noch völlig unerklärlichen Strahlungsausbrüche aus den Tiefen des Weltraums.
Anders als ihr Name vermuten lässt, enthalten Gammablitze ein weites Spektrum elektromagnetischer Strahlung. Ihre energiereichste Form schickt in ein paar Sekunden bis Minuten so viel Strahlung ins All, wie unsere Sonne während ihrer gesamten, mehrere Milliarden Jahre dauernden Existenz. Der stärkste je gemessene Ausbruch, verzeichnet im Jahr 2008 vom NASA-Satelliten Swift, war 2,5 Millionen Mal heller als die leuchtkräftigste Supernova, die bisher beobachtet wurde.
Hypernovae lösen die gefährlichsten Blitze aus
Lange rätselten Wissenschaftler darüber, welche Vorgänge so ungeheure Energiemengen freisetzen könnten. Und noch immer ist die Ursache nicht physikalisch einwandfrei geklärt. Man nimmt an, dass die schwächere Variante, die kaum zwei Sekunden leuchtet, durch die Verschmelzung massereicher Objekte, etwa zweier Neutronensterne oder eines Neutronensterns und eines Schwarzen Lochs, entsteht. Die starke Variante der Gammablitze könnte durch eine so genannte Hypernova ausgelöst werden, eine extreme Form der Supernova, die ihren Ausgang im Kollaps außerordentlich massereicher Sterne hat. Angesichts der Vielzahl an Galaxien und der Tatsache, dass die heftige Strahlung noch über Milliarden von Lichtjahren quer durchs Universum messbar ist, summieren sich diese an sich äußerst seltenen Ereignisse auf: Der Swift-Satellit, der seit 2004 die Strahlungsausbrüche kartiert, verzeichnet etwa einen Gammablitz pro Tag.
"Es ist, als würde man einen Resetknopf drücken"Tsvi Piran
Die für das Leben gefährlichste Form sind die langen Gammablitze. Auf sie haben sich Piran und Jimenez in ihrer Studie konzentriert. Bereits vor einigen Jahren konnten sie anhand der Daten von Swift zeigen, dass Gammablitze offenbar bevorzugt in massearmen Galaxien mit geringer Metallizität entstehen. Als "Metall" bezeichnen Astronomen – ohne Rücksicht auf die Gefühle der Chemiker – alle Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium. Sterne, die viel davon enthalten, können – nach allem, was man weiß – nicht in einer Hypernova enden. Darum treten Gammablitze in metallreichen Galaxien erheblich seltener auf.
Piran und Jimenez kannten also die Entstehungsrate und -orte der Gammablitze aus den Swift-Daten und wussten, welche Art von Galaxien als Ursprung der Strahlungsphänomene in Frage kommt. Daraus und unter Einbeziehung der Leuchtkraft der Gammablitze erstellten sie ein Modell, das die Wahrscheinlichkeit für eine Vernichtung von Leben an einem beliebigen Ort im Universum angibt.
Vernichtungswahrscheinlichkeit bei 90 Prozent
Die beiden Physiker wendeten ihr Modell auf verschiedene Szenarien an. Beispielsweise berechneten sie die Wahrscheinlichkeit eines Gammablitzes in tödlicher Nähe zur Erde. Sie fanden heraus, dass während der 4,6 Milliarden Jahre dauernden Erdgeschichte mit mehr als 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein solcher Killer-Gammablitz die Erde erreicht hat.
Aus versteinerten Überbleibseln wissen wir, dass es in den letzten 540 Millionen Jahren zu insgesamt fünf großen Massensterben auf der Erde gekommen ist. Eines davon, das Ordovizische Massensterben vor 450 Millionen Jahren, hat bisher keine ausreichende Erklärung gefunden. Womöglich könnte ein Gammablitz der Schuldige sein, überlegen Piran und Jimenez: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein ausreichend starker Gammablitz die Erde während der letzten 500 Millionen Jahre erreichte, liege bei immerhin noch 50 Prozent.
An und für sich ist die Erde aber noch ein relativ sicherer Ort. Sie befindet sich etwa 24 000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt. In einem Radius von 6500 Lichtjahren um das galaktische Zentrum besteht eine mehr als 95-prozentige Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Gammablitzes während der letzten Milliarde Jahre. Dieser Bereich umfasst etwa ein Viertel der Sterne (und damit der potenziellen Planetensysteme) unserer Galaxie.
Gut die Hälfte der Sterne in der Galaxis befindet sich in einem Bereich, in dem komplexes Leben mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit einem Gammablitz zum Opfer fällt. Und das sogar nur, wenn man basierend auf dem jetzigen Zustand unserer Galaxie rechnet. Früher sah die Sache noch unfreundlicher aus. Denn im jungen Universum waren Galaxien durchweg metallärmer als heute und Gammablitze infolgedessen noch einmal häufiger.
Altersmildes Universum
Wenn man den Berechnungen von Piran und Jimenez folgt, wird das Universum im Alter also milder. Vor etwa fünf Milliarden Jahren waren Gammablitze noch so häufig, dass sie nirgends im Universum die Entstehung von komplexem Leben zugelassen hätten. Allerdings könne sich selbst heute noch nur in einer von zehn Galaxien Leben ausreichend lange ungestört entwickeln, schreiben die beiden Forscher.
Die Berechnungen von Piran und Jimenez bieten einen eleganten Ansatz, um das Fermi-Paradoxon unserer interstellaren Einsamkeit aufzulösen. Das sehen auch andere Experten so, die nicht an der Studie beteiligt waren.
James Annis, Kosmologe am Fermilab, ist einer der Vorreiter der Idee der Killer-Gammablitze. Er veröffentlichte bereits 1999 eine "astrophysikalische Erklärung für die große Stille". "Ich habe den Aufsatz vor zwei Wochen im Flugzeug gelesen und finde ihn großartig – auch wenn ich ein paar Kleinigkeiten anders gemacht hätte. Ich denke in den letzten Jahren wieder häufiger über das Fermi-Paradoxon nach und bin viel überzeugter als noch 1999, dass die Erklärung dafür in einer zeitlichen Verkürzung für die Entwicklung von intelligentem Leben liegen muss. Und dafür scheinen Gammablitze der beste Mechanismus zu sein."
Findet Leben immer einen Weg?
Doch nicht alle Forscherkollegen schließen sich an. Seth Shostak ist leitender Astronom am SETI Institute in Kalifornien. Dort suchen Wissenschaftler gezielt nach außerirdischer Intelligenz. "Wenn wir eines in den letzten 20 Jahren gelernt haben, dann, dass das Leben äußerst widerstands- und anpassungsfähig ist. Während der letzten vier Milliarden Jahre konnte keine kosmische Katastrophe den Lauf des Lebens auf der Erde unterbinden." Selbst wenn die Berechnungen stimmten, verblieben bei 10 Prozent lebensfreundlichen Galaxien immer noch etwa 100 Milliarden Planetensysteme, die "gut genug" seien, um Leben entwickeln zu können.
Tsvi Piran gibt zu, dass er und Jimenez sich auf die Entwicklung komplexen und intelligenten Lebens fokussiert haben. Das sei bei der Suche nach Außerirdischen ein plausibler Ansatz. "Es ist beinahe sicher, dass Bakterien und andere niedere Lebensformen solch einen Gammablitz und seine Folgen überstehen könnten", bestätigt er. "Aber für höheres Leben wäre es, als würde man einen Resetknopf drücken. Es müsste wieder von Null anfangen. Man kann sich aber durchaus andere Formen von Leben vorstellen, auf die sich unsere Argumente nicht anwenden lassen." Selbst wenn das elegante Modell von Piran und Jimenez also zutrifft – völlig aus der Welt geschafft ist das Fermi-Paradoxon damit noch lange nicht.
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