Physikochemie: Der optische Blick auf magnetische Kerne
Wenn Mediziner ihre Patienten und Chemiker ihre Proben in die Röhre schieben, bringen starke magnetische Felder die Atomkerne in deren Inneren zum Tanzen. Zu wissen, wer sich wie dreht, verrät dabei den Aufbau von Organen wie Molekülen. Der Einsatz von Laserlicht als empfindliche Mess-Sonde könnte die Genauigkeit der Kernspinresonanzverfahren in Zukunft bedeutend steigern.
"Wozu kann das gut sein?", wollen Unternehmer und Politiker allzu gerne wissen, wenn Wissenschaftler Gelder brauchen, um ihrer Neugierde zu frönen. Wer in Zeiten knapper Kassen forschen will, tut gut daran, auf Zuruf einen trifftigen Grund aus dem Ärmel schütteln zu können. Wissenschaft soll Anwendungen nach sich ziehen – und zwar schnell. Innovationen aus der Fünf-Minuten-Terrine sind gefragt, keine träumerischen Experimente ohne sichere Produkt-Rendite. Wo kämen wir denn hin, wenn Forschung einfach wurschteln dürfte, wo sie will?
Wir kämen voran. Das lehrt ein Blick zurück in der Geschichte von Naturwissenschaft und Technik. Sieht man einmal ab von solchen wirtschaftsfreundlichen Innovationen wie tragbaren Telefone, die beim Gehen unsere Hosentaschen von innen fotografieren, stellt sich heraus, dass die wirklich großen Fortschritte stets mit einer völlig zweckfreien Grundlagenforschung anfingen. "Wollen wir doch mal sehen", liegt der gesamten Molekularbiologie inklusive eines erheblichen pharmazeutischen Teils ebenso zugrunde wie der relativitätskorrigierten Navigationstechnologie. Traditionell stehen am Anfang echter Innovationen Neugierde und Spieltrieb – der Marketingplan kommt später.
Ein schönes Beispiel für eine Forschungsrichtung, die ursprünglich zu nichts nutze war und dann nicht nur selbst als Produkt marktfähig wurde, sondern ganz erheblich auf andere, völlig fremde Gebiete förderlich wirkte, ist die Kernspinresonanz. Sechzig Jahre ist es her, dass Wissenschaftler fasziniert mit Magnetfeldern experimentierten, die so stark waren, dass sie Atomkerne wie kleine Kompassnadeln ausrichten konnten. Zusätzlich eingestrahlte Radiowellen ließen die Kerne sogar einen wackligen Tanz vollführen. Faszinierend und auf den ersten Blick einwandfrei nutzlos. Erst später erkannten Forscher die Möglichkeiten dieses Effektes und entwickelten Apparaturen, mit denen Chemiker die Strukturen unbekannter Moleküle bequem ermitteln, Mediziner ohne Skalpell oder Röntgenstrahlung die weichen Organe des Körpers untersuchen und Neurobiologen sich anschicken, dem Menschen beim Denken zuzuschauen.
Grundlage all dieser Anwendungen ist das magnetische Moment der meisten Atomkerne. Es resultiert aus den Spin-Eigenschaften der Protonen, die den Kern vereinfacht gesprochen zu einem winzigen magnetischen Kreisel machen. Auf ein starkes äußeres Magnetfeld reagieren die Atomkerne dementsprechend, indem sie sich fein säuberlich danach ausrichten. Kommt ein weiteres Magnetfeld hinzu, das senkrecht zum ersten steht, kippt dies die Kerne ein Stück zur Seite. Sie beginnen zu präzessieren, was heißt, dass ihre Drehachse wie bei einem torkelnden Kreisel um eine Mittelachse schwankt. Besonders kräftig wird die Präzession, wenn das zusätzliche Magnetfeld rhytmisch an- und abgestellt wird. Geschieht dies in der passenden Resonanzfrequenz, legen sich die Kerne sogar vollends auf die Seite und folgen dem Wechselfeld.
Einen analytischen Wert erhält der Tanz der Kerne dadurch, dass die jeweilige Resonanzfrequenz (auch Larmorfrequenz genannt) von mehreren Größen abhängig ist. Je nach Art des Atoms und Beschaffenheit seiner Umgebung verschiebt sich ihr exakter Wert. Lässt sich die Resonanzfrequenz bestimmen, kann ein geübter Wissenschaftler daraus ermitteln, welches Element in welcher Isotopenvariante als Teil welcher chemischen Gruppe in der Apparatur steckt. Kurz: der gesamte chemische Aufbau eines Moleküls.
In ihren Demonstrationsversuchen bestrahlten sie eine Lösung von Xenon in Wasser mit Laserlicht. Dessen elektromagnetisches Feld rotierte gewissermaßen im Gleichschritt und wurde vom magnetischen Feld der Elektronenspins beeinflusst, das selbst wiederum mit dem Kernspin in Wechselwirkung stand. Es entstand eine magneto-optische Kopplung, die als Faraday-Effekt bekannt ist. Dadurch veränderte der Spin der Kerne die Polarisationsrichtung des Laserlichts – messbar.
Die neue Methode mit dem Namen Nuclear-Spin Optical Rotation (NSOR) ist noch nicht so empfindlich wie Mikrospulen. Dafür sollte sie mit fokussiertem Laserlicht Auflösungen bis in den Bereich von wenigen Mikrometern erreichen. Und das mit einer einfacher aufgebauten Sensortechnik, weil einzelne Photonen leichter zu messen sind als schwache Magnetfelder. Auch die medizinische Diagnostik könnte davon profitieren, denn infrarotes Laserlicht dringt mehrere Zentimeter tief in das Gewebe ein. Und schließlich könnten in der Chemie optische und Kernspin-basierte Analysen kombiniert werden. Eine Rundum-Durchleuchtung der Proben in einem Durchgang.
Wir dürfen für die Zukunft also noch einiges erwarten von der Kernspinresonanz. Was als spielerische Neugierde begann, hat sich zu einem der wichtigsten Analyseinstrumente gemausert und steht noch längst nicht am Ende seiner Entwicklung. Wie gut, dass Wissenschaftler mitunter doch noch einfach ins Blaue forschen dürfen.
Wir kämen voran. Das lehrt ein Blick zurück in der Geschichte von Naturwissenschaft und Technik. Sieht man einmal ab von solchen wirtschaftsfreundlichen Innovationen wie tragbaren Telefone, die beim Gehen unsere Hosentaschen von innen fotografieren, stellt sich heraus, dass die wirklich großen Fortschritte stets mit einer völlig zweckfreien Grundlagenforschung anfingen. "Wollen wir doch mal sehen", liegt der gesamten Molekularbiologie inklusive eines erheblichen pharmazeutischen Teils ebenso zugrunde wie der relativitätskorrigierten Navigationstechnologie. Traditionell stehen am Anfang echter Innovationen Neugierde und Spieltrieb – der Marketingplan kommt später.
Ein schönes Beispiel für eine Forschungsrichtung, die ursprünglich zu nichts nutze war und dann nicht nur selbst als Produkt marktfähig wurde, sondern ganz erheblich auf andere, völlig fremde Gebiete förderlich wirkte, ist die Kernspinresonanz. Sechzig Jahre ist es her, dass Wissenschaftler fasziniert mit Magnetfeldern experimentierten, die so stark waren, dass sie Atomkerne wie kleine Kompassnadeln ausrichten konnten. Zusätzlich eingestrahlte Radiowellen ließen die Kerne sogar einen wackligen Tanz vollführen. Faszinierend und auf den ersten Blick einwandfrei nutzlos. Erst später erkannten Forscher die Möglichkeiten dieses Effektes und entwickelten Apparaturen, mit denen Chemiker die Strukturen unbekannter Moleküle bequem ermitteln, Mediziner ohne Skalpell oder Röntgenstrahlung die weichen Organe des Körpers untersuchen und Neurobiologen sich anschicken, dem Menschen beim Denken zuzuschauen.
Grundlage all dieser Anwendungen ist das magnetische Moment der meisten Atomkerne. Es resultiert aus den Spin-Eigenschaften der Protonen, die den Kern vereinfacht gesprochen zu einem winzigen magnetischen Kreisel machen. Auf ein starkes äußeres Magnetfeld reagieren die Atomkerne dementsprechend, indem sie sich fein säuberlich danach ausrichten. Kommt ein weiteres Magnetfeld hinzu, das senkrecht zum ersten steht, kippt dies die Kerne ein Stück zur Seite. Sie beginnen zu präzessieren, was heißt, dass ihre Drehachse wie bei einem torkelnden Kreisel um eine Mittelachse schwankt. Besonders kräftig wird die Präzession, wenn das zusätzliche Magnetfeld rhytmisch an- und abgestellt wird. Geschieht dies in der passenden Resonanzfrequenz, legen sich die Kerne sogar vollends auf die Seite und folgen dem Wechselfeld.
Einen analytischen Wert erhält der Tanz der Kerne dadurch, dass die jeweilige Resonanzfrequenz (auch Larmorfrequenz genannt) von mehreren Größen abhängig ist. Je nach Art des Atoms und Beschaffenheit seiner Umgebung verschiebt sich ihr exakter Wert. Lässt sich die Resonanzfrequenz bestimmen, kann ein geübter Wissenschaftler daraus ermitteln, welches Element in welcher Isotopenvariante als Teil welcher chemischen Gruppe in der Apparatur steckt. Kurz: der gesamte chemische Aufbau eines Moleküls.
Das Problem ist nur, herauszufinden, wann genau die magische Frequenz getroffen ist. Üblicherweise wird dazu mit einer Spule die Energie gemessen, welche die präzessierenden Kernkreisel abstrahlen, wenn sie sich kurzfristig von dem anregenden Magnetfeld erholen dürfen. Ein Verfahren, das sich in den vergangenen sechzig Jahren praktisch nicht geändert hat. Mike Romalis von der US-amerikanischen Universität Princeton und seine Kollegen haben nun einen Weg gefunden, die Informationen optisch auszulesen. Mit einem Laser wollen sie räumliche Auflösungen erreichen, die mit der Spulentechnik nicht möglich wären.
In ihren Demonstrationsversuchen bestrahlten sie eine Lösung von Xenon in Wasser mit Laserlicht. Dessen elektromagnetisches Feld rotierte gewissermaßen im Gleichschritt und wurde vom magnetischen Feld der Elektronenspins beeinflusst, das selbst wiederum mit dem Kernspin in Wechselwirkung stand. Es entstand eine magneto-optische Kopplung, die als Faraday-Effekt bekannt ist. Dadurch veränderte der Spin der Kerne die Polarisationsrichtung des Laserlichts – messbar.
Die neue Methode mit dem Namen Nuclear-Spin Optical Rotation (NSOR) ist noch nicht so empfindlich wie Mikrospulen. Dafür sollte sie mit fokussiertem Laserlicht Auflösungen bis in den Bereich von wenigen Mikrometern erreichen. Und das mit einer einfacher aufgebauten Sensortechnik, weil einzelne Photonen leichter zu messen sind als schwache Magnetfelder. Auch die medizinische Diagnostik könnte davon profitieren, denn infrarotes Laserlicht dringt mehrere Zentimeter tief in das Gewebe ein. Und schließlich könnten in der Chemie optische und Kernspin-basierte Analysen kombiniert werden. Eine Rundum-Durchleuchtung der Proben in einem Durchgang.
Wir dürfen für die Zukunft also noch einiges erwarten von der Kernspinresonanz. Was als spielerische Neugierde begann, hat sich zu einem der wichtigsten Analyseinstrumente gemausert und steht noch längst nicht am Ende seiner Entwicklung. Wie gut, dass Wissenschaftler mitunter doch noch einfach ins Blaue forschen dürfen.
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