Sinnesphysiologie: Der Verdufte-Duft-Erkenner
Pheromone sind die flüchtigen Überbringer subtiler sozialer Botschaften - und ihrer Natur nach gar nicht so einfach zu fassen. Dass ihr Empfänger im Körper aber jahrzehntelang gleichzeitig bekannt und verkannt ist, kommt nicht sehr häufig vor.
Die Geschichte des Rätsels begann am 29. Januar 1973, einem Montag. Der "Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte" ging damals ein wissenschaftlicher Aufsatz von Hans Grüneberg zu, in dem der Forscher vom University College London ein mysteriöses, "irgendwie diffuses Ganglion" beschrieb, das er bei anatomischen Untersuchungen "zufällig" nahe der Nasenspitze von Mäusen entdeckt hatte. Allerdings: Die Funktion dieses definitiv zur Nagerstandardausrüstung zählenden Nervenzellbündels, so der Autor vor 35 Jahren, "ist unbekannt" [1]. Das sollte noch sehr lange so bleiben, obwohl bald "Grüneberg-Ganglien" auch in der Nase des Menschen und vieler anderer Säugetiere gefunden wurden.
Marie-Christine Broillet von der Universität Lausanne und ihre Kollegen sagen nun laut "ja", und belegen es mit einer durchdachten Experimentenkette [2]. Zunächst wiesen sie nach, dass bei Mäusen die Keratinschichten, die schon von Geburt an vorhanden sind, exakt zwischen Atemhöhle und Ganglionzellen wasserlösliche Stoffe sehr leicht passieren lassen. Ganz ähnliches haben Forscher schon bei den Amphid-Duftsensoren von Fadenwürmern erkannt: Diese riechen wasserlösliche, flüchtige Signalmoleküle, nachdem diese durch die Grenzschicht zu den Sensoren diffundiert sind.
Nun suchten die Wissenschaftler weitere, zum Charakter des Grüneberg-Rezeptors chemisch passende Nager-Signalmoleküle – und wurden schließlich fündig bei den Alarmpheromonen. Diese Duftstoffe geben Mäuse in höchster Angst ab. Kommen sie mit den Grüneberg-Ganglion in Kontakt, so reagieren diese prompt und kräftig.
Das Grüneberg-Ganglion ist also zumindest bei Nagern für die Wahrnehmung von Angstsignalen zuständig, die von den Artgenossen der Tiere abgegeben werden, beantworten Broillet und ihre Kollegen eine jahrzehntelang unbeantwortete Frage. Dies kann in einem in sozialen Gruppen organisierten Wesen natürlich sehr sinnvoll sein, um auf individuell wahrgenommene Gefahren kollektiv zu reagieren und Abwehrmaßnahmen einzuleiten – funktioniert aber wohl wirklich nur dann gut, wenn die Signale auch schnell wirken – wohl der Grund dafür, dass die Zellen, über die Grüneberg einst zufällig gestolpert war, so exponiert in der Nagernasenspitze beheimatet sind.
Spekulationen über den Aufgabenbereich des grünebergschen anatomischen Fundes schossen über die Jahrzehnte ins Kraut – überzeugend bewiesen wurde keine. Am meisten, so einigten sich zwischenzeitlich Forscher zögernd, ähneln die Ganglien, bestehend aus Hunderten von Neuronen und Gliazellen, noch einer Art skuriller Duftrezeptorphalanx. Tatsächlich konnten nach intensiver Suche vor gut einem Jahr molekulare Spuren eines Rezeptorproteins im Grüneberg-Ganglion nachgewiesen werden, welches auch im Vomeronasalorgan der Säuger vorliegt und dort für Pheromonerkennung zuständig ist. Da die Grüneberg-Ganglien schon im gerade geborenen Säuger funktionsfähig parat stehen, mögen sie vielleicht für die Erkennung von mütterlichen Duftsignalen durch den Nachwuchs verantwortlich sein, schlussfolgerten Forscher ohne Beweis.
"Die Funktion des Ganglions ist unbekannt"
(Hans Grüneberg)
Falls das stimmt, so Skeptiker, sind Grüneberg-Ganglien allerdings eine sehr merkwürdige Art olfaktorischer Sinneszellen. So sind sie etwa abgedichtet von einem keratinösen Deckgewebe, das sie von der Nasenhöhle – und damit eingeatmeten Duftstoffen – ziemlich luftdicht abgrenzt. Anders als bei anderen Duftrezeptoren stellen auch keinerlei Zellausläufer, also etwa Dendriten, Zilien oder Mikrovilli, einen direkten Kontakt zwischen Ganglion und der Außenwelt her. Können solche Zellen dann überhaupt Duftstoffe wahrnehmen? (Hans Grüneberg)
Marie-Christine Broillet von der Universität Lausanne und ihre Kollegen sagen nun laut "ja", und belegen es mit einer durchdachten Experimentenkette [2]. Zunächst wiesen sie nach, dass bei Mäusen die Keratinschichten, die schon von Geburt an vorhanden sind, exakt zwischen Atemhöhle und Ganglionzellen wasserlösliche Stoffe sehr leicht passieren lassen. Ganz ähnliches haben Forscher schon bei den Amphid-Duftsensoren von Fadenwürmern erkannt: Diese riechen wasserlösliche, flüchtige Signalmoleküle, nachdem diese durch die Grenzschicht zu den Sensoren diffundiert sind.
Broillets Team suchte nun nach typischen wasserlöslichen Bestandteilen im Mäuseduft, die als wichtige Sozialsignale die Grüneberg-Ganglien aktivieren. So testeten sie etwa, ob Mausurin im Ganzen, der Duft stillender Mausmütter oder verschiedene andere bekannte Nagerpheromone das Grüneberg-Ganglion im Reagenzglas zu einer Reaktion reizt. Alles Fehlanzeige: Kein Duftstoff sorgte bei den Zellen für die typische intrazelluläre Kalziumausschüttung, die mit ihrer Aktivierung einhergeht.
Nun suchten die Wissenschaftler weitere, zum Charakter des Grüneberg-Rezeptors chemisch passende Nager-Signalmoleküle – und wurden schließlich fündig bei den Alarmpheromonen. Diese Duftstoffe geben Mäuse in höchster Angst ab. Kommen sie mit den Grüneberg-Ganglion in Kontakt, so reagieren diese prompt und kräftig.
Das funktioniert offenbar auch außerhalb des Reagenzglases in lebenden Mäusen, belegen die Forscher in einer weiteren Versuchsserie: Im Normalfall reagieren Mäuse auf diese Botenstoffe mit einer charakteristischen Schreckstarre. Nager, deren Grüneberg-Neuronen operativ gekappt wurden, zeigten diese Reaktion indes nicht mehr, ignorierten auch wahre Angstpheromonwolken und erkundeten unnatürlich unbeeindruckt weiter neugierig ihre Umgebung. Auf die generelle Geruchswahrnehmung wirkte sich das Kappen der Nerven dabei nicht aus: Operierte wie unoperierte Mäuse fanden eine im Käfig versteckte gut riechende Leckerei gleich schnell.
Das Grüneberg-Ganglion ist also zumindest bei Nagern für die Wahrnehmung von Angstsignalen zuständig, die von den Artgenossen der Tiere abgegeben werden, beantworten Broillet und ihre Kollegen eine jahrzehntelang unbeantwortete Frage. Dies kann in einem in sozialen Gruppen organisierten Wesen natürlich sehr sinnvoll sein, um auf individuell wahrgenommene Gefahren kollektiv zu reagieren und Abwehrmaßnahmen einzuleiten – funktioniert aber wohl wirklich nur dann gut, wenn die Signale auch schnell wirken – wohl der Grund dafür, dass die Zellen, über die Grüneberg einst zufällig gestolpert war, so exponiert in der Nagernasenspitze beheimatet sind.
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