Anthropologie: Der Neandertaler in uns
Sie wurden seit Jahren sehnsüchtig erwartet: die Ergebnisse des Neandertaler-Genom-Projekts, einer internationalen Kooperation unter Federführung des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie, das sich der wahren Mammutaufgabe stellt, aus zerbröselten DNA-Stückchen die komplette Gensequenz des Homo neanderthalensis herauszulesen. Jetzt melden die Forscher um Svante Pääbo zumindest teilweise Vollzug – man habe einen Zwischenstand erreicht, der erste aussagekräftige Resultate zulässt.
Vor grob 400 000 Jahren oder mehr – die Schätzungen gehen auseinander – trennte sich die Moderne-Menschen- von der Neandertaler-Linie, als sich in Europa über verschiedene Zwischenformen aus dem Homo erectus der kälteangepasste, robuste Eiszeitmensch entwickelte. Seit dieser Zeit sollen er und "wir", die wir damals noch in Afrika lebten und schließlich einen eigenen Entwicklungsgang aus H. erectus einschlugen, keinerlei Verkehr miteinander gehabt haben – zumindest im romantischen Sinne des Wortes.
Verschärftes Reinheitsgebot
Denn mit dem Aufbruch des nun anatomisch modernen Sapiens aus Afrika vor grob 100 000 Jahren lebten Mensch und Neandertaler durchaus für Jahrzehntausende einträchtig nebeneinander her. Man kannte sich, das zeigen Funde aus dieser Epoche; für mehr als das gab es hingegen keine – zumindest unumstrittenen – Belege. Auch die Analyse des mitochondrialen Genoms des Neandertalers, das bereits seit Längerem vorliegt, gab keinerlei Anhaltspunkte für einen etwaigen Gentransfer.
Alles in allem scheinen die Vorsichtsmaßnahmen Wirkung gezeigt zu haben: Der Anteil trotzdem in die veröffentlichte Sequenz geratener Human-DNA beziffern die Forscher anhand verschiedener Schätzverfahren auf nicht mehr als ein Prozent. Unvermeidlich ist hingegen die Kontamination mit der DNA von Mikroorganismen, die die Skelette der Neandertaler nach deren Ableben besiedelten. Bis zu 99 Prozent der im ersten Anlauf gewonnen Roh-DNA stammte von ihnen. Gleichzeitig waren die isolierten Basensequenzen in winzige Stücke zerbrochen und teilweise chemisch verändert. Glücklicherweise unterscheiden sich Primaten und Nicht-Primaten-DNA hinreichend stark, um die mikrobielle Verunreinigung herauszufiltern. Zurück blieben die Teile für das Milliarden-Teile-Puzzle namens Neandertalergenom.
Vergleiche weltweit
Zusammensetzen kann es nur ein Computer – und dieser auch nur mit Hilfe einer Schablone. Das menschliche Referenzgenom diente als Vorlage, an dem die DNA-Stränge der Proben angeordnet wurden. Hinzu kam das Genom von Schimpanse und Orang-Utan sowie Abschnitte von Neandertaler-DNA aus anderen Fundstellen – darunter auch das im namensgebenden Neandertal gefundene Exemplar. Dann ging es ans Vergleichen.
Bislang kam vor allem das Erbgut von Europäern in die Apparate der Forscher. Um diese Schieflage zu kompensieren und die Vergleichsbasis noch einmal erheblich zu verbreitern, entzifferten Pääbo und Kollegen die DNA fünf weiterer moderner Menschen aus Asien (China), Ozeanien (Papua-Neuguinea), Europa (Frankreich) und Afrika (Angehörige der San und der Yoruba). Ohne diese Zusatzarbeit wären die Wissenschaftler nie zu ihrem spektakulären Resultat gekommen.
Denn dass tatsächlich eine Vermischung stattfand, ergab sich erst, als sie die Ähnlichkeiten von Sequenzen verschiedener Herkunft untereinander berechneten. Überzufällig hohe Übereinstimmungen zeigten sich ausschließlich dann, wenn sie die DNA von Menschen außerhalb Afrikas als Vergleichsmaßstab heranzogen. Hätte kein Gentransfer stattgefunden, wäre es egal, aus welcher Region die Proben stammten. Oder wie es Pääbo ausdrückt: "Diejenigen von uns, die außerhalb Afrikas leben, tragen ein kleines bisschen Neandertaler in sich."
Vermischung im Nadelöhr
Innerhalb dieser Nicht-Afrikaner gab es hingegen keine Abstufungen mehr – sie weisen allesamt den gleichen Grad an Neandertaler-Verwandtschaft auf. Für Pääbo und Kollegen liegt damit die Erklärung auf der Hand: Die Vermischung muss stattgefunden haben, noch bevor sich die Populationen voneinander abspalteten, aus denen heutige Europäer und Asiaten hervorgingen.
Im Allgemeinen geht man heute davon aus, dass der moderne Mensch aus Afrika kommend den Mittleren Osten sowie die Levante besiedelte, dann sowohl westwärts nach Europa als auch ostwärts nach Asien abbog, um schließlich den ganzen Erdball zu bevölkern. Die Neandertaler wanderten ebenfalls: aus dem europäischen Kernland südwärts und weiter in Richtung Osten nach Westasien. Aus dem Fehlen von Funden in anderen Regionen schließen Forscher, dass ihr Verbreitungsgebiet auf diese Gegenden beschränkt blieb.
Ein bisschen Neandertaler
Ein Problem bei der Berechnung der Ähnlichkeit ist allerdings, dass beide Genome in hohem Maße übereinstimmen und viele Gene in denselben Varianten auftauchen. Mit einer einfachen Suche nach identischen Abschnitten ist es also nicht getan. Stattdessen verlegten sich die Wissenschaftler auf indirekte Verfahren. Beispielsweise verglichen sie eine Vielzahl von Neandertaler-Genvarianten mit ihren Gegenstücken auf den menschlichen Sequenzen und überprüften, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, in den Daten der einzelnen Herkunftsorte fündig zu werden. Dabei zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit die identische Variante in einem nicht-afrikanischen Genom zu entdecken, insgesamt gesehen leicht erhöht war. Auch Varianten, die heute nur außerhalb Afrikas verbreitet sind, finden sich häufiger beim Neandertaler.
Summa summarum sei der sich aus diesen Überlegungen ergebende Gesamtanteil des vom Neandertaler übernommenen Erbguts eher mager, so die Forscher: ein bis vier Prozent ihrer Gene dürften Menschen außerhalb Afrikas dem Tête-à-tête ihrer Urahnen mit dem Eiszeitmenschen verdanken. Damit müsse die Vermischung deutlich begrenzt gewesen sein, da die anschließende Expansion des Homo sapiens die Häufigkeit neu hinzugewonnener Erbgutvarianten eher erhöht denn verringert hätte.
Die gängige Theorie, dass der moderne Mensch in Afrika entstand, wird angesichts dieser Befunde also nicht auf den Kopf gestellt: Heutige Europäer sind nicht zu auch nur annähernd gleichen Teilen aus H. neanderthalensis und afrikanischem H. sapiens entstanden, wie von einzelnen Wissenschaftlern gemutmaßt.
Was macht den Menschen zum Menschen?
All das sei "cool", meint Pääbo, aber beileibe nicht das einzig Interessante. Die Daten würden Wissenschaftlern außerdem die Chance eröffnen, nach dem kleinen – aber entscheidenden – Unterschied zu fahnden. Was macht den Menschen zum Menschen?
Manche Gene unterscheiden sich bei beiden Arten stark und scheinen sich darüber hinaus besonders schnell verändert zu haben. Nach solchen und weiteren Anzeichen einer positiven Selektion, bei der die Evolution bestimmte Ausprägungen gegenüber anderen bevorzugt zu haben scheint, klopften Pääbo und seine Forscherkollegen die neugewonnene Basensequenz ab. Und auch hier kamen bereits Kandidaten zum Vorschein, die in unser Bild von der Menschwerdung passen. Einige der so identifizierten Gene greifen beispielsweise in die Ausformung körperlicher Merkmale ein. Personen, die über eine gestörte Variante verfügen, entwickeln unter anderem einen Brustkorb, wie er für Neandertaler charakteristisch ist, oder neigen zur Ausbildung neandertalertypischer Überaugenwülsten.
Auch Gene, die an der kognitiven Entwicklung beteiligt sind, ließen sich bereits unter diesen "einzigartig menschlichen" Erbfaktoren ausmachen. Bei modernen Menschen führt ihre Mutation zum Beispiel zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, an Schizophrenie oder Autismus zu leiden. All diese Ergebnisse sind allerdings noch tendenziell vorläufig – hier erwarten die Wissenschaftler genauere Erkenntnisse erst im Laufe der Zeit, zumal für viele Gensequenzen noch überhaupt nicht geklärt ist, welche Funktion sie im Organismus übernehmen.
Vielleicht doch getrennte Wege
Auch sei es möglich, dass sich der eiszeitliche Homo sapiens und Neandertaler in Europa durchaus häufig mischten. Die Spuren wurden dann aber verwischt, als etwa im Rahmen der jungsteinzeitlichen Expansion andere Bevölkerungsgruppen einwanderten, in deren Ahnenreihe keine solchen Aufeinandertreffen stattfanden.
Für ausgeschlossen halten es die Forscher übrigens, dass die größeren Ähnlichkeiten mit nicht-afrikanischem Genom dadurch zu erklären sind, dass hauptsächlich nicht-afrikanische Wissenschaftler an der Sequenzierung beteiligt waren. Um das Ergebnis allein durch Kontamination erklären zu können, müsse der Grad der Verunreinigung um rund eine Größenordnung höher liegen als von den Forschern ermittelt.
Bleibt am Ende noch eine weitere Frage, deren Antwort erst die Zeit bringen wird. Einer verbreiteten Definition zufolge gehören zwei Individuen zur selben Spezies, wenn sie zeugungsfähige Nachkommen produzieren können. Tragen wir tatsächlich Neandertaler-DNA in uns, müssten zumindest einige unserer Urahnen genau das getan haben. Der Homo neanderthalensis hieße dann Homo sapiens neanderthalensis – wir wären von einer Art. Jan Dönges
Bereits vor zwei Jahren traten die Forscher an die Öffentlichkeit, als sie eine Million Basen entziffert hatten. Nun sei man bei soliden 60 Prozent des Genoms angelangt. Und bereits jetzt stehe fest: Mensch und Neandertaler haben sich vermischt. Was noch vor Kurzem eine spekulative Minderheitenmeinung war, erheben sie dank der neuen Befunde in den Rang einer gut belegbaren Hypothese. Offenbar kam es mindestens einmal in der langen Geschichte nachbarschaftlicher Beziehungen von Homo sapiens und neanderthalensis zu einem Techtelmechtel der beiden, das Spuren hinterließ.
Vor grob 400 000 Jahren oder mehr – die Schätzungen gehen auseinander – trennte sich die Moderne-Menschen- von der Neandertaler-Linie, als sich in Europa über verschiedene Zwischenformen aus dem Homo erectus der kälteangepasste, robuste Eiszeitmensch entwickelte. Seit dieser Zeit sollen er und "wir", die wir damals noch in Afrika lebten und schließlich einen eigenen Entwicklungsgang aus H. erectus einschlugen, keinerlei Verkehr miteinander gehabt haben – zumindest im romantischen Sinne des Wortes.
Verschärftes Reinheitsgebot
Denn mit dem Aufbruch des nun anatomisch modernen Sapiens aus Afrika vor grob 100 000 Jahren lebten Mensch und Neandertaler durchaus für Jahrzehntausende einträchtig nebeneinander her. Man kannte sich, das zeigen Funde aus dieser Epoche; für mehr als das gab es hingegen keine – zumindest unumstrittenen – Belege. Auch die Analyse des mitochondrialen Genoms des Neandertalers, das bereits seit Längerem vorliegt, gab keinerlei Anhaltspunkte für einen etwaigen Gentransfer.
Vor über zwei Jahren nahmen sich die Wissenschaftler drei 38 000 bis 44 000 Jahre alte Knochen dreier Neandertalerinnen vor, die ihnen als Erbgutlieferanten dienen sollten. Vorabtests hatten ergeben, dass die Kontamination mit humaner DNA, wie sie beim Ausgraben der Knochen unweigerlich auftritt, bei den Exemplaren aus der kroatischen Vindija-Höhle am geringsten ausfiel. Trotzdem arbeiteten Pääbo und Team unter Reinraumbedingungen, wie sie bei solchen Unternehmungen mittlerweile gängig sind. Auch die Verunreinigung der aus dem Knocheninnern geholten Proben mit Erbgut der Forscher sollte, so gut es geht, vermieden werden. Außerdem wendeten sie neu entwickelte gentechnische Tricks an, mit denen sie beispielsweise das Erbgut von Labormitarbeitern erkennen konnten.
Alles in allem scheinen die Vorsichtsmaßnahmen Wirkung gezeigt zu haben: Der Anteil trotzdem in die veröffentlichte Sequenz geratener Human-DNA beziffern die Forscher anhand verschiedener Schätzverfahren auf nicht mehr als ein Prozent. Unvermeidlich ist hingegen die Kontamination mit der DNA von Mikroorganismen, die die Skelette der Neandertaler nach deren Ableben besiedelten. Bis zu 99 Prozent der im ersten Anlauf gewonnen Roh-DNA stammte von ihnen. Gleichzeitig waren die isolierten Basensequenzen in winzige Stücke zerbrochen und teilweise chemisch verändert. Glücklicherweise unterscheiden sich Primaten und Nicht-Primaten-DNA hinreichend stark, um die mikrobielle Verunreinigung herauszufiltern. Zurück blieben die Teile für das Milliarden-Teile-Puzzle namens Neandertalergenom.
Vergleiche weltweit
Zusammensetzen kann es nur ein Computer – und dieser auch nur mit Hilfe einer Schablone. Das menschliche Referenzgenom diente als Vorlage, an dem die DNA-Stränge der Proben angeordnet wurden. Hinzu kam das Genom von Schimpanse und Orang-Utan sowie Abschnitte von Neandertaler-DNA aus anderen Fundstellen – darunter auch das im namensgebenden Neandertal gefundene Exemplar. Dann ging es ans Vergleichen.
Bislang kam vor allem das Erbgut von Europäern in die Apparate der Forscher. Um diese Schieflage zu kompensieren und die Vergleichsbasis noch einmal erheblich zu verbreitern, entzifferten Pääbo und Kollegen die DNA fünf weiterer moderner Menschen aus Asien (China), Ozeanien (Papua-Neuguinea), Europa (Frankreich) und Afrika (Angehörige der San und der Yoruba). Ohne diese Zusatzarbeit wären die Wissenschaftler nie zu ihrem spektakulären Resultat gekommen.
Denn dass tatsächlich eine Vermischung stattfand, ergab sich erst, als sie die Ähnlichkeiten von Sequenzen verschiedener Herkunft untereinander berechneten. Überzufällig hohe Übereinstimmungen zeigten sich ausschließlich dann, wenn sie die DNA von Menschen außerhalb Afrikas als Vergleichsmaßstab heranzogen. Hätte kein Gentransfer stattgefunden, wäre es egal, aus welcher Region die Proben stammten. Oder wie es Pääbo ausdrückt: "Diejenigen von uns, die außerhalb Afrikas leben, tragen ein kleines bisschen Neandertaler in sich."
Vermischung im Nadelöhr
Innerhalb dieser Nicht-Afrikaner gab es hingegen keine Abstufungen mehr – sie weisen allesamt den gleichen Grad an Neandertaler-Verwandtschaft auf. Für Pääbo und Kollegen liegt damit die Erklärung auf der Hand: Die Vermischung muss stattgefunden haben, noch bevor sich die Populationen voneinander abspalteten, aus denen heutige Europäer und Asiaten hervorgingen.
Im Allgemeinen geht man heute davon aus, dass der moderne Mensch aus Afrika kommend den Mittleren Osten sowie die Levante besiedelte, dann sowohl westwärts nach Europa als auch ostwärts nach Asien abbog, um schließlich den ganzen Erdball zu bevölkern. Die Neandertaler wanderten ebenfalls: aus dem europäischen Kernland südwärts und weiter in Richtung Osten nach Westasien. Aus dem Fehlen von Funden in anderen Regionen schließen Forscher, dass ihr Verbreitungsgebiet auf diese Gegenden beschränkt blieb.
Geografisch gesehen kommt als Ort für den entscheidenden Kontakt also nur der Mittlere Osten in Frage. Danach trug ein Teil der dortigen Homo-sapiens-Bevölkerung die übernommenen Genvarianten nach Europa, der andere trug sie nach Asien. In Europa selbst dürfte den Befunden zufolge kein weiterer Gentransfer stattgefunden haben.
Ein bisschen Neandertaler
Ein Problem bei der Berechnung der Ähnlichkeit ist allerdings, dass beide Genome in hohem Maße übereinstimmen und viele Gene in denselben Varianten auftauchen. Mit einer einfachen Suche nach identischen Abschnitten ist es also nicht getan. Stattdessen verlegten sich die Wissenschaftler auf indirekte Verfahren. Beispielsweise verglichen sie eine Vielzahl von Neandertaler-Genvarianten mit ihren Gegenstücken auf den menschlichen Sequenzen und überprüften, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, in den Daten der einzelnen Herkunftsorte fündig zu werden. Dabei zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit die identische Variante in einem nicht-afrikanischen Genom zu entdecken, insgesamt gesehen leicht erhöht war. Auch Varianten, die heute nur außerhalb Afrikas verbreitet sind, finden sich häufiger beim Neandertaler.
Summa summarum sei der sich aus diesen Überlegungen ergebende Gesamtanteil des vom Neandertaler übernommenen Erbguts eher mager, so die Forscher: ein bis vier Prozent ihrer Gene dürften Menschen außerhalb Afrikas dem Tête-à-tête ihrer Urahnen mit dem Eiszeitmenschen verdanken. Damit müsse die Vermischung deutlich begrenzt gewesen sein, da die anschließende Expansion des Homo sapiens die Häufigkeit neu hinzugewonnener Erbgutvarianten eher erhöht denn verringert hätte.
Die gängige Theorie, dass der moderne Mensch in Afrika entstand, wird angesichts dieser Befunde also nicht auf den Kopf gestellt: Heutige Europäer sind nicht zu auch nur annähernd gleichen Teilen aus H. neanderthalensis und afrikanischem H. sapiens entstanden, wie von einzelnen Wissenschaftlern gemutmaßt.
Was macht den Menschen zum Menschen?
All das sei "cool", meint Pääbo, aber beileibe nicht das einzig Interessante. Die Daten würden Wissenschaftlern außerdem die Chance eröffnen, nach dem kleinen – aber entscheidenden – Unterschied zu fahnden. Was macht den Menschen zum Menschen?
Manche Gene unterscheiden sich bei beiden Arten stark und scheinen sich darüber hinaus besonders schnell verändert zu haben. Nach solchen und weiteren Anzeichen einer positiven Selektion, bei der die Evolution bestimmte Ausprägungen gegenüber anderen bevorzugt zu haben scheint, klopften Pääbo und seine Forscherkollegen die neugewonnene Basensequenz ab. Und auch hier kamen bereits Kandidaten zum Vorschein, die in unser Bild von der Menschwerdung passen. Einige der so identifizierten Gene greifen beispielsweise in die Ausformung körperlicher Merkmale ein. Personen, die über eine gestörte Variante verfügen, entwickeln unter anderem einen Brustkorb, wie er für Neandertaler charakteristisch ist, oder neigen zur Ausbildung neandertalertypischer Überaugenwülsten.
Auch Gene, die an der kognitiven Entwicklung beteiligt sind, ließen sich bereits unter diesen "einzigartig menschlichen" Erbfaktoren ausmachen. Bei modernen Menschen führt ihre Mutation zum Beispiel zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, an Schizophrenie oder Autismus zu leiden. All diese Ergebnisse sind allerdings noch tendenziell vorläufig – hier erwarten die Wissenschaftler genauere Erkenntnisse erst im Laufe der Zeit, zumal für viele Gensequenzen noch überhaupt nicht geklärt ist, welche Funktion sie im Organismus übernehmen.
Vielleicht doch getrennte Wege
Auch die Deutung der Befunde als Ergebnis einer begrenzten Vermischung wird auf Dauer nicht unwidersprochen bleiben. Pääbo und Mitarbeiter halten sie für die sparsamste Interpretation, bieten aber auch Alternativen an. Möglicherweise entstanden heutige Afrikaner und Nicht-Afrikaner aus zwei getrennten Unterpopulationen in Afrika, von denen eine mehr Ähnlichkeit zu den Neandertalern aufwies als die andere. Dann wären die beobachteten Unterschiede das Resultat historischer Zufälle und nicht das Ergebnis eines Gentransfers im Mittleren Osten.
Auch sei es möglich, dass sich der eiszeitliche Homo sapiens und Neandertaler in Europa durchaus häufig mischten. Die Spuren wurden dann aber verwischt, als etwa im Rahmen der jungsteinzeitlichen Expansion andere Bevölkerungsgruppen einwanderten, in deren Ahnenreihe keine solchen Aufeinandertreffen stattfanden.
Für ausgeschlossen halten es die Forscher übrigens, dass die größeren Ähnlichkeiten mit nicht-afrikanischem Genom dadurch zu erklären sind, dass hauptsächlich nicht-afrikanische Wissenschaftler an der Sequenzierung beteiligt waren. Um das Ergebnis allein durch Kontamination erklären zu können, müsse der Grad der Verunreinigung um rund eine Größenordnung höher liegen als von den Forschern ermittelt.
Bleibt am Ende noch eine weitere Frage, deren Antwort erst die Zeit bringen wird. Einer verbreiteten Definition zufolge gehören zwei Individuen zur selben Spezies, wenn sie zeugungsfähige Nachkommen produzieren können. Tragen wir tatsächlich Neandertaler-DNA in uns, müssten zumindest einige unserer Urahnen genau das getan haben. Der Homo neanderthalensis hieße dann Homo sapiens neanderthalensis – wir wären von einer Art. Jan Dönges
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