News: Der Prüfer ist nicht der König
Zwischen 1991 und 1995 hat Dr. Meer 20 Prüfungsgespräche in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern aufgenommen und transkribiert. Die Auswertung der Abschriften verfolgt eine doppelte Zielsetzung: In einem ersten Schritt geht es um die Entwicklung eines analytischen Modells, das dazu geeignet ist, die Bandbreite und Grenzen der Handlungsspielräume von Prüfer und Prüfling zu ermitteln. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen sind anschließend die Grundlage für weiterführende hochschuldidaktische Überlegungen, die sich an den tatsächlichen institutionellen und kommunikativen Möglichkeiten der beteiligten Personen orientieren.
Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung ist ein von Foucault modifizierter Machtbegriff; Machtverhältnisse sind demnach kein einfacher Mechanismus aus Macht und Unterdrückung. Vielmehr stellt Foucault heraus, daß auch die Handlungen der "Mächtigen" nicht ihrem freien Willen unterliegen und Ausdruck individueller Willkür sind, sondern durch ihre jeweilige institutionelle Position vorstrukturiert werden.
Für die Institution Hochschule heißt das: In Anwesenheit weiterer Kollegen, etwa Prüfungsvorsitzende und Protokollanten, können sich Prüfende nur anhand überzeugender Leistungen ihrer Kandidatinnen und Kandidaten auch als "gute" Lehrende präsentieren. Diese Gegenabhängigkeit wirkt sich durchgängig auf das Gesprächsverhalten aus: so üben sich Hierarchiehöhere zumeist in Zurückhaltung und demonstrativem Wohlwollen, während Prüfungskandidaten möglichst unaufgefordert aktiv werden. Dies jedoch widerspricht ihrem Verhalten im Hoch-schulalltag, wo Dozenten im Mittelpunkt von Veranstaltungen stehen und Studierende, zumindest in den großen Fächern deutscher Universitäten, eher unbeobachtet in der Masse untergehen.
Damit begeben sich Studierende in eine Situation, die sie im Laufe ihres Studiums selten bis nie trainiert haben und deren Anforderungen sie oft nicht kennen; Krisen sind vorprogrammiert. Unter dem Druck der Benotung und der Gegenabhängigkeit der Prüfer von den Leistungen ihrer Kandidaten können sie kaum ohne Imageverletzungen beider Beteiligten bewältigt werden. Basierend auf diesen Beobachtungen leitet Dr. Meer konkrete Veränderungs- und Betreuungsvorschläge ab, mit dem didaktischen Ziel, Krisen in mündlichen Prüfungen möglichst von vornherein zu vermeiden. Dabei hilft eine bessere Betreuung Studierender bereits während des Hauptstudiums, um neben den fachlichen auch die interaktionellen Anforderungen der Prüfungssituation zu vermitteln.
Darüber hinaus entwirft Dr. Meer in ihrer Dissertation konkrete kommunikative Strategien für beide Seiten: Krisen lassen sich verhindern, wenn z.B. Prüfende ihr eigenes Wissen nur dort einsetzen, wo es unbedingt notwendig ist, wenn sie Eigeninitiativen der Kandidaten unterstützen und konfrontative Passagen im Gespräch mit kooperativen abwechseln – wer durchgängig den "advocatus diaboli" spielt, belastet Prüfungskandidaten zusätzlich und kann so das eigene Image schädigen. Ebenso tragen anhaltende Monologe der Prüfer bei Wissensdefiziten der Kandidaten kaum zur Rettung der Situation bei; in diesem Fall ist eher eine Senkung der Anforderungen oder eine Verlagerung des Gesprächs-Fokus hilfreich.
Mit ihrer Dissertation leistet Dr. Meer einen Beitrag, das bisher mangelnde Wissen um die konkreten Abläufe und Abhängigkeiten in mündlichen Prüfungen auf empirischer Grundlage zu erweitern. Die Untersuchung dieser besonderen Gesprächssituation zeigt als Tenor, daß die Handlungsmöglichkeiten der beteiligten Personen an den Grenzen der jeweiligen Institution enden. An der Hochschule werden diese sowohl durch die Standards wissenschaftlichen Sprechens und Denkens als auch durch die jeweils unterschiedlichen Formen des eigenen Imageschutzes markiert. Die Dissertation "Der Prüfer ist nicht der König – Mündliche Abschlußprüfungen in der Hochschule.
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