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News: Der Knüller

Physik muss nicht immer teuer sein. Vergessen wir all die riesigen Teilchenbeschleuniger, Fusionsreaktoren und Neutrino-Detektoren tief unter der Erde. Zuweilen reicht ein einfaches Blatt Papier, um Forscher tage-, ja sogar wochen- und monatelang zu beschäftigen. Denn diese Zeit und noch länger braucht es, um Papier und ähnliches Material so klein wie irgendmöglich zu zerknüllen.
Papierbällchen
Manchmal will einfach nichts gelingen. Blatt um Blatt wird mit Texten, Berechnungen oder Entwürfen bekritzelt, und doch stellt nichts so richtig zufrieden. Und schon wieder verwirft man eine Idee, knüllt das Papier zu einem Ball und kickt es missmutig mit dem Zeigefinger über den Schreibtischrand in den Papierkorb.

Sicherlich erging es auch Kittiwit Matan von der University of Chicago schon einmal so. Und vielleicht kamen er und seine Kollegen bei einer solchen Gelegenheit auf die Idee, sich näher mit den Bällchen zu befassen, die sich da im Papierkorb türmten. Jedenfalls fragten sich die Forscher, wie klein sich ein wohl Blatt Papier zerknittern lässt.

Dazu reicht doch ein beherztes Kneten in der Faust, mag manch einer argwöhnen. Da bedarf es doch keiner Forschung. Sicherlich ist das auch nicht ganz falsch, aber die Physik hinter eben diesem Prozess ist weitaus komplizierter. Denn so ein zusammengeknülltes Blatt Papier ist ganz schön widerspenstig: Selbst wenn man mit aller Kraft ein Bällchen zusammendrückt, es wird doch noch zu etwa 75 Prozent aus Luft bestehen.

Dabei betraten die Forscher aus Chicago mit ihrer Studie kein Neuland. Vielmehr reiht sich ihre Arbeit in eine stattliche Zahl von Veröffentlichung ein, die mit theoretischen Überlegungen und Computer-Simulationen der Natur des Knüllens auf den Grund gehen wollen. Matan und seine Kollegen wählten allerdings einen experimentellen Ansatz: Sie untersuchten auch kein Papier, sondern eine aluminierte Polymerfolie, die sich aber ebenfalls vortrefflich knüllen ließ.

Statt mit einem rechteckigen Stück experimentierten sie zudem mit einem rund ausgeschnittenen, 34 Zentimeter großen Blatt von 12,5 Mikrometer Dicke. So gewährleisteten sie die Vergleichbarkeit mit den theoretischen Arbeiten. Zusammengeknittert gaben sie es in einen 10,2 Zentimeter breiten Zylinder, der abgeschirmt in einem Kasten stand, sodass auch ja kein Lüftchen die Messungen stören konnte. Das Ganze befand sich obendrein auf einem so genannten optischen Tisch, um auch Schwingungen tunlichst zu vermeiden.

Derart vorbereitet konnte das eigentlich Experiment beginnen. Dazu ließen die Forscher in dem Zylinder einen Kolben bestimmter Masse auf das geknüllte Blatt drücken, wobei die Höhe des Kolbens ein Maß für die Kompression des Bällchens war. Zu ihrem Erstaunen stellten die Physiker nun fest, dass sich die geknüllte Folie immer weiter zusammendrücken ließ. Nicht Kraft, sondern Ausdauer scheint der entscheidende Faktor zu sein. Denn selbst nach drei Wochen bewegte sich der Kolben noch nach unten – langsamer zwar, aber doch beharrlich.

Eine graphische Auswertung zeigte denn auch, dass sich der Zylinder logarithmisch in der Zeit zu Boden senkte, ohne dass ein Endpunkt zu erkennen wäre. Ähnliches beobachteten die Forscher auch für Haushaltspapier und Baumwollbällchen. Immer senkte sich der Kolben stetig über Tage und Wochen, ohne irgendwann vollkommen innezuhalten. Mehr noch, setzten die Physiker den Kolben für einige Zeit fest, sodass das Material nicht weiter komprimiert wurde, und ließen sie ihn danach wieder frei, so sank er schnell auf die Höhe herab, die er ohne die Pause erreicht hätte.

Und noch etwas stellten sie fest: Zerknüllten sie die dieselbe Folie unter gleichen Bedingungen mehrmals, beziehungsweise verwendeten augenscheinlich identische Stücke, so senkte sich der Kolben jedes Mal mit einer etwas anderen Geschwindigkeit – logarithmisch in der Zeit zwar, aber doch etwas unterschiedlich.

So war es schließlich auch gar nicht einfach, den Einfluss der Masse zu studieren. Da sich schon unter gleichen Bedingungen verschiedene Sinkgeschwindigkeiten ergaben und eine Endgröße nie erreicht wurde. Die Forscher konnten das Problem jedoch umgehen, indem sie die Höhe des Kolbens nach festen Zeitintervallen bestimmten und Bällchen mit größeren Massen "vorknüllten". Alles in allem gelang es so, die theoretischen Vorhersagen weitgehend zu bestätigen, einzig und allein die schleichende Kompression war neu.

Was sie bewirkt, ist noch unbekannt. Doch die Physiker vermuten, dass zwei Faktoren entscheidend sind, die man bei vorangehenden Arbeiten außer Acht ließ: Zum einen ist das die Reibung; denn wird die Folie zusammengedrückt, so schieben sich Falten übereinander und ein Teil der Energie geht als Reibungswärme verloren. Zum anderen ist das die plastische Verformung, denn anders als eine Feder, die sofort nach der Belastung wieder ihre ursprüngliche Form einnimmt, ist die geknüllte Folie dauerhafter verformt. Zwar entfaltet sie sich teilweise wieder, aber die meisten Knicke und Falten sind doch von permanenter Natur. Oder wer hat schon beobachtet, wie sich ein Stück Papier von selbst entknüllt?

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