Genetik: Der Rhesusfaktor
Jetzt sind es bereits drei: Nach Mensch und Schimpanse liegt mit dem Rhesusaffen das dritte entzifferte Erbgut eines Primaten vor. Es gewährt nicht nur Einblicke in die Evolution dieser Säugetierordnung, sondern zeigt auch, was den Mensch zum Menschen macht.
Sein wissenschaftlicher Durchbruch gelang 1940: In seinem Blut spürten damals die Serologen Karl Landsteiner und Alexander Wiener ein erbliches Merkmal auf, das als "Rhesusfaktor" Eingang in die medizinische Literatur fand. Seitdem ist Macaca mulatta, wie der in Asien beheimatete Rhesusaffe in Zoologenkreisen genannt wird, ein begehrtes Versuchstier. So hat sein Einsatz bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen die Kinderlähmung sicherlich vielen Menschen das Leben gerettet.
Die 20-Millionen-Dollar-Frage
"Wir möchten wissen, was uns menschlich macht", begründet Richard Gibbs vom Baylor College of Medicine das 20-Millionen-Dollar-Projekt, bei dem sich mehr als 170 Wissenschaftler aus 35 Forschungsinstituten zusammengetan haben.
Vom Rhesusaffen trennen uns nicht wie beim Schimpansen sechs, sondern 25 Millionen Jahre. Doch immerhin teilen wir mit ihm noch etwa 93 Prozent des Erbguts; 97,5 Prozent der Gene sind bei allen drei Primatenspezies gleich. Interessant sind allerdings vor allem die Unterschiede.
So konnten die Forscher bei einem interspezifischen Vergleich von 10 376 Genen insgesamt 178 Erbfaktoren aufspüren, die bei den drei Arten stärker voneinander abwichen, als es zufällige Mutationen vermuten lassen. Hier waren vor allem Gene betroffen, die beim Haarwuchs, aber auch beim Immunsystem, bei bestimmten Membranproteinen oder bei der Verschmelzung von Spermium und Eizelle mitmischen. Offensichtlich hatte hier die Selektion ihre Hand im Spiel, die beispielsweise das spärliche menschliche Haarkleid nach Klimaveränderungen erzwang. Da etliche dieser veränderungsfreudigen Gene in Abschnitten lagen, die häufiger von Genverdopplungen betroffen waren, vermuten die Forscher, dass derartige Duplikationen die Evolution der Primaten – und damit auch des Menschen – vorangetrieben haben.
Dies könnte beispielsweise auch auf die Genfamilie zutreffen, die auf den Namen PRAME (preferentially expressed antigen of melanoma) hört. Der Mensch trägt auf Chromosom 1 mindestens 26 dieser Gene, die bei verschiedenen Krebskrankheiten eine fatale Rolle spielen. Der Schimpanse hat ähnlich viele davon; beim Rhesusaffen sind es jedoch nur acht. "Die Gruppe ist sehr einfach und blieb über Millionen Jahre stabil", beschreibt Webb Miller von der Pennsylvania State University die überraschende Überschaubarkeit der PRAME-Familie beim Makaken.
Übernommene Altlasten
Das 2,9 Milliarden Basenpaare lange Rhesusaffengenom – es war übrigens eine Affendame von der Southwest Foundation for Biomedical Research in San Antonio, die ihre Gene zur Verfügung stellte – offenbarte noch mehr Überraschungen: Mehr als 200 Positionen kannten die Forscher bereits vom Menschen – als genetische Risikofaktoren. Doch was uns krank macht, könnte für Affen der gesunde Normalfall zu sein. So fanden die Forscher beim Menschen 97 Mutationen, die sowohl beim Schimpansen als auch beim Rhesusaffen völlig normal zu sein scheinen. In 84 Fällen trat die krankheitsauslösende Version nur beim gesunden Rhesusaffen auf.
Ein Beispiel hierfür ist die Phenylketonurie, eine Stoffwechselkrankheit, von der etwa jedes 10 000. Kind betroffen ist. Ausgelöst wird sie durch eine Mutation auf Chromosom 12 – Rhesusaffen bleiben jedoch trotz gleicher Basenabfolge gesund. Vermutlich wandelten veränderte Ernährungsgewohnheiten unserer Vorfahren ein normales Gen zu einer Erbkrankheit. Damit könnten etliche genetisch bedingte Leiden nichts anderes sein als übernommene Altlasten unserer tierischen Ahnen.
Rhesusaffe ist natürlich nicht gleich Rhesusaffe. Wie beim Menschen gibt es auch hier individuelle Feinheiten mit Abweichungen in einem einzigen DNA-Baustein.
Diese Populationsunterschiede sind nicht nur evolutionsbiologisch interessant. Schließlich zeigen sich chinesische Rhesusaffen deutliche widerstandsfähiger gegen Infektionen mit SIV, dem Verwandten des Aids-Erregers HIV. Und da die Tiere bei der Aids-Forschung eine zentrale Rolle spielen, sollte der Einblick in ihr Erbgut auch hier wichtige Erkenntnisse liefern.
Nach dem Genomprojekt ist vor dem Genomprojekt. Die Erbgutanalytiker sind fleißig dabei, auch die genetischen Geheimnisse andere Primaten wie Orang-Utan oder Gibbon zu lüften; als nächstes soll der Pavian fertig werden. Die Forscher können hier auf ihre gesammelten Erfahrungen aufbauen, wenn auch jedes Erbgut seine Tücken zeigen wird, wie Ajit Varki von der Universität von Kalifornien in San Diego warnt: "Auf genetischer Ebene verläuft die Evolution extrem chaotisch, einschließlich aller denkbaren Mechanismen und vielleicht mit vielen Sackgassen und Finten. Die Bedeutung dieser molekularen Veränderungen zu entziffern, wird sehr viel komplizierter werden, als wir uns vorstellen."
Doch nicht nur deshalb interessieren sich Genetiker brennend für das nach dem Trakerkönig Rhesos, der auf der Seite der Troianer gegen Odysseus gefochten haben soll, benannte Tier. Schließlich gehört der Makak zur gleichen Säugetierordnung wie Homo sapiens. Nachdem unser eigenes Genom seit 2001 und das unseres nächsten Verwandten, des Schimpansen, seit 2005 entziffert vorliegt, blieb es eine Frage der Zeit, bis auch der dritte Primat sein Erbgut preisgibt. Im vergangenen Jahr hat das "Rhesus Macaque Genome Sequencing and Analysis Consortium" eine erste Fassung ins Internet gestellt, jetzt folgt die "offizielle" Präsentation in der Zeitschrift Science.
Die 20-Millionen-Dollar-Frage
"Wir möchten wissen, was uns menschlich macht", begründet Richard Gibbs vom Baylor College of Medicine das 20-Millionen-Dollar-Projekt, bei dem sich mehr als 170 Wissenschaftler aus 35 Forschungsinstituten zusammengetan haben.
"Wir möchten wissen, was uns menschlich macht"
(Richard Gibbs)
Das Genom des Schimpansen hatte schon wichtige Einblicke in die Evolution des Menschen geliefert. Doch erst der Vergleich mit einem dritten nahen Verwandten verrät, welche genetischen Eigenschaften der Mensch neu erworben hat und welche er als altes Erbe mitschleppt. (Richard Gibbs)
Vom Rhesusaffen trennen uns nicht wie beim Schimpansen sechs, sondern 25 Millionen Jahre. Doch immerhin teilen wir mit ihm noch etwa 93 Prozent des Erbguts; 97,5 Prozent der Gene sind bei allen drei Primatenspezies gleich. Interessant sind allerdings vor allem die Unterschiede.
So konnten die Forscher bei einem interspezifischen Vergleich von 10 376 Genen insgesamt 178 Erbfaktoren aufspüren, die bei den drei Arten stärker voneinander abwichen, als es zufällige Mutationen vermuten lassen. Hier waren vor allem Gene betroffen, die beim Haarwuchs, aber auch beim Immunsystem, bei bestimmten Membranproteinen oder bei der Verschmelzung von Spermium und Eizelle mitmischen. Offensichtlich hatte hier die Selektion ihre Hand im Spiel, die beispielsweise das spärliche menschliche Haarkleid nach Klimaveränderungen erzwang. Da etliche dieser veränderungsfreudigen Gene in Abschnitten lagen, die häufiger von Genverdopplungen betroffen waren, vermuten die Forscher, dass derartige Duplikationen die Evolution der Primaten – und damit auch des Menschen – vorangetrieben haben.
Dies könnte beispielsweise auch auf die Genfamilie zutreffen, die auf den Namen PRAME (preferentially expressed antigen of melanoma) hört. Der Mensch trägt auf Chromosom 1 mindestens 26 dieser Gene, die bei verschiedenen Krebskrankheiten eine fatale Rolle spielen. Der Schimpanse hat ähnlich viele davon; beim Rhesusaffen sind es jedoch nur acht. "Die Gruppe ist sehr einfach und blieb über Millionen Jahre stabil", beschreibt Webb Miller von der Pennsylvania State University die überraschende Überschaubarkeit der PRAME-Familie beim Makaken.
Übernommene Altlasten
Das 2,9 Milliarden Basenpaare lange Rhesusaffengenom – es war übrigens eine Affendame von der Southwest Foundation for Biomedical Research in San Antonio, die ihre Gene zur Verfügung stellte – offenbarte noch mehr Überraschungen: Mehr als 200 Positionen kannten die Forscher bereits vom Menschen – als genetische Risikofaktoren. Doch was uns krank macht, könnte für Affen der gesunde Normalfall zu sein. So fanden die Forscher beim Menschen 97 Mutationen, die sowohl beim Schimpansen als auch beim Rhesusaffen völlig normal zu sein scheinen. In 84 Fällen trat die krankheitsauslösende Version nur beim gesunden Rhesusaffen auf.
Ein Beispiel hierfür ist die Phenylketonurie, eine Stoffwechselkrankheit, von der etwa jedes 10 000. Kind betroffen ist. Ausgelöst wird sie durch eine Mutation auf Chromosom 12 – Rhesusaffen bleiben jedoch trotz gleicher Basenabfolge gesund. Vermutlich wandelten veränderte Ernährungsgewohnheiten unserer Vorfahren ein normales Gen zu einer Erbkrankheit. Damit könnten etliche genetisch bedingte Leiden nichts anderes sein als übernommene Altlasten unserer tierischen Ahnen.
Rhesusaffe ist natürlich nicht gleich Rhesusaffe. Wie beim Menschen gibt es auch hier individuelle Feinheiten mit Abweichungen in einem einzigen DNA-Baustein.
Die Evolution läuft extrem chaotisch ab – mit vielen Sackgassen und Finten"
(Ajit Varki)
Als die Forscher um Carlos Bustamante von der Cornell-Universität Genomabschnitte von 9 chinesischen und 38 indischen Rhesusaffen zusätzlich sequenzierten, konnten sie insgesamt 1476 derartiger SNPs (single nucleotide polymorphisms) ausmachen. Aus dem Vergleich schätzen die Forscher, dass sich die beiden Affenpopulationen vor 162 000 Jahren aufgetrennt haben. (Ajit Varki)
Diese Populationsunterschiede sind nicht nur evolutionsbiologisch interessant. Schließlich zeigen sich chinesische Rhesusaffen deutliche widerstandsfähiger gegen Infektionen mit SIV, dem Verwandten des Aids-Erregers HIV. Und da die Tiere bei der Aids-Forschung eine zentrale Rolle spielen, sollte der Einblick in ihr Erbgut auch hier wichtige Erkenntnisse liefern.
Nach dem Genomprojekt ist vor dem Genomprojekt. Die Erbgutanalytiker sind fleißig dabei, auch die genetischen Geheimnisse andere Primaten wie Orang-Utan oder Gibbon zu lüften; als nächstes soll der Pavian fertig werden. Die Forscher können hier auf ihre gesammelten Erfahrungen aufbauen, wenn auch jedes Erbgut seine Tücken zeigen wird, wie Ajit Varki von der Universität von Kalifornien in San Diego warnt: "Auf genetischer Ebene verläuft die Evolution extrem chaotisch, einschließlich aller denkbaren Mechanismen und vielleicht mit vielen Sackgassen und Finten. Die Bedeutung dieser molekularen Veränderungen zu entziffern, wird sehr viel komplizierter werden, als wir uns vorstellen."
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