News: Der Traum vom Fliegen auf Nachfrage
Wenn sich Insekten im Laufe von Jahrmillionen abgewöhnen zu fliegen, so führt später kein Weg zurück in die Lüfte - dachte man bisher. Offenbar ist aber die Evolution flexibel genug, auch abgelegtes Know-how im Bedarfsfall zu reaktivieren.
Stabheuschrecken lechzen nicht gerade nach öffentlichem Aufsehen, eher im Gegenteil. Als Meister der Tarnung entziehen sich die "walking sticks" meist den Blicken neugieriger Augen: Ungeschulte Beobachter und beutehungrige Fraßfeinde verwechseln die unbeweglich verharrenden Insekten meist einfach mit Zweigen.
Eine Studie von Michael Whiting und Taylor Maxwell von der Brigham Young University, unterstützt von Sven Bradler von der Universität Göttingen, zerrt die scheuen Stabheuschrecken nun aber ins grelle Licht des wissenschaftlichen Interesses. Dabei wollten die Forscher zunächst nur, mit Hilfe eines leistungsfähigen Computersystems, aus den gesammelten DNA-Sequenzen von 35 weltweit verstreut lebenden Stabheuschrecken einen genauen Familienstammbaum aller Arten ableiten. Es zeigte sich allerdings, dass die Ahnenfolge dieser Insekten offenbar ganz anders verlaufen war, als es bislang im Buch der Evolutionsbiologen stand.
Bekannt war bereits vorher, dass alle Stabheuschrecken sich aus Vorfahren entwickelt hatten, die fliegen konnten. Demnach müssen die heutigen flugunfähigen Vertreter der lebenden Stabheuschrecken-Sippe diese Fähigkeit im Laufe der Evolution aufgegeben haben. Dafür sprechen durchaus gute Gründe: Fliegen zu können hat zwar unbestreitbare Vorteile, geschenkt bekommt man aber im harten Existenzkampf der Natur kaum etwas. Und sich Flügel zu halten und sie zu benutzen, ist recht energieaufwändig.
Flugfähige Insekten können daher weniger in ihre Nachkommenschaft investieren und produzieren somit im Durchschnitt auch weniger Eier als vergleichbare, nicht fliegende Verwandte. In Regionen mit latent schlechtem Flugwetter, etwa windigen Inseln, rechnen sich Flügel daher oft gar nicht: An solchen Orten heimische Käferspezies sind beispielsweise häufig flugunfähig, damit sie nicht ständig ins Meer verblasen werden. Flügel sind zudem auch sperrig und groß, was beim Tarnen und Täuschen von Fraßfeinden ein Nachteil sein kann – besonders wenn man, wie manch eine Stabheuschrecke, aussehen möchte wie ein blattloser Zweig.
Wie die Sequenzanalysen der Wissenschaftler bestätigten, verzichteten aus Gründen wie diesen tatsächlich bereits einige evolutionsgeschichtlich sehr alte Vertreter der Stabschrecken-Sippe auf ihre Flügel. Aus Vertreter dieser Gruppe sollten sich, so vermuteten die Forscher, bis zu den heute noch lebenden Tarnkünstlern weitere flugunfähige Arten entwickelt haben.
Logisch – nur leider falsch, wie die DNA-Sequenzen der heutigen Stabheuschreckenverwandtschaft überraschend offenbarten. Denn in der flügellos gewordenen Ahnenreihe waren schon 50 Millionen Jahre nach dem Flugverzicht Flügel offenbar wieder sehr gefragt. Aus welchem Grund auch immer: Manche direkten Nachfahren der zuvor flügellos gewordenen Tarnspezialisten erfanden das Rad – also den Insektenflügel – aufs Neue und begannen wieder zu fliegen.
Ein bislang einmaliges Hin und Her der Evolutionsgeschichte: Fliegende Insektenarten können demnach die Nachfahren von flügellosen Spezies sein, die sich ihrerseits zuvor aus geflügelten Vorfahren entwickelt hatten. Oder einfacher: Das einmal erworbene anatomische Rüstzeug des Fluges kann, auch nachdem es in den Wirren der Evolution aus guten Gründen abgelegt wurde, durchaus später reaktiviert werden. Eine Schlussfolgerung, die weit über den Kreis der Stabheuschreckensystematiker hinaus für Aufsehen sorgt – widerspricht sie doch einem für unantastbar gehaltenen Credo der Evolutionsbiologie, Dollos Gesetz. Danach sollten Organe oder Körperstrukturen eines Organismus niemals auf ein Ausgangsniveau einer Ahnenform zurückfallen.
Bei Stabheuschrecken – und womöglich nicht nur bei ihnen – greift dieses Gesetz nun nicht mehr: "Das erste Beispiel eines komplexen Systems, das im Laufe der Evolution verloren, dann aber wiederentdeckt wurde", meint Whiting. Er vermutet, dass die zugrunde liegende genetische Information auch nicht äußerlich ausgebildete Merkmale über evolutionsgeschichtlich relevante Zeiträume hinweg latent erhalten könne. Die Fähigkeit, Flügel zu entwickeln, könne demnach situationsangepasst im Laufe der Evolution an- und abgeschaltet werden.
Ähnliches sei wohl auch bei anderen Insektenarten nachweisbar, Schaben beispielsweise, oder sogar verwandtschaftlich entfernteren Tiergruppen. Bis dahin aber stehen vorerst die Stabheuschrecken im Brennpunkt des Interesses – als Zeugen unvermuteter Flexibilität in der Entwicklungsgeschichte.
Eine Studie von Michael Whiting und Taylor Maxwell von der Brigham Young University, unterstützt von Sven Bradler von der Universität Göttingen, zerrt die scheuen Stabheuschrecken nun aber ins grelle Licht des wissenschaftlichen Interesses. Dabei wollten die Forscher zunächst nur, mit Hilfe eines leistungsfähigen Computersystems, aus den gesammelten DNA-Sequenzen von 35 weltweit verstreut lebenden Stabheuschrecken einen genauen Familienstammbaum aller Arten ableiten. Es zeigte sich allerdings, dass die Ahnenfolge dieser Insekten offenbar ganz anders verlaufen war, als es bislang im Buch der Evolutionsbiologen stand.
Bekannt war bereits vorher, dass alle Stabheuschrecken sich aus Vorfahren entwickelt hatten, die fliegen konnten. Demnach müssen die heutigen flugunfähigen Vertreter der lebenden Stabheuschrecken-Sippe diese Fähigkeit im Laufe der Evolution aufgegeben haben. Dafür sprechen durchaus gute Gründe: Fliegen zu können hat zwar unbestreitbare Vorteile, geschenkt bekommt man aber im harten Existenzkampf der Natur kaum etwas. Und sich Flügel zu halten und sie zu benutzen, ist recht energieaufwändig.
Flugfähige Insekten können daher weniger in ihre Nachkommenschaft investieren und produzieren somit im Durchschnitt auch weniger Eier als vergleichbare, nicht fliegende Verwandte. In Regionen mit latent schlechtem Flugwetter, etwa windigen Inseln, rechnen sich Flügel daher oft gar nicht: An solchen Orten heimische Käferspezies sind beispielsweise häufig flugunfähig, damit sie nicht ständig ins Meer verblasen werden. Flügel sind zudem auch sperrig und groß, was beim Tarnen und Täuschen von Fraßfeinden ein Nachteil sein kann – besonders wenn man, wie manch eine Stabheuschrecke, aussehen möchte wie ein blattloser Zweig.
Wie die Sequenzanalysen der Wissenschaftler bestätigten, verzichteten aus Gründen wie diesen tatsächlich bereits einige evolutionsgeschichtlich sehr alte Vertreter der Stabschrecken-Sippe auf ihre Flügel. Aus Vertreter dieser Gruppe sollten sich, so vermuteten die Forscher, bis zu den heute noch lebenden Tarnkünstlern weitere flugunfähige Arten entwickelt haben.
Logisch – nur leider falsch, wie die DNA-Sequenzen der heutigen Stabheuschreckenverwandtschaft überraschend offenbarten. Denn in der flügellos gewordenen Ahnenreihe waren schon 50 Millionen Jahre nach dem Flugverzicht Flügel offenbar wieder sehr gefragt. Aus welchem Grund auch immer: Manche direkten Nachfahren der zuvor flügellos gewordenen Tarnspezialisten erfanden das Rad – also den Insektenflügel – aufs Neue und begannen wieder zu fliegen.
Ein bislang einmaliges Hin und Her der Evolutionsgeschichte: Fliegende Insektenarten können demnach die Nachfahren von flügellosen Spezies sein, die sich ihrerseits zuvor aus geflügelten Vorfahren entwickelt hatten. Oder einfacher: Das einmal erworbene anatomische Rüstzeug des Fluges kann, auch nachdem es in den Wirren der Evolution aus guten Gründen abgelegt wurde, durchaus später reaktiviert werden. Eine Schlussfolgerung, die weit über den Kreis der Stabheuschreckensystematiker hinaus für Aufsehen sorgt – widerspricht sie doch einem für unantastbar gehaltenen Credo der Evolutionsbiologie, Dollos Gesetz. Danach sollten Organe oder Körperstrukturen eines Organismus niemals auf ein Ausgangsniveau einer Ahnenform zurückfallen.
Bei Stabheuschrecken – und womöglich nicht nur bei ihnen – greift dieses Gesetz nun nicht mehr: "Das erste Beispiel eines komplexen Systems, das im Laufe der Evolution verloren, dann aber wiederentdeckt wurde", meint Whiting. Er vermutet, dass die zugrunde liegende genetische Information auch nicht äußerlich ausgebildete Merkmale über evolutionsgeschichtlich relevante Zeiträume hinweg latent erhalten könne. Die Fähigkeit, Flügel zu entwickeln, könne demnach situationsangepasst im Laufe der Evolution an- und abgeschaltet werden.
Ähnliches sei wohl auch bei anderen Insektenarten nachweisbar, Schaben beispielsweise, oder sogar verwandtschaftlich entfernteren Tiergruppen. Bis dahin aber stehen vorerst die Stabheuschrecken im Brennpunkt des Interesses – als Zeugen unvermuteter Flexibilität in der Entwicklungsgeschichte.
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