News: Der kleine Unterschied
Der Gesang, das Grunzen und das ungewöhnliche Verhalten der Typ II-Männchen lockte auch Biologen unter der Leitung von Andrew Bass von der Cornell University an, die am Bootsmannfisch die molekularen und neurochemischen Ursachen für geschlechtsspezifisches Verhalten untersuchen wollten. Leichte elektrische Stimulation von Nervenzellen des basalen Vorderhirns lösten bei Typ I-Männchen ihren berühmten Lockgesang, dagegen bei Weibchen sowie Typ II-Männchen das charakteristische Grunzen aus (Nature vom 17. Februar 2000). Bei der untersuchten Hirnregion handelt es sich um das präoptische Areal des hinteren Hypothalamus, das unter anderem für die Kontrolle des Klangorgans des Fisches verantwortlich ist.
Anschließend testeten die Wissenschaftler den Einfluss von Neuropeptiden, die mit geschlechtsspezifischem Verhalten in Verbindung stehen. Die Hormone Isotocin und Vasotocin werden in den Nervenzellen des Hypophysenhinterlappens gebildet und an das Blutsystem abgegeben. Die Biologen injizierten geringe Mengen dieser Substanzen in das basale Vorderhirn und konnten beobachten, dass das Sing- oder Grunzverhalten bei steigender Neuropeptidmenge abnahm.
Dabei reagierten die zwei Männchen-Typen und die Weibchen recht unterschiedlich auf die verschiedenen Chemikalien. Während die balzenden Männchen für Isotocin, aber nicht für Vasopressin sensitiv waren, zeigten die Weibchen ein entgegengesetztes Muster. Die "Nestschleicher", die weibchentypische Laute von sich geben, demonstrierten ebenfalls "feminine" Reaktionen.
Die Ergebnisse machen deutlich, dass Neuropeptide die elektrischen oder neurophysiologischen Signale bei der Etablierung eines sozialen Verhaltens modulieren können. "Außerdem konnten wir zeigen, dass es beim Bootsmannfisch zu einer neurochemischen Dissoziation – einer Entkopplung – zwischen dem Geschlecht und der Regulation des geschlechtsspezifischen Verhaltens kommen kann", sagt James Goodson. "Offenbar soll diese Entkopplung und Vermischung von Merkmalen eine größere Vielfalt an Verhaltensweisen ermöglichen, auf welche die natürliche Selektion einwirken kann. Eventuell erklärt sie auch die außergewöhnlich große Vielfalt an sozialen Verhaltensmustern, wie geschlechtsspezifische Brutpflege und Aggression, die wir bei Wirbeltieren finden."
Da das präoptische Areal des hinteren Hypothalamus eine bei allen Vertebratenarten erhaltene Struktur ist und bei allen diesen Spezies auch Äquivalente zu den untersuchten Neuropeptiden – wie im Menschen das Vasopressin und das Oxytocin – existieren, stellt sich die Frage, in wie weit diese Erkenntnisse auf das übrige Tierreich übertragbar sind.
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