Pontius Pilatus: Der undankbarste Job Judäas
Die Hauptrolle zu Ostern ist von oberster Stelle vergeben worden. An Jesus Christus führt kein Weg vorbei. Eine der wichtigsten Nebenrollen jedoch scheint eher aus Versehen besetzt worden zu sein – und zwar mit Pontius Pilatus. Der römische Statthalter gelangte zu seinem fragwürdigen Ruhm wie die Jungfrau zum Kind. Seine unfreiwillige Beteiligung am Prozess von Jesus Christus bindet ihn bis heute an das Schicksal des Religionsstifters, bescherte ihm unzählige Legenden über sein Leben und einen nachhaltig imageschädigenden Auftritt im Film "Das Leben des Brian". Wer war der Römer, der sich laut Bibel reuevoll die Hände in Unschuld wusch, nachdem er Jesus Christus zum Tod verurteilt hatte? Was verraten uns die außerbiblischen Quellen über ihn?
Um eines vorwegzunehmen: nicht viel. Pontius Pilatus war Statthalter der römischen Provinz Judäa, einem überwiegend jüdisch besiedelten Gebiet zwischen Syrien und Ägypten mit Jerusalem als religiösem Zentrum. Die Einwohner hatten kaum 100 Jahre lang Unabhängigkeit gekostet, als Rom seine Fühler gen Osten ausstreckte. Die prosperierende Großmacht ließ sich in den vielen Auseinandersetzungen lokaler Potentaten gern um Hilfe bitten, um dann einzugreifen und selbst die Macht zu übernehmen. Im Jahr 66 v. Chr. betraute der römische Senat Pompeius den Großen mit der Aufgabe, Krieg gegen Mithradates, den König von Pontos, zu führen, und damit das damals größte Reich der Region zu erobern. Nach seinem Sieg drei Jahre später ordnete der Big Player aus Italien die Machtverhältnisse neu. Er installierte neue Fürsten und zog neue Grenzen. Dabei machte Pompeius auch nicht vor Syrien Halt, das er im gleichen Jahr eroberte und zur Provinz machte. Judäa geriet dadurch ebenfalls unter römische Herrschaft.
In der Eroberung Jerusalems offenbart sich der Konflikt, der in diesem besonderen Teil des Römischen Reichs immer wieder für Zündstoff sorgen sollte. Der Tempelbezirk wurde besonders hart verteidigt und erst nach dreimonatiger Belagerung eingenommen. Pompeius ließ es sich dabei nicht nehmen, das wichtigste jüdische Heiligtum zu betreten und es dadurch zu entweihen – kein guter Start also für die gemeinsamen Beziehungen, auch wenn die Sieger den Tempelschatz nicht anrührten. Ein darüber hinausgehendes Interesse, in den von ihnen eroberten Gebieten missionarisch tätig zu werden, hatten die Römer nicht. Schließlich hatte ihre Religion gar nicht den Anspruch, die einzig wahre zu sein. "Eine allein selig machende Lehre konnte es schon darum nicht geben, weil Religion überhaupt nicht selig machen sollte, sondern allein der Bitte um beziehungsweise dem Dank für Gottesgaben galt, für Wachsen, Blühen und Gedeihen", erklärt der Althistoriker Alexander Demandt. In das religiöse Leben der eroberten Gebiete griffen sie nur dann ein, wenn es politisch relevant wurde und die öffentliche Ordnung und damit ihre Vormachtstellung gefährdete.
Verquickung von Religion und Politik
In kaum einem anderen Land der römischen Einflusssphäre allerdings waren Religion und weltliche Macht so eng miteinander verwoben wie in Judäa, identifizierte man sich so stark mit seiner Religion und lebte im Alltag nach Gesetzen, die der Glaube ihm vorgab. Und kein Volk außer den Juden verehrte in dieser Zeit einen einzigen Gott, der keine anderen Götter neben sich duldete. Keine leichte Aufgabe also für einen römischen Statthalter.
Pilatus kam als fünfter "Praefectus Iudaeae" im Jahr 26 n. Chr. nach Judäa. Nach einer vorübergehenden Regierungsperiode weiterer Klientelkönige – der berühmteste von ihnen dürfte Herodes der Große sein, der uns zu Unrecht vor allem als Kindermörder aus der Weihnachtsgeschichte im Gedächtnis geblieben ist – hatte Kaiser Augustus Judäa ab 6 n. Chr. direkt unter römische Herrschaft gestellt. Die Nachfahren des Herodes, unter dem die Region eine wirtschaftliche Blütezeit erlebt hatte, nahmen weiterhin die Position lokaler Fürsten ein. Judäa war zu diesem Zeitpunkt jedoch keine eigenständige Provinz, sondern Teil der Provinz Syria. "Sobald es Schwierigkeiten in diesem Teil des römischen Herrschaftsgebiets gab, war der Statthalter von Syrien gefordert", schreibt der Althistoriker Werner Eck. Zu Beginn seiner Amtszeit musste Pilatus allerdings lange ohne direkten Vorgesetzten vor Ort auskommen, der Posten des syrischen Statthalters blieb über Jahre hinaus unbesetzt.
Erst mit seiner Ankunft in Judäa betritt Pontius Pilatus die Bühne der Weltgeschichte. Was davor war, wissen wir nicht. Man kann davon ausgehen, dass es kaiserlichen Vertrauens und einer Portion politischen Durchsetzungsvermögen bedurfte, um einen solchen Karriereschritt gehen zu dürfen. Woher Pilatus kommt, ist nicht überliefert. Anhand des Namens lässt sich aber eine Zugehörigkeit zum Geschlecht der Pontier rekonstruieren, das aus Samnium in Mittelitalien stammt und dem Ritterstand angehörte.
Im Gegensatz zu seinem heute berühmteren Zeitgenossen Jesus von Nazareth gibt es von Pontius Pilatus sogar einen eindeutigen archäologischen Nachweis seiner Existenz. Eine Inschrift, die Archäologen 1958 in den Ruinen von Caesarea Maritima entdeckten, nennt seinen Namen. Hier, in der von Herodes gegründeten Küstenstadt, befand sich der offizielle Amtssitz der römischen Statthalter in Judäa. Die Inschrift ist zwar nur fragmentarisch erhalten, Historiker sind sich aber weitestgehend einig, dass sie den Statthalter als Bauherr des Tiberieums anführt, einem zu Ehren des Kaisers Tiberius errichteten Leuchtturms.
Während von seinen vier Vorgängern kaum mehr als der Name überliefert ist, erhalten wir aus außerbiblischen Schriftquellen Auskunft über die Statthalterschaft des Pilatus. Zu verdanken haben wir das vor allem zwei jüdischen Gelehrten, die sich unter anderem als Geschichtsschreiber verdient gemacht haben: Philon von Alexandria und Flavius Josephus. Beide verfolgten mit ihren Schriften auch politische Ziele, ihre Wertungen sind daher mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem geben sie wichtige – und vor allem die einzigen – Informationen über das Wirken Pilatus' in Judäa. Jesus von Nazareth erwähnen sie hingegen nicht.
Pilatus geht auf Konfrontationskurs
Sowohl für Philon als auch für Flavius Josephus ist ihr Zeitgenosse Pilatus erwähnenswert, weil er einige Male erheblich mit dem jüdischen Gesetz zusammenprallte. Josephus etwa schildert in seinem Werk "Die Geschichte des jüdischen Kriegs" die Vorgeschichte und den Ablauf des Aufstands der Juden gegen die Römer von 66 bis 73 n. Chr. Während die Vorgänger kaum der Rede wert sind, bietet ihm Pilatus einiges an Stoff. Seine Amtszeit scheint in besonderem Maß von Konfrontation gekennzeichnet zu sein. Vor allem eines bereitete ihm offenbar Schwierigkeiten: "Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde", heißt es im Buch Exodus des Alten Testaments. Das Bilderverbot der jüdischen Religion untersagt somit sämtliche bildlichen Darstellungen – erst recht, wenn sie angebetet werden konnten. Das schloss die römischen Kaiser, die nach ihrem Tod oder sogar noch zu Lebzeiten nicht selten im Zentrum ihres eigenen Kults standen, fraglos mit ein.
Wollte Pilatus Macht demonstrieren? Oder unterschätzte er schlicht die Wirkung seiner Tat?
Kaiserbildnisse waren im gesamten Römischen Reich jedoch ähnlich präsent wie heutzutage die Landesflagge. Unter anderem auch an den Feldzeichen römischer Legionen war ein solches Porträt integriert. An ihnen entzündete sich ein Konflikt, den Flavius Josephus schildert: "Dieser [Pontius Pilatus, Anm. d. Verf.] ließ nachts und noch dazu verhüllt die Bilder des Kaisers, die sich auf den Feldzeichen befinden, heimlich nach Jerusalem bringen. Das rief am folgenden Tag eine ungeheure Bestürzung unter den Juden hervor, zunächst natürlich unter den Einwohnern der Stadt, die beim Anblick der Standarten ganz außer Rand und Band gerieten, da man damit ihre Gesetze mit Füßen getreten hatte, nach denen es unstatthaft war, welches Bild auch immer in der Stadt anzubringen. Die Gärung unter den Stadtbewohnern ergriff aber auch das Volk in der Provinz, so dass es massenhaft nach Jerusalem strömte. Man brach nun gemeinsam nach Cäsarea auf, um Pilatus zu bestürmen, dass er die Feldzeichen aus Jerusalem fortbringen lassen und die Gesetze ihrer Väter respektieren möge. Pilatus weigerte sich, ihre flehentliche Bitte zu erfüllen, worauf sich die Juden mit dem Angesicht zur Erde warfen und fünf Tage und Nächte unbeweglich in dieser Lage verharrten. Am sechsten Tag setzte sich Pilatus im großen Stadium auf seinen Amtssessel und rief die jüdische Menge zu sich, scheinbar in der Absicht, ihnen seine Antwort mitzuteilen, während er in Wirklichkeit seinen Soldaten ein Zeichen gab, zu gleicher Zeit mit ihren waffenstarrenden Reihen die Juden einzuschließen. Als sich die Juden von einer dreifachen Schlachtreihe umstellt sahen, erstarb ihnen ob des unerwarteten Anblicks zuerst das Wort im Munde; als aber dann Pilatus ihnen sagte, er werde sie niederhauen lassen, wenn sie die Bilder des Kaisers nicht zulassen wollten, und den Soldaten auch schon den Wink gab, blank zu ziehen, da stürzten sie alle miteinander, wie auf ein verabredetes Zeichen, auf die Erde nieder, beugten ihren Nacken und schrien, sie wollten sich lieber niedermetzeln lassen, als das Gesetz übertreten. Hocherstaunt über eine so feurige Religiosität gab Pilatus den Befehl, die Standartenbilder sogleich aus Jerusalem zu entfernen."
Josephus sieht im Handeln des Statthalters eine Provokation, denn offensichtlich verstieß es gegen jüdisches Recht. Ob hier allerdings wirklich eine Hardlinermentalität des Pilatus zu Tage tritt, oder ob man sogar Nachsicht daraus lesen kann, ist Interpretationssache. Grundsätzlich nahmen die Römer Rücksicht auf das Bilderverbot, wie etwa das Ausbleiben von bildlichen Darstellungen auf Münzen zeigt, die die römischen Statthalter in Judäa herausgaben. Pontius Pilatus war in dieser Hinsicht keine Ausnahme.
Mangelndes politisches Gespür?
Doch auch Philon findet Stoff für eine Episode, die Pilatus diskreditieren soll. Hier empört sich das Volk von Jerusalem darüber, dass der oberste Römer in Judäa vergoldete Schilde am Palast des Herodes anbringen ließ, um seinen Kaiser Tiberius zu ehren. Eine solche Anerkennung war nichts Ungewöhnliches. Auf den Schilden befand sich in der Regel keine bildliche Darstellung, sondern meist nur eine Inschrift, die den Geehrten und den Stifter angab. Worüber genau sich die Juden beschwerten, wird nicht ganz klar, da eigentlich kein Gesetzesverstoß vorliegen konnte. Wahrscheinlich war es die Nähe zum Kaiserkult, die das Volk aufbegehren ließ. Neuere Forschungen legen nahe, dass die Inschrift explizit den vergöttlichten Kaiser anführte. Auch hier kann man darüber streiten, ob Pilatus mit dieser für Römer nicht unüblichen Ehrung provozieren und Macht demonstrieren wollte. Oder unterschätzte er schlicht die Wirkung seiner Tat? Fest steht, dass er wohl nach einer Beschwerde lokaler Potentaten in Rom einlenkte, die Schilde abnehmen und stattdessen in Caesarea anbringen ließ.
In einer dritten Begebenheit weckt Pilatus wieder den Volkszorn: Josephus berichtet darüber, dass der Statthalter mit Mitteln aus dem Tempelschatz, dem so genannten Korban, ein Aquädukt zur Wasserversorgung des Jerusalemer Tempelbezirks errichten ließ. Eine solche Finanzierung war durchaus sinnvoll und legitim, da Überschüsse aus dem Schatz auch für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden durften. Selbstverständlich ging das aber nur im Einvernehmen mit dem obersten Priesterrat, dem Synhedrion. Warum der Entschluss allerdings die Bevölkerung derart aufbrachte und auf die Straßen gehen ließ, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich hatte der Rat die Baumaßnahme insgeheim befürwortet, hielt sich aber damit zurück, das öffentlich mitzuteilen, um nicht allzu viel Nähe zu den Vertretern Roms zu zeigen. Der Protest gegen den Aquäduktbau schadete dem Image des Statthalters jedenfalls enorm, da er ihn rigoros niederknüppeln ließ und dabei auch Todesopfer in Kauf nahm. Eventuell griff Pilatus hier so hart durch, da die Empörung diesmal ausschließlich vom Volk ausging und die örtlichen Machthaber sowie die Priesterschaft sich nicht beteiligten.
Besonders die enge Beziehung zwischen der religiösen Autorität und dem Statthalter tritt hier offen zu Tage. Beide scheinen relativ friedlich nebeneinander existiert zu haben, was sicher auch daran liegt, dass die römische Führung den Hohepriester ein- und absetzen konnte. Bereits seit 18 n. Chr. hatte Kaiphas das Amt inne. Er war es schließlich auch, der um das Jahr 30 n. Chr. herum Jesus anklagte und den Präfekten so verhängnisvoll in den Prozess hineinzog. Kaiphas sah in Jesus eine Gefahr für die etablierte Theokratie, denn der Sohn eines Zimmermanns stellte die vorherrschenden Praktiken und Hierarchien in Frage. Das Problem des Hohepriesters: Um den Aufrührer beseitigen zu können, musste der römische Machthaber über ihn zu Gericht sitzen, denn nur er durfte ein Todesurteil fällen. Und dafür brauchte es entsprechende Argumente. Wie das Lukas-Evangelium uns berichtet, wurde Jesus schließlich verurteilt, weil er sich als "König der Juden" bezeichnete, dadurch die römische Herrschaft in Frage stellte und seine Anhänger aufwiegelte. Ob Pilatus den königlichen Anspruch von Jesus ernst nahm oder nicht, sei einmal dahingestellt. Ihm dürfte es wohl in erster Linie darum gegangen sein, das komplizierte Mächteverhältnis in der Region zu erhalten und jede Störung sofort zu unterbinden. Im Gegensatz zu den Konfrontationen zwischen Volk und Besatzer, wie sie Josephus und Philon beschreiben, entfaltete die Personalie Jesus als ein Fall von vielen jedoch kaum nachhaltig Wirkung im überwiegenden Teil der jüdischen Bevölkerung.
Möglicherweise hatte seine enge Verbindung zum Hohepriester Kaiphas auch für Pontius Pilatus selbst fatale Folgen. Denn ein folgenschweres Missgeschick beendete schließlich seine Karriere in Judäa. Auslöser war die mit den Jerusalemer Juden verfeindete Sekte der Samaritaner. Deren Anhänger, die im nördlichen Judäa lebten, sorgten für Unruhe in der Region. Auch sie erwarteten einen von Gott gesandten Propheten als ihren Messias, der sie auf den Berg Garizim – ihrem Heiligtum – führen und dort die von Moses vergrabenen heiligen Gefäße aus der Erde holen sollte. Unter Führung eines selbsternannten Propheten, "der sich aus Lügen nichts machte und dem zur Erlangung der Volksgunst jedes Mittel recht war", wie Josephus berichtet, versammelte sich eine bewaffnete Menschenmenge am Fuß des Bergs, um gemeinsam hinaufzuziehen. Pilatus versperrte den Samaritanern den Weg und bezwang sie im Kampf. Viele von ihnen wurden dabei getötet oder gefangen genommen und später hingerichtet.
Nach Rom vor den Kaiser
Die Samaritaner setzten sich zur Wehr, indem sie sich an Pilatus' Vorgesetzten wandten. Ihre Gesandten legten beim zwischenzeitlich eingesetzten syrischen Statthalter Vitellius Beschwerde ein. Sie hätten sich nicht versammelt, um gegen die Römer zu protestieren, sondern "um sich vor Pilatus' Ungerechtigkeiten zu schützen", schreibt Josephus. Offenbar waren also Statthalter und Samaritaner schon häufiger aneinandergeraten. Pilatus' Vorgesetzter befahl ihm schließlich, sich nach Rom zu begeben und sich vor dem Kaiser zu verantworten. Hatte Pilatus im Sinn seines römischen Dienstherrn gehandelt? Sicherlich war von den Samaritanern eine Störung der inneren Ordnung ausgegangen. Aber es steht zu vermuten, dass vor allem Kaiphas hinter Pilatus' feindlicher Grundhaltung gegenüber den Widersachern im Norden steckte.
Mit seiner Abreise 36 oder 37 n. Chr. verschwindet Pontius Pilatus jedenfalls aus Judäa – und damit auch von der Bühne der Weltgeschichte. Gleiches gilt übrigens für Kaiphas, der mit ihm sein Amt verlor. Was den nun ehemaligen Statthalter in der Hauptstadt erwartete, wissen wir nicht. Nur eines ist klar: Kaiser Tiberius hat er wohl nicht mehr getroffen, denn der starb im Frühjahr 37 n. Chr.
Aus römischer Perspektive war der Vertreter im fernen Judäa kein schlechter Amtsträger, auch wenn ihm die beiden programmatisch denkenden Geschichtsschreiber Brutalität und Korruption ans Bein binden wollten. Sicher hat er auch mit Entschlossenheit und Härte gehandelt, um den Frieden im unruhigen Judäa zehn Jahre lang zu sichern. Der Bau des Aquädukts in Jerusalem und des Leuchtturms in Caesarea hingegen zeigt ihn als pragmatischen Beamten, dem es auch darum ging, die Lebensbedingungen der einheimischen Bevölkerung zu verbessern. Aus Sicht des jüdischen Volks war Pilatus natürlich der Vertreter der Besatzungsmacht, die Judäa gewaltsam erobert hatte. Ob er das ein oder andere Mal im Rahmen seiner Amtsführung die Schwelle zur Provokation bewusst übertreten oder unbedacht den Zorn des Volks auf sich gezogen hat, bleibt dahingestellt. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass er als Machtmensch nicht gelegentlich unterstreichen wollte, wer in dem von den Römern eroberten Gebiet die Macht innehatte.
Den Prozess um Jesus von Nazareth zählen zeitgenössische Quellen jedoch nicht zu solchen Machtdemonstrationen, sonst hätten sie ihn vermutlich erwähnt. Das erste und einzige Zitat eines antiken Geschichtsschreibers, in dem sowohl Richter als auch Verurteilter zu finden sind, stammt von Tacitus. Er schreibt etwa 70 Jahre später über die Christen, denen Kaiser Nero den Brand Roms in die Schuhe geschoben hatte: "Der, von dem dieser Name ausgegangen, Christus, war unter der Regierung des Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden …" So kehren sich die Verhältnisse im historischen Gedächtnis um. Denn während die Anhänger Christi Rom – und später die halbe Welt – erobern, bleibt für den Statthalter kaum mehr als die Rolle der Fußnote, die die Lebenszeit des Religionsstifters markiert. Doch so spekulativ und paradox es klingen mag: Ohne das Urteil des Pontius Pilatus hätte es Ostern – und damit auch das Christentum – vielleicht nie gegeben. Denn der Erfolg der Botschaft Christi ist unmittelbar mit dem Tod ihres Urhebers verbunden. Die wichtigste Nebenrolle kann Pilatus also niemand nehmen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.