Lunar Reconnaissance Orbiter: Der Zentralberg des Mondkraters Tycho
Seit rund zwei Jahren umrundet die US-Raumsonde Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) den Erdtrabanten und funkt seitdem Bilder und Messdaten zur Erde. Besonders die Kameras von LRO stechen unter der Instrumentierung hervor, da sie Ansichten der Mondoberfläche liefern, die Details ab etwa 30 Zentimeter Durchmesser enthüllen. Nun gelang LRO am 10. Juni 2011 eine Schrägansicht des Zentralbereichs des Kraters Tycho auf der Mondvorderseite, die Einblicke in die Abläufe der Kraterentstehung erlauben.
Schon jeder dürfte den Krater Tycho auf dem Mond gesehen haben, es ist der auffällige helle Fleck auf der südlichen Hemisphäre, von dem lange helle Streifen ausgehen, die sich über einen Großteil der Mondvorderseite erstrecken. Schon ein Feldstecher oder ein kleines Teleskop zeigt, dass im Zentrum des hellen Flecks ein Einschlagkrater liegt, in dessen Inneren sich eine auffällige Erhebung befindet. Diese wird als Zentralberg oder auch englisch als Central Uplift bezeichnet.
Ein Zentralberg entsteht innerhalb weniger dutzend Sekunden nach einem größeren Asteroideneinschlag, wenn das mit hoher Geschwindigkeit (im Durchschnitt rund 20 Kilometer pro Sekunde) auftreffende Projektil bereits vollständig verdampft und explodiert ist. Dabei läuft eine extrem starke Stoßwelle in das getroffene Gestein hinein, das sich unter diesen Bedingungen elastisch verhält.
Für wenige dutzend Sekunden nach dem Einschlag dürfte der Krater Tycho mehr als zehn Kilometer tief gewesen sein, dann aber federte das durch die Stoßwelle komprimierte Gestein zurück. Es verhielt sich dabei ähnlich wie Wasser, in das man einen großen Stein wirft. Das Zentrum des Kraters stieg innerhalb von Sekunden empor und bildete den gegenüber dem Kraterboden rund 2000 Meter hohen Zentralberg. Der den Berg umgebende Kraterboden liegt heute rund 4700 Meter unterhalb des aufgeworfenen Randes des 82 Kilometer großen Einschlagkraters.
Die Aufnahmen von LRO belegen, dass die Bildung des Zentralbergs ein äußerst rascher, gewalttätiger Vorgang war. Deutlich lassen sich im Zentralberg zerrüttete Gesteine erkennen, die aus einer bunten Mischung aus Gesteinsbruchstücken, feinerem Material und riesigen Felsblöcken bestehen. Besonders spektakulär ist ein rund 120 Meter großer Felsblock, der sich knapp unterhalb des Gipfels befindet – eine Gesteinsscholle, die sich beim Auffalten des Zentralbergs aus dem Gesteinsverband löste und ein Stück des Hanges hinunter rutschte. Betrachtet man den Felsblock genauer, so zeigt sich auf ihm eine glatte dunkle Schicht, die aus Impaktschmelze besteht.
Impaktschmelzen bilden sich bei großen Einschlagereignissen durch die in den Boden eindringende Stoßwelle, die schlagartig das getroffene Gestein teilweise verdampft und verflüssigt. Ähnlich wie bei einer nuklearen Explosion schießt aus dem Zentrum des Einschlags ein Pilz aus heißen Gasen, Schmelztropfen und Gesteinstrümmern empor, der über dem Krater eine kurzlebige Glutwolke bildet. Die Gase entweichen beim Mond in den umgebenden Weltraum, während die flüssigen und festen Bestandteile der Glutwolke zur Mondoberfläche zurückfallen. Der größte Teil des in ihm enthaltenen Materials geht im weiten Umfeld des Kraters nieder, aber ein Teil der Fladen aus Gesteinsschmelze und -trümmern fällt in den Krater zurück. Da der Felsblock auf dem Zentralberg von einer Schicht aus Impaktschmelze bedeckt ist, muss zu dieser Zeit also bereits die Bildung der zentralen Erhebung beendet gewesen sein.
Der Krater Tycho ist mit einem Alter von 110 Millionen Jahren einer der jüngsten und am besten erhaltenen großen Einschlagkrater auf dem Mond. Dies zeigt sich am weitgehenden Fehlen überlagerter kleinerer Einschlagkrater und den ausgeprägten Impaktstrahlen, die sich auf der Südhalbkugel über viele hundert Kilometer erstecken. Sie bestehen aus feinen, beim Einschlag ausgeworfenen Gesteinspartikeln. Im Jahr 1972 gelang es den Astronauten der letzten bemannten Mondlandung Apollo 17, Gesteinsmaterial aus einem der Impaktstrahlen zu entnehmen, so dass eine genaue Datierung des Einschlags möglich war.
Viele der hier beschriebenen Vorgänge wurden aus dem intensiven Studium irdischer Einschlagkrater abgeleitet, insbesondere der beiden in Süddeutschland befindlichen Krater Nördlinger Ries und Steinheimer Becken. Beide entstanden gleichzeitig vor rund 15 Millionen Jahren, als ein maximal 1,2 Kilometer großer Asteroid mit einem rund 200 Meter großen Mond in die Gesteine der künftigen Schwäbischen und Fränkischen Alb einschlug.
Das Steinheimer Becken ist der einzige erhaltene irdische Einschlagkrater mit einem ausgeprägten Zentralberg. Der Krater hat zwar nur einen Durchmesser von 3,5 Kilometern, und der Zentralberg erhebt sich nur rund 50 Meter über den Kraterboden, er zeigt aber viele Eigenschaften seiner größeren Brüder auf dem Mond. Impaktschmelzen lassen sich im Umfeld des mit 24 Kilometer Durchmesser sehr viel größeren Nördlinger Rieses betrachten, es sind Ablagerungen aus der Glutwolke des Einschlags, der den kristallinen Untergrund erreichte. Da man sich in Schwaben befindet, erhielt das Gestein von den Geologen nach dem lateinischen Namen sueva den Namen Suevit, der heute auch für vergleichbare Mondgesteine gilt. Sehr typisch für den Suevit aus dem Ries sind dunkle Fetzen aus schwarzen Gesteinsgläsern, die als "Flädle" bezeichnet werden. Solche Flädle sind auch im Inneren des Mondkraters Tycho niedergegangen.
Tilmann Althaus
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