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News: Der Stammbaum wackelt

Eine neue Analyse afrikanischer Fossilien rüttelt am Stammbaum des Menschen. Forscher stellten jetzt die These auf, daß zwei Spezies des Australopithecus - die sich nach bisherigen Vorstellungen direkt auseinander entwickelt haben - unabhängig voneinander aus einem gemeinsamen Vorfahren entstanden sein könnten. Diese Studie verdüstert die Verwandtschaftsbeziehungen der frühen Menschen und läßt durchblicken, daß die Evolution der Hominiden komplizierter ist, als bisher angenommen.

Australopithecus africanus, ein früher Hominide, durchstreifte vor 3 bis 2,6 Millionen Jahren das südliche Afrika. Er hatte mehr menschenähnliche Schädel- und Zahnmerkmale als eine frühere Australopithecus-Spezies, A. afarensis – am besten bekannt durch das Skelett, das den Spitznahmen "Lucy" erhielt und vor ungefähr 3,6 bis 3 Millionen Jahren in Ostafrika lebte. Viele Paläoanthropologen glauben, daß sich A. africanus aus A. afarensis entwickelte.

Diese Vermutung wird jedoch durch eine neue Analyse in Frage gestellt, die Henry McHenry von der University of California und Lee Berger von der University of the Witwatersrand im Journal of Human Evolution vom Juli 1998 vorstellen. Die Forscher analysierten die Größe von Armen und Beinen von über 100 teilweise erhaltenen Australopithecus-Skeletten, die an zwei berühmten Grabungsstätten geborgen wurden: einem Steinbruch in Sterkfontein, Südafrika, und den Badlands von Hadar in Ostafrika. Mit Hilfe mathematischer Beziehungen, die durch Studien an modernen Menschen und Affen kalibriert wurden, schätzten die Forscher die Körpergrößen ab.

Ihre Berechnungen führten zu einem verblüffenden Ergebnis: Die Arme des A. africanus entsprechen denen eines modernen Menschen mit etwa 50 Kilogramm Körpergewicht. Seine Beine allerdings gleichen denen einer 30 Kilogramm schweren Person. Diese "kopflastigen" Proportionen findet man gewöhnlich bei Arten, die sich in Bäumen schwingend fortbewegen. Sie gelten als ursprünglicher als jene des geologisch älteren A. afarensis, der zwar archaische Schädel- und Zahnmerkmale aufweist, aber kürzere Arme besitzt. Das bedeutet, daß A. africanus wahrscheinlich nicht aus Lucys Art hervorging, meinen die Forscher. Stattdessen entwickelten sich beide Arten vermutlich aus einem noch unbekannten gemeinsamen Vorfahren, schreibt Berger in National Geographic vom August 1998. Der südlichere A. africanus behielt die primitiven Arme des Ahnen bei. Diese veränderte Sicht der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen den beiden Australopithecus-Arten eröffnet auch die Möglichkeit, daß A. africanus ein Vorfahre unserer eigenen Gattung Homo sein könnte, argumentiert Berger.

Andere Forscher sind jedoch noch nicht bereit, den menschlichen Stammbaum neu zu zeichnen. "Die Ergebnisse deuten darauf hin, daß die Australopithecinen keine einheitliche Gruppe darstellen", sagt Adrienne Zihlman, Anthropologin an der University of California. Die Frühgeschichte des Menschen sei wahrscheinlich komplizierter, als Paläontologen bisher vermuteten. "Es kann sein, daß wir die Diversität vollständig unterschätzt haben und es mehr Spezies und mehr Variationen gibt, als wir glaubten."

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