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Staudamm-Boom: Der Mekong wird verdammt

Wie Perlen reihen sich die Staudämme aneinander: China nutzt das Wasser des Mekong im ganz großen Stil zur Stromerzeugung. Flussabwärts droht jetzt eine ökologische Katastrophe.
Auch Laos baut Dämme

Seit jeher fließt der träge Mekong in schlammigem Braun durch die weiten Ebenen. Doch mit einem Mal war das anders. Ende 2019 erstrahlte er im Norden Thailands plötzlich in einem kräftigen Aquamarin. So hübsch die neue Farbe, so wenig sahen die Anwohner Grund zur Freude. Eine Algenblüte hatte ihren Fluss verwandelt – ein weiteres Symptom für eine tiefer gehende Krankheit. Es geht ihm schlecht, dem mächtigen Mekong.

Insgesamt 13 Staudämme entlang des Flusslaufs machen ihm zu schaffen. Verbunden mit einer langen Dürre, die auf einen El Niño zurückgeht, bescherten sie dem 4350 Kilometer langen Strom, der sechs Länder durchquert, den niedrigsten Wasserstand seit Jahrzehnten. Leidtragende sind die rund 70 Millionen Anrainer, die für Landwirtschaft und Fischerei auf das Mekongwasser angewiesen sind. Profiteur ist allen voran China. Nur 2 der 13 Dämme liegen nicht in der Volksrepublik, die mit Hilfe gewaltiger Staumauern elektrische Energie aus dem Strom zapft und plant, noch mindestens sieben weitere Anlagen zu installieren. Den Vorwurf, mit dieser Flussnutzung mindestens eine Mitschuld an der prekären Lage des Mekong zu tragen, weist die Führung in Peking strikt von sich.

Anders sieht man das in den Dörfern und Gemeinden an den Ufern des Flusses. Und auch Umweltorganisationen kommen zu einem anderen Ergebnis. Eine Studie der auf die Analyse von Erdoberflächentemperaturen, Feuchtigkeit und Schneedecken spezialisierten US-amerikanischen Forschungsfirma Eyes on Earth liefert den wissenschaftlichen Gegenbeweis. »Der schwer wiegende Wassermangel im unteren Mekong während der Regenzeit 2019 ist größtenteils auf den beschränkten Zufluss aus dem Oberlauf des Mekong zu dieser Zeit zurückzuführen«, heißt es in einem im April 2020 veröffentlichten und von der US-Regierung finanzierten Report.

Im Unterlauf kommt weniger an

Welche Auswirkung die elf chinesischen Stauseen mit ihrem geschätzten Wasservolumen von mehr als 47 Milliarden Kubikmetern haben, wird von der Wissenschaft seit Langem diskutiert. Genaue Aussagen sind aber mangels Daten schwierig. Peking lässt sich nicht in seine wasserwirtschaftlichen Karten gucken.

Die Forscher von Eyes on Earth haben darum mit Hilfe von Satelliten erfasst, wie feucht die Oberfläche entlang des Lancang war, wie der Fluss in China heißt. So konnten die Wissenschaftler um Alan Basist und Claude Williams belegen, dass die chinesische Provinz Yunnan während der Regenzeit von Mai bis Oktober 2019 gar leicht überdurchschnittliche Niederschläge und Wasser durch Schneeschmelze aufwies. Die Pegelstände im Unterlauf hingegen, entlang der thailändisch-laotischen Grenze, seien bis zu drei Meter niedriger als normal gewesen.

Messdaten lieferten nicht nur die Späher im Orbit, sondern auch eine hydrologische Station der Mekong River Commission im thailändischen Chiang Saen. Sie liegt China am nächsten und erfasst seit 1992 tagtäglich die Pegelstände. In den ersten 20 Jahren schwankten Oberflächenfeuchtigkeit und Flusswasserstand im Gleichtakt. Das änderte sich 2012, als die größeren chinesischen Dämme ihren Betrieb aufnahmen. »Die Differenz war 2019 besonders deutlich«, sagt Basist. 2019 war zudem das Jahr, in dem die ersten beiden Megadämme in Laos in Betrieb gingen.

Die Chinesen versprechen ein über das andere Mal den Anrainerstaaten eine Zusammenarbeit beim Management des Flusses. Bisher haben sich die Versprechungen jedoch als hohl und leer erwiesen. Das 2016 gegründete Lancang-Mekong-Kooperationsforum wird von Peking dominiert. Die kommunistische Volksrepublik ist aber weder Mitglied in der seit 1995 existierenden Mekong River Commission (MRC) noch in der 2009 von den USA mit den anderen Mekongstaaten ins Leben gerufenen Lower Mekong Initiative (LMI).

»Jeder weiß, dass Dämme den Mekong umbringen. Warum also werden noch mehr Dämme gebaut?«
Pou Sothirak, Direktor des Cambodian Institute for Cooperation and Peace

Die MRC betreibt seit Jahren eine Menge wissenschaftlicher Studien, veröffentlicht Warnungen über eine Ökokatastrophe durch die Staudämme und wohlfeile Empfehlungen zur Vermeidung derselben. Aber der Kommission fehlt es an Macht, die Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der Empfehlungen zu zwingen. »Die Mekong River Commission hat versagt«, sagt Pou Sothirak, Direktor des Cambodian Institute for Cooperation and Peace und ehemaliger kambodschanischer Energieminister, bei einer Podiumsdiskussion über die Probleme des Mekong im Klub der Auslandskorrespondenten in Thailand (FCCT).

Der Wassermangel sorgt für leere Netze

2,6 Millionen Tonnen Fisch würden jährlich im Mekong gefangen, sagt Brian Eyler vom Stimson Center in Washington. 2019 jedoch sei der Fluss »vom Goldenen Dreieck bis zum Delta ausgetrocknet, und der natürliche Durchfluss von Sedimenten und Fischen fehlt«, sagt der Experte für die Mekong-Region und Chinas Wirtschaftsbeziehungen mit Südostasien auf der thailändischen Presseveranstaltung. Fisch ist der wichtigste Proteinlieferant für die Menschen entlang des Mekong. Besonders hart ist Kambodscha betroffen. Die Khmer decken 70 Prozent ihres Proteinbedarfs durch den Verzehr von Fischen, die sie im Mekong und in Asiens größtem Süßwassersee Tonle Sap fangen. »Der Tonle Sap ist die weltgrößte Inlandsfischereiregion und benötigt den kompletten Monsunzyklus, um diese Fischmenge zu produzieren«, sagt Eyler. Früher sei der See für rund 500 000 Tonnen Fisch gut gewesen. Jetzt klagten Fischer über Fangrückgänge von bis zu 70 Prozent.

Am und vom Wasser | Vom Wechselspiel zwischen Mekong und Tonle Sap hängt eine ganze Region ab. Fehlt das Wasser vom Oberlauf, geht es den Fischen schlecht.

Auch der Tonle Sap hängt am Mekong. Während der Regenzeit steigt der Pegel des Flusses so stark, dass Wasser in den Tonle-Sap-Fluss gedrückt wird, der so eine Art Wurmfortsatz des Sees bildet. Die Fließrichtung wird dadurch umgekehrt, und mit dem aufwärtsfließenden Wasser kommen Fische aus dem Oberlauf des Mekong in den See. Normalerweise dauert die Wasserlieferung drei bis vier Monate. 2019 bezog der See aber nur für etwa sechs Wochen Wasser aus dem Mekong. »Der Bruteffekt des Tonle Sap fand 2019 einfach nicht statt«, sagt Eyler. Das hebt eine weitere Auswirkung der Dämme in Laos und China hervor: Die meisten der mehr als 850 Fischarten im Mekong sind Wanderfische. »Doch die Dämme blockieren den Weg der Eier und der Jungfische aus dem Mekong und seinen Nebenflüssen flussabwärts in den Tonle Sap«, sagt Eyler.

Durch den massiven Anstieg des Pegels setzt der Tonle-See zudem normalerweise halb Kambodscha unter Wasser und schwemmt fruchtbare Sedimente über das Land als Nährboden für die Landwirtschaft. Auch das fehlte 2019, was die Sorgen um die Ernährungssicherheit in Kambodscha noch zusätzlich verstärkt.

Zahllose Dämme im gesamten Flusssystem

Insgesamt betreiben China, Laos, Thailand, Vietnam und Kambodscha im gesamten Mekongbecken mehr als 100 Dämme. China, dessen Teil während der Trockenzeit den Fluss mit 40 Prozent seines Wassers versorgt, hat 11 Dämme, Laos hat am Mekong 2 plus 62 an den Nebenflüssen, Kambodscha hat 2 Dämme, Thailand 9 und Vietnam 16. In Laos sind 63 weitere Dämme im Bau. Pou Sothirak ist über den Dammbauboom im Mekongbecken verwundert. »Jeder weiß, dass Dämme den Mekong umbringen. Warum also werden noch mehr Dämme gebaut?«, sagt der Herausgeber des »Journal of Greater Mekong Studies«. Von den Dämmen würden in erster Linie die Baukonzerne und die mit ihnen verbundenen Politiker profitieren. »An den sozialen Auswirkungen und dem Schaden für die Umwelt sind sie nicht interessiert.«

Spätestens hier kommt aber auch die geopolitische Komponente ins Spiel, wie schon das Mekong-Engagement der USA zeigt. Dabei dürfte es weniger um Umwelt und Klima gehen, sondern mehr um den Wettbewerb mit China um den geostrategischen Einfluss in der sehr bedeutsamen Weltregion. Durch massive finanzielle Unterstützung mit Milliardenkrediten für allerlei Projekte hat das Reich der Mitte die Mekongstaaten von sich abhängig gemacht. Das simple Rezept: Sei mein Freund, oder ich will mein Geld zurück. Zudem sichern sich die Chinesen mit den Dämmen die Kontrolle über das Wasser und damit das Leben im Mekongbecken. Der Verband südostasiatischer Nationen ASEAN hat dem bisher mangels einer Mekongpolitik nichts entgegenzusetzen. »Für ASEAN hatte bisher die zunehmende Dominanz Chinas vor ihrer Haustür im Südchinesischen Meer Priorität«, sagt Pou Sothirak.

Der Mekong zwischen Thailand und Laos im Oktober 2019

Doch es deuten sich Veränderungen an. Im Februar 2020 verabschiedete sich Thailand von dem seit 2000 gemeinsam mit China, Laos und Myanmar verfolgten »Lancang-Mekong Navigation Channel Improvement Project«. Stromschnellen sollten gesprengt und das Flussbett ausgebaggert werden, um den Mekong zwischen Yunnan und der thailändisch-laotischen Grenze für 500-Tonnen-Frachter schiffbar zu machen.

Wird der Bauboom doch noch gestoppt?

Piaporn Deetes, Mekong-Expertin von International Rivers Thailand, feiert das als Sieg von Zivilgesellschaft, Umweltaktivismus und Wissenschaft. Nach Ansicht von Sothirak aber waren für die Regierung in Bangkok sicherheitspolitische Bedenken der ausschlaggebende Grund: »Die Thais wollten an ihrer Grenze keine chinesischen Kanonenboote sehen.«

Kambodscha verhängte im März 2020 ein zehnjähriges Moratorium auf den Bau von Dämmen zum Betrieb von Wasserkraftwerken in seinem Teil des Mekong, obwohl das Land dringend Elektrizität braucht. Nach Angaben der Regierung in Phnom Penh wolle man gemäß den Empfehlungen einer japanischen Studie jetzt für die Stromproduktion auf Solarenergie sowie den Import von Kohle und Flüssigerdgas setzen.

Sand wird zur Mangelware

Ein weiteres Riesenproblem des Mekong ist der illegale Sandabbau. Sand ist laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) nach Wasser der dem Volumen nach am meisten gehandelte Rohstoff der Welt. Illegaler Sandexport, vulgo Sandschmuggel, ist in Asien schon lange ein großes Geschäft der international operierenden Sandmafia, das durch das Verbot der Sandexporte durch Kambodscha und Indonesien noch lukrativer wurde.

Der Nachschub von Sedimenten aus dem Mittel- und Oberlauf des Mekong ist bereits heute zu gering, um die Sandentnahmen im Delta auszugleichen, ergab eine aktuelle Studie des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau, Ästuar- und Küsteningenieurwesen (LuFI) der Leibniz Universität in Hannover.

Wenn frischer Sand aus dem Norden fehlt, verschärft das im Delta noch die Probleme, die der Klimawandel verursacht. Die Folgen von steigendem Meeresspiegel, Küstenerosion und Versalzung der Böden könnten abgemildert werden, wenn der Mekong weiterhin seine schlammige Fracht hier ablagern würde. So aber ist die Nahrungsmittelproduktion der etwa 18 Millionen Bewohner des Deltas und darüber hinaus bedroht. Als »Reisschüssel Vietnams« liefert die Landwirtschaft im Mekongdelta nämlich rund 50 Prozent der Lebensmittel des Landes.

Mächtige Ströme wirken wie Naturgewalten, die der Mensch nicht aufhalten kann. Der Mekong droht nun zum ersten großen Fluss der Erde zu werden, den wir mit unseren eigenen Bauwerken zerstören.

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