Ökologie: Detektivarbeit in der Salzmarsch
Hoch oben, an den Blättern des Schlickgrases, hängt eine Schnecke und - frisst. Innerhalb weniger Monate sind die Pflanzen verendet, und die Region hat sich in eine Wattlandschaft verwandelt. Ist die Schnecke Täter, Opfer oder beides zugleich?
An der Ostküste Nordamerikas starben in den vergangenen Jahren tausende Quadratkilometer von Salzmarschen ab. Diese Wiesen werden von Pflanzen der Gattung Spartina dominiert – einem Schlickgras, dessen Samen, Wurzeln und Sprösslinge Vögeln und Säugetieren als Futter dienen, und damit für den Lebensraum von immenser ökologischer Bedeutung ist. Einer Rodung gleich, wird diese Vegetation fortschreitend ausgelöscht. Für die Küstenregionen eine Katastrophe: Fehlende Wurzeln bieten dem Sediment keinen Halt, und den Tieren mangelt es an Verstecken.
Schwammige Indizienbeweise? Oder ist damit klar, dass die Schnecken allein für das Massensterben der nordamerikanischen Salzmarschen verantwortlich sind? Schließlich könnte auch die in den vergangenen Jahren verstärkte Trockenheit in Betracht kommen. Also analysierten die Wissenschaftler den Salzgehalt des Bodens in Regionen mit und ohne Schnecken über acht Monate und stellten fest, dass eine hohe Salinität das Wachstum der Pflanzen um 45 Prozent reduzierte und in Anwesenheit von Schnecken sogar um 84 Prozent.
Aber wen gilt es nun zu guter Letzt im Sinne der Anklage zu verurteilen? Schnecke? Pilz? Das Klima? Der letzte Verdächtige, das sollten wir nicht übersehen, bringt auch uns mit ins ernste Spiel.
Hauptverdächtiger in einem Fall, der zunächst klar wie Kloßbrühe erscheint, ist die Strandschnecke Littoraria irrorata, die zuweilen zahlreich vorkommt – unübersehbar aufgrund der hellen Schale ihres Schneckenhauses. Brian Silliman und sein Team von der Universität von Florida nahmen das Massensterben und das Verhalten der räuberisch anmutenden Weichtiere trotzdem genauer unter die Lupe. Auf einer Strecke von 1200 Kilometern, von Georgia bis Louisiana, fanden die Forscher in zwölf zufällig ausgewählten Küstenstreifen Schneckenansammlungen von 500 bis zu 2000 Tieren pro Quadratmeter an den Grenzen zu den abgestorbenen Bereichen. Sie vermuteten eine Zusammenhang und verteilten deshalb mehrere einen Quadratmeter große Käfige aus Maschendraht, die sie schneckenfrei machten. Außerhalb der Séparées verwandelten die Tiere elf der zwölf Salzwiesen in Wattlandschaften – das Ausmaß nahm dabei mit der Zahl der Schnecken zu. Innerhalb jedoch wuchsen die Pflanzen unbeeinträchtigt und verdreifachten mindestens ihre Biomasse.
Wie genau denn nun L. irrorata den Pflanzenmord begeht, war den Forschern aus früheren Untersuchungen bereits bekannt: Mit ihrer Raspelzunge schlitzen die Schnecken die Blätter von glatten Schlickgräsern (Spartina alterniflora) auf, wodurch diese leichte Beute für einen Pilz werden. Erst Schneckenexkremente lassen den Schmarotzer so richtig gedeihen, der im Übrigen die bevorzugte Mahlzeit der Weichtiere darstellt.
Schwammige Indizienbeweise? Oder ist damit klar, dass die Schnecken allein für das Massensterben der nordamerikanischen Salzmarschen verantwortlich sind? Schließlich könnte auch die in den vergangenen Jahren verstärkte Trockenheit in Betracht kommen. Also analysierten die Wissenschaftler den Salzgehalt des Bodens in Regionen mit und ohne Schnecken über acht Monate und stellten fest, dass eine hohe Salinität das Wachstum der Pflanzen um 45 Prozent reduzierte und in Anwesenheit von Schnecken sogar um 84 Prozent.
So verheerend die Vorgehensweise der Weichtiere, so gnadenlos ist sie. Mit Unterstützung der Trockenheit bilden die Schnecken regelrechte Fronten aus und walzen die Salzmarschen in Wellen nieder. Letzteres untermauert auch, warum das Massensterben erst seit kurzer Zeit stattfindet. In früheren Studien hatte Silliman bereits festgestellt, dass die Blaukrabbe Callinectes sapidus die Salzmarschen schützt, weil sie als natürlicher Feind den Populationsbestand der Strandschnecken kontrolliert. Die durch den Klimawandel bedingte Trockenheit dezimiert aber massiv die Zahl der Krabben, und so haben die Schnecken leichtes Spiel. Und schlussendlich überleben die angeschlagenen Pflanzen durch den trockenheitsbedingten Nährstoffmangel den Pilzbefall nicht.
Aber wen gilt es nun zu guter Letzt im Sinne der Anklage zu verurteilen? Schnecke? Pilz? Das Klima? Der letzte Verdächtige, das sollten wir nicht übersehen, bringt auch uns mit ins ernste Spiel.
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