Australien: Der Löwe mit den Koala-Händen
Thylacoleo carnifex – Fleisch schneidender Beutellöwe – nannte der britische Naturforscher Richard Owen das merkwürdige Tier, das im australischen Bundesstaat Victoria um die Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden wurde. Offenbar handelte es sich um ein großes Raubtier, ähnlich einer Großkatze, das aber zu den Beuteltieren zählte. Heute weiß man, dass Beutellöwen dieser Art noch bis vor ungefähr 45 000 Jahren in Australien lebten und etwa zeitgleich mit dem Eintreffen des Menschen auf dem Kontinent ausstarben. Ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen gibt, ist unbekannt.
Nun haben Forscher sämtliche erhaltenen Skelette von T. carnifex systematisch untersucht, um Rückschlüsse auf die körperliche Gestalt des Beutellöwen und seine mutmaßliche Lebensweise zu erhalten. Wie sie in »PLoS One« schreiben, wurde erst im Jahr 2002 ein vollständiges Skelett gefunden, zwei weitere kamen 2005 zum Vorschein, daneben kennen Forscher einige teilweise erhaltene Skelette.
Die Liste seiner körperlichen Merkmale klingt nach einem Mix australischer Tierarten. Wie Känguru oder Wombat – vermutlich zwei seiner bevorzugten Beutetiere – trugen Beutellöwenweibchen ihren Nachwuchs in einem Beutel am Bauch. In seiner Körperform ähnelte er wohl am ehesten dem Tasmanischen Teufel, ebenfalls ein Raubtier, aber deutlich kleiner als T. carnifex und mit diesem nicht verwandt. Dieser wog ausgewachsen rund 100 Kilogramm, schreiben Rod Wells von der Flinders University in Adelaide und Kollegen. Seine Körperlänge und -höhe geben sie mit einem respektive einem halben Meter an.
Die Ähnlichkeit mit dem Tasmanischen Teufel erstreckt sich auch auf die Wirbelsäule, die bei beiden Tierarten vergleichsweise steif und gerade war. Wie Känguru und Beutelteufel könnte auch der Beutellöwe seinen muskulösen Schwanz als Stütze verwendet haben. Mit den krallenbewehrten Vordergliedmaßen kletterte er vielleicht auf Bäume, und zwar ähnlich wie Koalas: Die Tiere umarmen den Stamm mit beiden Armen und schieben sich dann mit den Hinterbeinen hoch. Spuren an den Wänden von Höhlen, in denen Überreste des Beutellöwen aufgetaucht sind, legen allerdings auch nahe, dass T. carnifex im Felsgestein kletterte und die Höhlen als Unterschlupf nutzte. Seine Krallen könnte er überdies als Waffe eingesetzt haben.
Das Gebiss wirkt mit seinen spitzen Vorderzähnen wie ein typisches Raubtiergebiss, das man von Katze oder Hund kennt. Tatsächlich sind hier jedoch nicht die Eckzähne, sondern die Schneidezähne vergrößert. Ob sich T. carnifex als Aasfresser ernährte oder lebende Beute schlug – oder beide Strategien verwendete –, wissen die Forscher nicht. Sicher ist nur: Sollte er tatsächlich gejagt haben, dann lauerte er der Beute auf, denn sein Körperbau ist nicht für schnelles Rennen ausgelegt.
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