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Lebende Fossilien: Der Quastenflosser verliert seinen Sex-Appeal

Im Dezember 1938 ging der Crew des Fischerboots Nerine vor der Ostküste Südafrikas ein seltsames Wesen ins Netz. Zweifellos ein Fisch mit länglichem Körper und stahlblauen Schuppen. Doch seine fleischigen, runden Flossen standen ihm vom Körper ab wie Beine. Als der Fischkundler James Smith aus Grahamstown das Tier sah, war er außer sich: "Ich hätte kaum erstaunter sein können, wenn mir auf der Straße ein Dinosaurier begegnet wäre." Das Tier war ein "Quastenflosser", eine Fischspezies, die als seit rund 70 Millionen Jahren ausgestorben galt.

Eine Sensation, befand Smith und widmete dem Fisch ein ganzes Buch. Wegen seiner beinartigen Flossen gab er ihm den Spitznamen "old four leg", alter Vierbeiner. Der Quastenflosser, so schrieb Smith, sei der Vorfahre des ersten Fisches, der an Land gekrabbelt sei. Der Fisch also, aus dem sich die ersten Vierbeiner entwickelten. Und so ging der Quastenflosser als "Brückentier" in die Lehrbücher ein. Nun müssen einige Biologiewälzer umgeschrieben werden.

"Smith lag falsch", sagt der Evolutionsbiologe Axel Meyer von der Universität Konstanz. Er und rund 90 Forschergruppen verschiedener Universitäten haben erstmals das komplette Erbgut eines Quastenflossers aufgeschlüsselt. Sie verglichen es mit den Genen von Lungenfischen und 14 verschiedenen Landwirbeltieren, darunter zum Beispiel Elefanten, Hühner und Frösche. Das Resultat: Der westafrikanische Lungenfisch – ein "Doppelatmer", der sowohl Kiemen als auch Lungen hat – ist den Landwirbeltieren offenbar viel ähnlicher als der Quastenflosser, wie die Forscher im Magazin "Nature" berichten.

Lungenfische und Quastenflosser zählen zu den Fleischflossern. Im Gegensatz zu den hauchdünnen Strahlenflossen anderer Fische sind ihre massigen Brust- und Bauchflossen über Knochen mit der Skelettachse verbunden und werden von Muskeln getragen. Dank dieser Muskeln kann der Quastenflosser seine Flossen im "Kreuzgang" bewegen, dem charakteristischen Laufmuster der Landwirbeltiere. Unter Paläontologen, die sich vor allem für die Anatomie der Tiere interessierten, galt der Quastenflosser deshalb lange als bester Kandidat für das Bindeglied zwischen Fisch und Vierbeiner.

Nur ein Seitenast im Stammbaum der Landbewohner

Zweifel an dieser Theorie kamen vor allem von Evolutionsbiologen und Genetikern. Ihrer Ansicht nach reichen Gemeinsamkeiten im Knochenbau nicht aus, um Verwandtschaft zwischen zwei Arten zu belegen. "Dazu muss man erst beweisen, dass sie sich auch genetisch ähneln", sagt Meyer.

Deshalb machten er und seine Kollegen sich daran, das Quastenflosser-Genom im Detail zu entziffern. Sie isolierten Erbgut aus Gehirn-, Leber- und Muskelgewebe eines konservierten Quastenflossers, der schon seit Jahren in einem Museum in Südafrika ausgestellt war. Ein "frisches" Exemplar durften die Forscher nicht fangen, da die Tiere heute vom Aussterben bedroht sind. In jahrelanger Arbeit decodierten die Forscher jeden einzelnen Baustein des Erbgutes – insgesamt mehr als drei Milliarden Basen. Danach stand fest: Im Stammbaum der Wirbeltiere ist der Quastenflosser kein direkter Ahne der Landbewohner, sondern lediglich ein Seitenast.

"Das nimmt ihm zwar viel von seinem Sexappeal", sagt Meyer. "Trotzdem liefert uns sein Genom wertvolle Hinweise darauf, wie sich Fische genetisch verändern mussten, um an Land zu überleben." Markante Veränderungen fanden die Forscher etwa in den Genen, die den Geruchsinn steuern. Im Erbgut der untersuchten Landtiere waren diese Steuergene anders verschaltet als bei den Quastenflossern. "Das ist plausibel, denn für Gerüche in der Luft sind andere Rezeptoren nötig als für Duftmoleküle im Wasser", sagt Mitautorin Jessica Alföldi vom Broad-Institut in Massachusetts.

Auch in den Genen, die das Immunsystem steuern, entdeckten die Forscher Unterschiede. Im Erbgut des Quastenflossers fehlten etwa die Gene für eine Antikörperklasse, die in allen Landwirbeltieren vorkommen. "Landtiere haben diese Antikörper also erst als Reaktion auf Keime an Land entwickelt", schlussfolgert Alföldi.

Die meisten Wandlungen erschienen den Forschern logisch. Nur ein Fund überraschte sie: "Der Quastenflosser hat ein Gen, das in Säugetieren für die Bildung des Mutterkuchens zuständig ist", sagt Alföldi. "Aber Fische haben nicht einmal eine Gebärmutter." Die Forscher vermuten, dass das Gen im Quastenflosser noch eine ganz andere Funktion hatte als in höher entwickelten Tieren. Das zeigt, dass im Laufe der Evolution nicht nur Gene verloren gingen oder hinzukamen, sondern sich auch ihre Funktion veränderte.

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