Politskandal: Der verkorkste Einbruch, der Watergate entfesselte
»Heiliger Bimbam«, ruft der junge Mann auf seinem E-Roller, »hier hat Nixon die Partei an die Wand gefahren.« Er zeigt auf den hellgrauen Gebäudekomplex, der sich geschwungen an einer Straße im Washingtoner Bezirk Foggy Bottom entlangzieht. Worüber der Mann spricht? Die Watergate-Affäre, mit der US-Präsident Richard Nixon seinen Sturz herbeiführte. Durch eine beispiellose Einbruch- und Abhöraktion im Jahr 1972 verspielte der Republikaner nicht nur seine politische Karriere, sondern sorgte auch für einen der größten Politskandale der US-Geschichte.
Alles begann auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudekomplexes in Foggy Bottom. Dort steht zwischen zwei Bauwerken eine überdachte Einfahrt, auf der es in weißen Lettern heißt: The Watergate Hotel.
Ein einfaches Metallschild, wie es an vielen Gebäuden der US-Hauptstadt hängt, weist den gesamten Komplex als Denkmal im »Nationalen Verzeichnis historischer Stätten« aus. Das eigentliche Hotel befindet sich hinter dem zur Straße gelegenen Watergate-Bürogebäude. Wer dorthin möchte, muss durch die überdachte Einfahrt bis zum Eingang in die Lobby gehen, wo man das Hotel wie durch einen Hintereingang betritt.
Unter falschem Namen checkten die Einbrecher ein
Diesen Weg beschritten am 16. Juni 1972 auch die drei Kubaner Bernard Barker, Virgilio González und Eugenio Martínez sowie der US-Amerikaner Frank Sturgis. Gut gekleidet und unter falschem Namen checkten sie ein. Sie bezogen die Zimmer 214 und 314, bevor sie gemeinsam im Restaurant des Fünf-Sterne-Hotels Hummer zu Abend aßen. Sie kannten ihre Unterkunft. Knapp drei Wochen zuvor hatten sie das Hotel schon einmal besucht, als vermeintliche Mitarbeiter der Firma Ameritas, eines kleinen Immobilienunternehmens aus Miami. Sie kannten auch die riesige Tiefgarage für rund 1200 Autos, über die das Hotel mit den drei Apartment- und zwei Bürogebäuden des luxuriösen Watergate-Komplexes verbunden ist.
Als »Stadt in der Stadt« war das teils zwölfstöckige Bauwerk nach dem Zweiten Weltkrieg geplant worden. Direkt am Potomac-Fluss gelegen, umfasst es 40 000 Quadratmeter. Es sollte ein Symbol für das New Washington sein, also den Wandel eines kleinen verschlafenen Städtchens »zu einer Weltmetropole im Rang von Paris, London oder Rom« darstellen, schreibt der Historiker und Journalist Garrett Graff in seinem Buch aus dem Jahr 2022, »Watergate: A New History«. Bekannt wurde der Komplex auch als »republikanische Bastille«, da im Lauf der Jahre eine ganze Reihe hochrangiger Vertreter der Republikanischen Partei hier eingezogen waren.
Den Kubanern hatte man eröffnet, dass sie »eine Möglichkeit bekommen werden, eine sehr wichtige Mission für die Regierung auszuführen – eine Mission nationaler Sicherheit, die mit Kuba in Verbindung steht«. So zitierte die »New York Times« im Jahr darauf einen Informanten. Alle vier Männer gehörten der radikalen Exilkubanerszene an, die gewaltsam das kommunistische Regime Fidel Castros stürzen wollte. Drei von ihnen unterhielten direkte Verbindungen zur CIA und hatten an der missglückten Schweinebucht-Invasion 1961 teilgenommen. Den Angriff hatten damals die Revolutionäre Fidel Castros abgewehrt.
Der Plan war es, im fünften Stock des angrenzenden Bürogebäudes Abhörwanzen zu verlegen und belastbares Material zu fotografieren. Und zwar in den Räumen des Democratic National Committee, den bundesweiten Wahlkampfbüros der Demokratischen Partei. Die Erfolgsaussichten auf einen Wahlsieg der Demokraten gegen den republikanischen Amtsinhaber Richard Nixon (1913–1994) waren düster. Uneinholbare 19 Punkte lag Nixon in den Umfragen bereits vor seinem demokratischen Herausforderer George McGovern (1922–2012). Der Einbruch in das Watergate-Bürogebäude war dabei nur einer von vielen »dirty tricks«, die den Wahlkampf geprägt hatten. Vor allem war er aber zu diesem Zeitpunkt völlig unnötig gewesen, wie Graff in seinem Buch darlegt.
Illegal beschaffte Informationen sollten die Demokraten schwächen
Schmutzige Tricks waren für die führenden Mitglieder der Republikanischen Partei ein legitimes Mittel, um brisante Informationen zu beschaffen, mit denen man den politischen Gegner diskreditieren und die Demokratische Partei schwächen wollte. Graff zitiert aus internen Unterlagen der »Campaign Intelligence Operation«, der Spionageoperation Wahlkampf: Man suchte nach Dokumenten »wie Spendenlisten, Entwürfen von Positionspapieren im Hinblick auf Rivalitäten zwischen den Mitarbeitern, die zu Zerwürfnissen fortentwickelt werden könnten«. Die Informationen sollten helfen, »Anführer von Anti-Nixon-Demonstrationen zu neutralisieren, sexuelle Schwächen zur Informationsbeschaffung auszunutzen und den Unmut zwischen den demokratischen Kandidaten zu verstärken, um sie so gespalten wie möglich zu halten«.
Die Mission, die für das letzte Maiwochenende 1972 im Watergate geplant war, benötigte mehrere Anläufe. Beim ersten Mal mussten die Männer ihr Vorhaben abbrechen, weil sie den Wachmann nicht bedacht hatten. Beim zweiten Mal taugte das Werkzeug zum Knacken des Türschlosses nicht. Erst am Sonntag, den 28. Mai, konnten sie ihren Auftrag erledigen, doch anschließend funktionierten die Abhörwanzen nicht einwandfrei. Für ihre Auftraggeber waren die Aufnahmen nutzlos.
Am 16. Juni wartete die Truppe also in ihren Hotelzimmern auf das Zeichen zu einem erneuten Versuch. Mit dabei war der ehemalige CIA-Agent James W. McCord (1924–2017), Sicherheitschef des Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten. Er hatte schon beim ersten Einbruch die Wanzen montiert. Er war es auch, der nun die Selbstverriegelung der Tür zwischen Bürogebäude und Tiefgarage kurz zuvor mit Klebeband blockiert hatte, so dass die Männer ungehindert ins Treppenhaus gelangen konnten.
Zur Gruppe gehörte noch der ehemalige FBI-Agent Alfred Baldwin. Er befand sich im gegenüberliegenden Howard Johnson Motel. Er sollte dem Team über Walkie-Talkie das Signal geben, sobald der letzte Mitarbeiter das Bürogebäude verlassen hatte. Doch ein junger Praktikant blieb länger als gedacht – er nutzte sein Bürotelefon, um kostenlos Ferngespräche mit Freunden und Familie zu führen. Da es im Büro keine Toilette gab, urinierte der junge Mann ungezwungen in einen Pflanzenkübel auf dem Balkon. Vom Motel aus beobachtete Baldwin ihn dabei mit dem Fernglas.
Als Hippies verkleidete Polizisten waren die Ersten am Tatort
Kurz vor Mitternacht begann der Wachmann Frank Wills, im Bürogebäude seine Runden zu drehen. Dabei bemerkte er das Klebeband an der Tür. Er dachte sich nichts weiter – wahrscheinlich hatte jemand mit gutem Grund die Tür blockiert, um nicht ständig aufschließen zu müssen. Als er aber nach rund einer halben Stunde erneut an der Tür vorbeikam und immer noch das weiße Klebeband vorfand, dämmerte ihm, dass sich jemand unbefugt im Gebäude aufhalten könnte.
»An alle Einheiten«, röhrte es durch den Polizeifunk, »mögliche verdächtige Situation beim Watergate Hotel.« Die Streife, die sich in der Nähe befand, war eine Undercover-Einheit, die als Hippies verkleidet vor einer Diskothek auf Kleinkriminelle und Drogendealer wartete. Im Motel entging Baldwin allerdings, dass die Einheit anrückte. Weil er so lange warten musste, bis der Praktikant das Gebäude verließ, hatte er auf seinem Beobachtungsposten den Fernseher angemacht – und war abgelenkt. Die drei Hippies, die aus einem blauen Ford stiegen, erkannte er jedenfalls nicht als Gefahr. Erst als die Polizisten mit gezückter Waffe im Treppenhaus erschienen, alarmierte er seine Kollegen. »Ihr habt ein Problem, da kommen Hippietypen mit Knarren zu euch«, zitiert Graff die Konversation mit dem Walkie-Talkie.
Die Polizisten gingen in das Büro der Demokratischen Partei, das sich über mehrere Räume in der Etage erstreckte. Zunächst betraten sie das Vorzimmer. Weil dort ein Fenster offen stand, kletterte einer der Polizisten auf den Balkon, um nachzusehen, ob sich dort jemand versteckt hielt. Zwar fand er niemanden, machte aber auf der anderen Straßenseite im Motel eine Person aus, die ihn mit einem Fernglas erschrocken beobachtete.
Als er von drinnen »Keine Bewegung, Polizei!« hörte, kletterte er zurück und sah seine Kollegen, wie sie fünf Männern in feinen Anzügen und mit erhobenen Händen in Latexhandschuhen gegenüberstanden. Die Einbrecher hatten versucht, sich hinter Schreibtischen zu verstecken, waren dort aber leicht zu entdecken. Nun redeten sie untereinander auf Spanisch, bis die Polizisten Ruhe forderten. Einer der fünf Einbrecher fragte mehrfach ungläubig: »Seid ihr die Polizei?« Auch die Gesetzeshüter hielten die Männer nicht für typische Einbrecher. Später erklärte einer der Beamten in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC: »Ich erinnere mich nicht, jemals wieder einen Einbrecher eingesperrt zu haben, der Anzug und Krawatte trug und mittleren Alters war.«
Wer waren die Drahtzieher des Einbruchs?
Nachdem die drei Polizisten die Einbrecher geschnappt hatten, wurde nach und nach das Ausmaß der Operation deutlich. Die Männer hatten 2400 US-Dollar in neuen Hunderterscheinen mit fortlaufenden Nummern dabei, beste Abhörtechnik und professionelles Fotoequipment. Außerdem beschlagnahmte die Polizei ein Notizbuch, in dem die Telefonnummer einer Person mit den Initialen HH im WH eingetragen war.
HH stellte sich als Howard Hunt (1918–2007) heraus, ehemaliger CIA-Agent und zur Zeit des Einbruchs Berater im Weißen Haus. Er saß mit Gordon Liddy (1930–2021), Finanzberater für Nixons Wahlkampfkampagne und Drahtzieher des Einbruchs, in Zimmer 214 des Watergate-Hotels. Zusammen mit McCord und Sturgis, die verhaftet wurden, sowie anderen Nixon-Vertrauten bildeten sie die Gruppe der »plumbers«, der Klempner, die undichte Stellen in der Nixon-Administration stopfen sollten.
Als Hunt und Liddy klar wurde, dass die Kubaner die Zimmerschlüssel bei sich hatten, verließen sie fluchtartig das Hotel. Das Zimmer, in dem sie sich aufhielten, ist heute die Attraktion des Watergate-Hotels: die »Scandal Suite«. Immer wieder buchen Interessierte den Raum, von wo aus Nixons Männer eine Geheimoperation gelenkt hatten, die eine der größten Politkrisen der US-Geschichte auslöste. »Ich habe eine Menge Schriftsteller getroffen«, erklärt der Portier, der Journalisten heute durch das Hotel führt. »Sie kommen, um die ganz spezielle Atmosphäre zu spüren.«
Wie aus einem Luxusort ein Tatort wurde
Das Watergate hat auch den Autor Joseph Rodota gereizt. »Es ist ein sehr folgenreicher Ort in der amerikanischen Geschichte«, sagt Rodota, der seinem Buch »The Watergate« den Untertitel »Im Inneren von Amerikas berüchtigtster Adresse« gegeben hat. Der Komplex galt lange Zeit als Inbegriff für Privatsphäre und Luxus. Doch »nach 1972 wurde er zu einem Tatort« und, so fügt Rodota hinzu, »zu einer Touristenattraktion«.
Weil seine futuristisch anmutende Architektur mit den geschwungenen Balkonen einer Schiffsfassade ähnelt, wurde der Watergate-Komplex auch als Ozeanluxusliner bezeichnet. Die »Washington Post« nannte die Gebäude kurz nach der Eröffnung des Hotels in den 1960er Jahren »eine glitzernde Potomac-Titanic ohne Eisberg oder Zwischendeckklasse«.
Für Richard Nixon wurde das Watergate zum Eisberg. Der Einbruch in das Demokratenbüro stellte dabei nur die Spitze krimineller Machenschaften dar, die trotz Nixons haushohen Wahlsiegs im Herbst 1972 am 9. August 1974 schließlich zu seinem erzwungenen Rücktritt führten. Der 37. Präsident der Vereinigten Staaten entging damit einer juristischen Anklage.
Das ganze Ausmaß des Skandals brachten dann zwei Reporter der »Washington Post« ans Licht: Carl Bernstein und Bob Woodward. Sie schrieben schon im Oktober 1972, »dass der Watergate-Abhörvorfall auf eine massive politische Spionage- und Sabotagekampagne zurückzuführen ist, die zu Gunsten der Wiederwahl von Präsident Nixon durchgeführt sowie von Beamten des Weißen Hauses und des Komitees für die Wiederwahl des Präsidenten gelenkt wurde«. Graff nennt in seinem Buch »ein Dutzend weitere zwar in ihrer Art verschiedene, aber verwandte Skandale«. Diese würden belegen, dass in Nixons Umfeld illegale Abhörmethoden, Amtsmissbrauch, Verschwörung, Behinderung der Justiz, Meineid, Bestechung, Geldwäsche, Steuerbetrug und andere Straftatbestände gängige Praxis waren.
Richard Nixon entging einer Haftstrafe
Außer Baldwin wurden alle am Einbruch Beteiligten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Mehr als 40 weitere Regierungsvertreter kamen im Lauf des Skandals ebenfalls in Haft, darunter ein ehemaliger US-Justizminister, der Stabschef des Weißen Hauses sowie mehrere enge Berater des Präsidenten. Nixon selbst wurde von seinem Vizepräsidenten und Amtsnachfolger Gerald Ford schon einen Monat nach seinem Rücktritt begnadigt. Watergate und vor allem das Suffix »-gate« wurden zum Namensgeber für Skandale – vom Nipplegate beim Super Bowl 2004 bis zum Partygate des britischen Premierministers Boris Johnson 2022. Das Monicagate führte 1998 sogar zum Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Bill Clinton. Auch hier spielte zufälligerweise der Watergate-Komplex eine Rolle: Die Praktikantin Monica Lewinsky lebte damals mit ihrer Mutter im Watergate-Südgebäude.
»Es gibt eine Formel für Politiker, politische Skandale zu überleben«, sagt Rodota. »Sie besteht darin, Skandale so öffentlich und offen wie möglich zuzugeben und sie als Teil der eigenen Lebensgeschichte anzuerkennen, statt sie zu leugnen.« Diesen Weg hat auch das Watergate-Hotel beschritten seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 2016.
Auf den Schlüsselkarten der Zimmer steht der höfliche Hinweis, dass »kein Grund zum Einbruch« bestehe. Auch mit der Scandal Suite wirbt das Hotel publikumswirksam. Eingerichtet mit Devotionalien, Zeitungsartikeln und Fotos aus den 1970er Jahren soll das Zimmer an die Watergate-Affäre erinnern. Dabei ist es heute viel kleiner als die damalige Suite. Auch vom einstigen Mobiliar ist nichts mehr vorhanden. Nur der Blick vom Balkon nach oben auf das ehemalige Demokratenbüro ist derselbe geblieben.
Zum 50. Jahrestag bietet das Watergate-Hotel ein »Cover-up Special« an, das mit einem Preis pro Nacht von 1972 US-Dollar an das Jahr des Einbruchs erinnert. Damit nicht genug, auch die Telefonnummer des Hotels endet auf 6-17-1972. Dies entspricht der US-amerikanischen Datumsangabe der Einbruchsnacht. Wer die Nummer wählt, hört in der Warteschleife die Stimme Nixons bei einer Rede knapp fünf Monate vor dem Skandal. »Tricky Dick«, wie ihn seine Gegner nannten, wirbt so für ein Angebot des Watergate-Hotels: »Save on your scandal« – spar bei deinem Skandal.
Hinweis der Redaktion: Für die Recherche besuchte Stephan Kroener, der als Writer in Residence des Virginia Center for the Creative Arts in den USA war, auch Schauplätze der Watergate-Affäre wie das Watergate-Hotel in Washington, D.C.
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