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Medicane »Daniel«: Was der Klimawandel zum Wirbelsturm beitrug

Medicanes und Starkregen gab es auch schon vorher. Doch das Ausmaß der Zerstörung erschreckt. Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Regenkatastrophen am Mittelmeer?
Zerstörungen in Derna.
Durch die Regenmengen des Sturms brachen zwei Staudämme und sandten eine Sturzflut mitten durch die Stadt Derna.

Mehr als 5000 Menschen starben in der libyschen Stadt Derna, nachdem heftige Niederschläge zwei Dämme oberhalb der Stadt brechen ließen. Ursache war der Sturm »Daniel«, der schon in Griechenland schwere Überschwemmungen verursacht hatte und sich anschließend über dem Mittelmeer zu einem Medicane entwickelte – einer kleineren Version tropischer Wirbelstürme. Mehrere Faktoren führten dazu, dass der Sturm so enorme Verheerungen in Griechenland anrichtete und anschließend sogar noch zum zerstörerischen Wirbelsturm wurde. Doch ist der Sturm »Daniel« nur ein außergewöhnliches Wetterereignis – oder sind gewaltige Fluten und heftige Medicanes die Zukunft des Mittelmeerraums in einer wärmeren Welt?

Der Sturm entstand ursprünglich als Teil einer keineswegs ungewöhnlichen Wetterlage, bei der ein Hochdruckgebiet über Mitteleuropa von zwei Tiefdruckgebieten im Südosten und Südwesten flankiert wird. Ursache dieser so genannten Omegalage ist eine große, nach Norden reichende Jetstream-Schleife um das Hoch, die »blockiert«, also für einen längeren Zeitraum ortsfest ist. Dadurch bewegen sich auch die Tiefdruckgebiete kaum. Dass der Sturm Daniel relativ lange über Griechenland blieb, war einer der Faktoren der schweren Regenfälle, die Teile Zentralgriechenlands überschwemmten.

Solche blockierten Jetstream-Schleifen bringen stabile Wetterlagen, die durch ihre Dauer extreme Ausmaße annehmen können. So bringt das Hochdruckgebiet bei solchen Mustern gelegentlich ernste Hitzewellen. Fachleute vermuten, dass solche Kapriolen der Höhenströmung durch den Klimawandel häufiger werden – und damit auch die schweren Regenfälle in Griechenland.

Omegalagen und der Klimawandel

Die Grundidee ist, dass der Klimawandel den Temperaturgegensatz zwischen den mittleren Breiten und der Arktis verringert, weil sich die Polarregionen schneller erwärmen. Der Temperaturgegensatz zwischen diesen Zonen bestimmt, wie sich der polare Jetstream verhält. Je größer der Unterschied, desto stärker und stabiler die Höhenströmung – eine wärmere Arktis dagegen macht den Strahlstrom instabiler. Das, so die Theorie, verstärkt dessen Neigung, große Schleifen nach Norden und Süden zu drehen, wie sie auch die Omegalage charakterisieren.

Tatsächlich allerdings ist die Sache komplizierter. Wie der Klimawandel das Verhalten des Jetstreams verändert, ist keineswegs klar. Die Strömung ist außerordentlich variabel und hat schon immer Schlaufen und blockierte Muster gebildet. Ein klarer Trend lässt sich bisher aus den Daten nicht erschließen. Eine statistische Analyse im Jahr 2021 hat immerhin gezeigt, dass eine Omegalage in Europa im Februar und März deutlich häufiger, im Dezember dagegen merklich seltener geworden ist. Auch in den Sommermonaten zeigen die Daten eine etwas höhere Wahrscheinlichkeit, dass Omegalagen entstehen – im Herbst, also auch im September, ist sie dagegen tendenziell gesunken.

Dagegen hat der Klimawandel sehr sicher zum wohl wichtigsten Faktor der Regenkatastrophen beigetragen: den hohen Wassertemperaturen. Im östlichen Mittelmeer lagen die Wassertemperaturen zwischen 26 und 29 Grad Celsius, etwa zwei bis drei Grad wärmer als im langjährigen Durchschnitt. Und es ist nicht nur das Mittelmeer, das so warm ist. Weltweit ist das Oberflächenwasser der Ozeane weit wärmer als jemals zuvor seit Beginn der Beobachtung. Ein ganz zentraler Faktor dabei ist die weltweite Erwärmung. Die Ozeane nehmen mit einigem Abstand den größten Teil der zusätzlichen Energie auf, und ohne die zusätzliche Energie durch den Klimawandel wären die aktuellen Temperaturen nicht erreicht worden.

Der heiße Ozean

Es bleiben allerdings Fragezeichen. Der bisherige Erwärmungstrend der Meere kann die aktuellen extremen Temperaturen nur zum Teil erklären. Die Wassertemperaturen im Mittelmeer zum Beispiel sind im Durchschnitt um gut ein Grad Celsius gestiegen – das ist eine Menge, aber weniger als die aktuelle Anomalie. Und das gilt weltweit. Möglicherweise spielt ein ungewöhnliches Zusammentreffen natürlicher Zyklen eine Rolle beim gegenwärtigen Hitze-Höhepunkt. So macht zum Beispiel El Niño viele Teile der Erde wärmer, und das Klimamuster nimmt derzeit Fahrt auf.

Hinzu kommen Einzelfaktoren wie die neu regulierten Schiffstreibstoffe, durch die deutlich weniger Aerosole das Sonnenlicht zurückwerfen, sowie der Ausbruchs des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Pazifik, der wohl ebenfalls zur Erwärmung beiträgt. Oder aber Teile der gigantischen, über mehrere Jahre aufgenommenen Klimawandel-Wärme gelangen nun durch einen noch unbekannten Prozess wieder an die Oberfläche. Auch das halten Fachleute für möglich.

Auf jeden Fall hatte das warme Mittelmeer unter Sturm »Daniel« gleich mehrere Auswirkungen. Zum einen verdunstete mehr Feuchtigkeit durch die höhere Temperatur. Der warme Ozean erhitzte gleichzeitig auch die Luft darüber, so dass diese mehr Feuchtigkeit aufnehmen konnte. Immer neue mit zusätzlicher Feuchtigkeit gesättigte Luft führte der Sturm vom Meer zum Osten Griechenlands, so dass die wahrhaft gigantischen Regenmengen zusammenkamen, die ganze Ortschaften überfluteten. Es fielen innerhalb weniger Tage stellenweise mehr als 750 Millimeter – die doppelte Menge eines ganzen Jahres etwa von Berlin.

Wie ein Medicane entsteht

Die warme, feuchte Luft war zudem die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich der Sturm zum Medicane entwickelte. Medicanes sind eine kleinere, kurzlebigere Version der tropischen Wirbelstürme, die sich über den warmen Regionen der Weltozeane bilden. Doch damit aus einem Tiefdruckgebiet im Südosten einer Omegalage ein Wirbelsturm wird, reicht es nicht, dass die Luft ein bisschen mehr wirbelt. Zwischen beiden gibt es nämlich fundamentale Unterschiede. Ein mit dem Jetstream assoziiertes Tief bezieht seine Energie aus Temperatur- und Luftdruckunterschieden in der Atmosphäre, der so genannten Baroklinität. Es hat einen Kern aus kalter Luft sowie Grenzen zwischen kalten und warmen Luftmassen, die Fronten.

Dagegen hat ein tropischer Zyklon einen Kern aus warmer Luft und keine Luftmassengrenzen. Die Energie eines solchen Sturms stammt aus der so genannten Konvektion: warme, feuchte Luft, die in große Höhen aufsteigt. Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass sich ein Tiefdruckwirbel der mittleren Breiten zu einem Wirbelsturm entwickelt. Die Luft an der Meeresoberfläche muss warm genug sein, um in große Höhen zu gelangen. Wichtiger noch ist jedoch, dass diese aufsteigende Luft sehr feucht ist.

Denn das beim Aufsteigen der Luft kondensierende Wasser setzt erst die nötige Energie frei, um den kalten Kern des ursprünglichen Sturms in den warmen Kern eines Medicanes zu verwandeln. Das ist der Motor des tropischen Zyklons: Durch die immer schneller aufsteigende Luft sinkt der Druck im Zentrum. An der Oberfläche strömt dafür Luft nach innen. Und nur wenn sie warm und feucht genug ist, reicht die enthaltene Energie aus, um den schnellen Aufstieg der Luft im Zentrum und die heftigen Winde des Sturms anzutreiben. Quasi als Nebeneffekt erzeugt dieser Prozess immense Mengen Niederschlag, die nun in Libyen Verheerungen anrichteten.

Man sollte meinen, dass langfristig steigende Wassertemperaturen solche Stürme im Mittelmeer generell häufiger machen. Aber die Beziehung zwischen Medicanes und Klimawandel ist ein bisschen komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint. Studien deuten einerseits darauf hin, dass die Stürme durch den Klimawandel nicht zunehmen oder sogar seltener auftreten. Die Stürme, die noch entstehen, werden laut Projektionen aber gefährlicher: Das warme Meer liefert ihnen Energie für stärkere Winde, sie werden echten Hurrikanen ähnlicher, bleiben länger stabil – und vor allem bringen sie demnach deutlich mehr Regen als bisher. In dieser Hinsicht sind die verheerenden Regenfälle in Griechenland und Nordafrika tatsächlich ein Vorgeschmack auf eine wärmere Welt.

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