Direkt zum Inhalt

Jahresrückblick 2019: Quanten, Mond und Klimakrise

2019 war ein Fest für die Forschung: bislag unbekannte Menschenart entdeckt, erstes Bild eines Schwarzen Lochs gemacht, mal wieder auf dem Mond gelandet. Lesen Sie hier, was wichtig war, was umstritten und was gar skandalös.
Konfettiregen

Was war das für ein Jahr! Das erste Foto eines Schwarzen Lochs, zwei Bruchlandungen auf dem Mond, globale Proteste für mehr Klimaschutz – 2019 hatte wahrlich so einiges zu bieten. Manche wissenschaftliche Errungenschaft war sensationell, denken Sie bloß an Googles Quantencomputer. Manche Entscheidung hingegen umstritten – den Bluttest auf Down-Syndrom zur Kassenleistung zu machen etwa.

Die bedeutendsten Ereignisse aus Wissenschaft und Forschung haben wir hier für Sie noch einmal zusammengefasst:

So sieht also ein Schwarzes Loch aus

Lange Zeit bestand wenig Hoffnung, Schwarze Löcher direkt zu beobachten – sie sind nicht nur extrem weit von der Erde entfernt, sondern auch berüchtigterweise schwarz. Doch seit 2019 ist erste Bild eines Schwarzen Lochs bekannt. 200 Wissenschaftler brauchte es dazu und ein virtuelles Riesenteleskop. Möglich war die Aufnahme, weil die Massemonster sehr wohl leuchten. Materie, die knapp außerhalb des Ereignishorizonts um den Abgrund kreist, setzt immense Mengen an Energie frei. Gleichzeitig ist die Technik mittlerweile leistungsfähig genug, um selbst entfernte Objekte zu erfassen. Blinzelten Forscher einst mit metergroßen Spiegeln ins All, verwandeln weltweit kooperierende Arbeitsgruppen inzwischen den gesamten Planeten in ein Teleskop. Auf diese Weise ist gelungen, was unvorstellbar schien: In fünf Tagen Beobachtungszeit erzeugte ein Verbund aus acht Radioteleskopen eine verwaschene Aufnahme aus dem Zentrum der 50 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie M 87. Sie zeigt einen rötlichen Ring und im Zentrum ein Loch so schwer wie sechseinhalb Milliarden Sonnen.

Der Amazonas brannte und brannte und brannte

Zehn Jahre lang schien es, als gebe es Hoffnung für die Regenwälder im Amazonasgebiet: Immer weniger Fläche rodeten Unternehmer für Viehzucht und Rohstoffgewinnung. Schutzbemühungen und internationale Vereinbarungen wirkten, eine Zukunft für das einzigartige Ökosystems schien, wenn nicht gesichert, dann doch wenigstens möglich. Die zehntausenden Feuer im Amazonasgebiet jedoch stellten das in Frage. Sie markieren eine gefährliche Trendwende. Für Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro waren die Großfeuer am Amazonas kein Unfall, sondern Kern seiner Politik. Auch wegen der politischen Entscheidungen der Regierung fürchten Fachleute nicht nur eine Rückkehr zu den drastischen Rodungen der 80er Jahre des 20. Jahrhundert, sondern dass sich der Wald einem kritischen Punkt nähert, an dem er womöglich schon bald unwiederbringlich kollabiert.

Zu gut, um wahr zu sein: ein Bluttest auf Krebs

Von einer »Weltsensation« war im Februar die Rede, nachdem die Mediziner Christof Sohn und Sarah Schott von der Uniklinik Heidelberg auf einer Pressekonferenz einen Bluttest für Brustkrebs vorgestellt hatten. Die Untersuchung sollte die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen zuverlässig früh erkennen und so die Überlebenschancen deutlich erhöhen. Doch bald kamen Zweifel auf. Es gab keine Veröffentlichung, die eine Wirksamkeit belegen würde, und wie sich später herausstellte, ebenso wenig einen marktreifen Test. Dafür wurden nach und nach diverse pikante Details über die verschiedenen Akteure und ihre Verbindungen untereinander bekannt. Inzwischen haben Verantwortliche der Universität und der Klinik den Fall ausführlich untersuchen lassen. Der Abschlussbericht  aber ist noch nicht öffentlich – Christof Sohn ließ die Veröffentlichung im Oktober vom Verwaltungsgericht Karlsruhe vorläufig stoppen. Derzeit liegt der Fall beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, Ausgang ungewiss.

Landen auf dem Mond? Schwierig!

Im Januar schrieb die chinesische Mondsonde Chang'e Geschichte: Die Landefähre samt Rover ist die erste erfolgreiche Mission zur erdabgewandten Seite des Mondes. Die Landung war riskant und technisch anspruchsvoll, denn Funkkontakt war nur über einen Relaissatelliten möglich. Zudem war unbekannt, wie das Gelände des Landegebiets aussah. Umso größer war die Freude über den erfolgreichen Abstieg und den Beginn einer wissenschaftlich hochinteressanten Mission.

Dagegen fanden zwei weitere Teams im Jahr 2019 auf die harte Tour heraus, dass weiche Landungen auf dem Mond alles andere als einfach sind. Am 11. April versuchte ein Team aus Israel sein Glück mit der Sonde Beresheet, die im Mare Serenitatis sanft aufsetzen sollte. Aus dem »sanft« wurde dann nichts, der Raketenmotor fiel aus, und den letzten Daten der Instrumente zufolge schlug das Gerät mit mehr als 3000 Kilometern pro Stunde auf der Oberfläche auf. Indiens erster Landeversuch auf dem Erdtrabanten am 6.  September lief auch nicht viel besser. In einer Höhe von zwei Kilometern über der Mondoberfläche verlor das Kontrollzentrum den Kontakt zum Lander Vikram; im Dezember veröffentlichte die NASA Aufnahmen der Einschlagstelle. Die bei den Landeversuchen entstandenen Krater sind bisher noch unbenannt.

Für Downsyndrom-Bluttests zahlt nun die Kasse

Allein mit dem Blut einer werdenden Mutter lässt sich herausfinden, ob das ungeborene Kind das Down-Syndrom hat. 2019 entschied der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) des Gesundheitswesens, dass Krankenkassen diesen Test bezahlen sollen, sofern ein erhöhtes Risiko für die Chromosomen-Veränderung besteht. Eine gute Entscheidung, sagen Befürworter, weil das Ergebnis frühzeitig Sicherheit gebe. Werdende Eltern könnten bewusst entscheiden, ob sie ein Kind mit Trisomie 21 oder einer von zwei anderen Genveränderungen bekommen möchten. Doch die neue Möglichkeit setzt Frauen auch unter Druck. Kritiker befürchten, dass sich Behinderte in Zukunft noch mehr für ihre Existenz rechtfertigen müssen. Der Bluttest sei damit letztendlich ein Prüfstein für unsere Gesellschaft, argumentieren Fachleute. Die wesentliche Frage: Wie viel Solidarität und Unterstützung können Eltern und ihre behinderten Kinder überhaupt noch erwarten, wenn nun »so etwas nicht mehr sein muss«?

Google verkündete die »Quantum Supremacy«

Nur drei Minuten braucht Googles neuer Quantenchip für eine Aufgabe, an der die schnellsten Supercomputer mehrere tausend Jahre rechnen. Die lang ersehnte Quanten-Überlegenheit schien erreicht. Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich der im Oktober vorgestellte Chip namens Sycamore vor allem als symbolischer Meilenstein. Der Chip hat zunächst nur eine nutzlose Aufgabe gelöst und mit seinen gerade einmal 53 Qubits – so nennt man die Grundbausteine des Quantencomputers – ist er normalen Rechnern nur bedingt überlegen. Die Lücke zu Quantencomputern, die bei tatsächlichen Anwendungen schneller sind als konventionelle Supercomputer, ist noch sehr groß. Trotzdem sind viele Fachleute hoffnungsfroh: Möglicherweise sei dieser erste Chip vergleichbar mit dem Erstflug der Gebrüder Wright – und leite eine neue Ära ein. Es gibt allerdings auch düstere Vorahnungen; wenn jetzt ein großer Quanten-Hype überzogene Erwartungen schüre, könne die darauf folgende Enttäuschung sogar einen »Quanten-Winter« auslösen.

Impfgegner sorgen für schlechten Ruf der HPV-Impfung

In Deutschland wird ab 2020 eine Masern-Impfpflicht für Kitas und Schulen gelten. Das soll große Ausbrüche künftig verhindern und unnötige Debatten um vermeintlich große Risiken verhindern. Viele der klassischen Kinderkrankheiten sind so rar geworden, dass seltene Nebenwirkungen von Impfungen deutlich mehr Sorge auslösen als die Krankheiten selbst. Von diesem Effekt profitierte zuletzt die weit verbreitete Bewegung der Impfgegner. Sie gibt nicht nur der Angst vor den Impfungen eine Stimme, sondern macht zudem mit Pseudowissenschaft und Lügen Propaganda. Mit welch unsittlichen, aber erfolgreichen Methoden die Anhänger arbeiten, hat 2019 ein Fall aus Japan gezeigt. Die Journalistin Riko Muranaka entlarvte eine Kampagne von Impfgegnern, die mit Fake News und Fake Studien die HPV-Impfung sabotierten. Einer der beteiligten Forscher verklagte sie, weil sie dessen Versuch an einer einzelnen Maus als Fälschung erachtete.

Auf der Straße für das Klima

Zumindest was Ausmaß und Heftigkeit der öffentlichen Debatten angeht, waren die Klimasproteste von »Fridays for Future« eines der bedeutendsten politischen Ereignisse des Jahres 2019. Während des ersten weltweiten Klimastreiks am 15. März 2019 demonstrierten nach eigenen Angaben der Bewegung mehr als 2,2 Millionen Menschen in 137 Ländern. Das war allerdings nur der Anfang, denn wohl auch dank ihrer Galionsfigur Greta Thunberg bestimmt Fridays for Future in vielen Ländern die Diskussionen über Klimapolitik. In Deutschland schnürte die Politik eilig ein Klimapaket , nur um es nach einhellig negativen Reaktionen gründlich überarbeiten zu müssen. Die enttäuschenden Ergebnisse nicht nur der nationalen, sondern auch der internationalen Klimapolitik dürften dazu führen, dass die Bewegung im Jahr 2020 weiter demonstrieren wird.

Ein Insel-Mensch, der Nashörner schlachtete

Seit vielen Millionen Jahren gilt: Wer nach Luzon will, muss das Meer überqueren. Vorfahren des modernen Menschen scheint das bereits vor hundertausenden Jahren gelungen zu sein. Welche Art die Reise zur größten philippinischen Insel vollbrachte, darüber gab es lange Zeit Spekulationen. Im Jahr 2019 dann stellten Fachleute aufschlussreiche Funde vor, die das Rätsel um die frühen Luzon-Menschen zumindest teilweise lösen. Eine bislang unbekannte Art sei es gewesen, Homo luzonensis, die vor 700 000 Jahren auf der Insel Luzon Nashörner schlachtete. Die Knochen, auf denen diese Schlussfolgerungen basieren, sind zwar weit jünger, aber dafür ziemlich exotisch: Der Insel-Mensch war klein, wie der »Hobbit« von Flores, doch mit ihm nicht verwandt. Ebenso wenig wie mit dem modernen Menschen oder, was die Sache interessant macht, dem Homo erectus. Zu welcher der vielen Abstammungslinien der Luzon-Mensch gehörte, ist nun Gegenstand von Spekulationen. Immer deutlicher wird jedenfalls, dass die Erde noch kurz vor dem Auftreten des Homo sapiens von einem ganzen Zoo verschiedener Menschenarten bevölkert war.

Der p-Wert soll weg

Fünf Prozent. Kaum eine anderer Wert ist für die Naturwissenschaft so zentral wie dieser – doch seit Jahren schon würden Fachleute ihn am liebsten loswerden. Im März 2019 schließlich riefen mehr als 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu auf, das ebenso allgegenwärtige wie umstrittene Signifikanzkriterium abzuschaffen. Der Kern der Diskussion: Eine gedachte Linie bei dem p-Wert von 0,05 teilt wissenschaftliche Untersuchungen streng in solche, die als erfolgreich gelten, und solche, die gescheitert sind. Tatsächlich aber ist das statistische Kriterium willkürlich, wird vielen Situationen nicht gerecht und kann mit wenig Aufwand ohnehin umgangen werden . Folglich verursache der p-Wert mehr Probleme, als er löse, urteilten die Fachleute in ihrem Aufruf. Bisher allerdings hält sich die umkämpfte Zahl hartnäckig. Ein vermutlicher Grund: Die statistische Signifikanz ist in der großen Mehrzahl der Fälle eben doch ein nützliches Indiz dafür, wie viel ein Ergebnis wirklich taugt.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.