Deutsch-deutscher Postkrieg: Lieber Brieffeind von drüben
Manchmal reichen wenige Quadratzentimeter Papier, um einen Krieg auszulösen – keinen mit Mörsern und Maschinengewehren, sondern einen mit Briefmarken. Die ersten gezähnten Papierchen mit rückseitiger Gummierung wurden erstmals 1840 in Großbritannien ausgegeben, bald danach waren Postwertzeichen auch anderswo auf der Welt üblich. Sachlich gesehen belegt eine Briefmarke, dass eine Gebühr entrichtet wurde, um eine Postsendung von A nach B zu befördern. Doch die Marken befördern auch Botschaften, symbolisch verpackt in Bildern oder ganz unverblümt mit wenigen Worten.
Der Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin (1892–1940) nannte Briefmarken denn auch die »Visitenkarten des Staates«. Und die Länder nutzen ihre Postwertzeichen, um politische Parolen kundzutun. »Die Briefmarke und der Brief als Massenware sind ein bestens geeignetes Medium, um Botschaften zu transportieren«, fasst es Ilko-Sascha Kowalczuk zusammen, freier Historiker, der am Archiv der Stasi-Unterlagen in Berlin tätig war. Bisweilen traten Länder mit den Markenbildchen allerdings diplomatische Verwicklungen oder gar internationale Krisen los.
Postkrieg nennen Historiker es, wenn die Briefmarken eines Landes einer anderen Nation übel aufstießen. Briefe und Pakete gingen dann postwendend zurück, weil sie mit einem inakzeptablen Motiv frankiert waren. Postkriege sind beinahe so alt wie die Briefmarke selbst (siehe Kasten »Briefmarkenscharmützel«). Vor allem die innerdeutschen Beziehungen waren über Jahrzehnte von Auseinandersetzungen über Postwertzeichen bestimmt.
Die erste Welle des Briefmarkenkriegs hing mit der Währungsreform 1948 und der Berlin-Blockade zusammen. Ab dem 21. Juni 1948 ersetzte die Deutsche Mark die Reichsmark in den drei westlichen Besatzungszonen. Jeder Bürger erhielt ein so genanntes Kopfgeld von 40 Mark. Berlin, mit einer gemeinsamen Stadtverwaltung aller vier Besatzungsmächte, war allerdings von der westlichen Währungsreform ausgenommen. Die Reaktion der Sowjetunion folgte prompt: Zwei Tage später wurde in der Sowjetischen Besatzungszone eine Währungsreform durchgeführt – mit dem Ziel, sie auf ganz Berlin auszudehnen. Das scheiterte am Widerstand der Westberliner. Daraufhin schnitt die Sowjetunion Westberlin am 24. Juni von der Versorgung ab. Die Berlin-Blockade begann – und es schlug die Stunde der »Rosinenbomber«.
Die Sowjetunion setzte ab dem 26. Juni weitere Nadelstiche. Sie wollte die im Osten verbreiteten Postwertzeichen auch in Westberlin einführen. Den Anreiz sollten hohe Portokosten auf Westbriefmarken geben: Wer diese aufklebte und damit Briefe in den Osten schickte, musste eine Nachgebühr zahlen – oder die Briefsendungen würden nicht zugestellt und gingen zurück an den Absender. Anfang 1949 sendeten auch die Westberliner Postämter Briefe aus Ostdeutschland retour, da sie unterfrankiert waren, nachdem die Ostmark in Westberlin an Wert verloren hatte. Eine Nachgebühr wurde fällig. Das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« kommentierte dies mit sozialistischer Rhetorik und ging den regierenden Bürgermeister Ernst Reuter (1889–1953) scharf an: »Reuter-Clique entfesselt Postkrieg.«
Provokation Notopfermarke
Die philatelistischen Scharmützel gingen eine Weile hin und her, bis die vier alliierten Sektorenkommandanten den »Berliner Briefmarkenkrieg« durch eine Übereinkunft im September 1949 beendeten. Tatsächlich beigelegt war der Postkrieg damit nicht. Für neue Auseinandersetzungen sorgte etwa die kleine blaue »Notopfermarke«, ein Zwangszuschlag von zwei Pfennig als finanzielle Unterstützung Westberlins. Er galt von Dezember 1948 bis März 1956 in den westlichen Besatzungszonen – jedoch nicht in Berlin – und musste ergänzend zum normalen Porto aufgeklebt werden.
Dabei kam es immer wieder vor, dass die kleinen Steuermarken auch auf Briefen in den Osten und nach Berlin auftauchten, sei es aus Unwissenheit oder sei es aus Provokation. In der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR war man davon überzeugt, dass mit den Geldern aus der Steuermarke ein alliierter Brückenkopf in Westberlin finanziert wurde. Die in jedem größeren Postamt sitzenden Stasi-Mitarbeiter stempelten solche Briefe daher ab – »Marke unzulässig zurück« – und schickten sie retour.
Auf den Briefmarken herrschte von den 1950er bis in die 1980er Jahre Kalter Krieg. Mal gab die westdeutsche Post das Bild zweier Hände in Ketten heraus – Anlass war der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR. Im selben Jahr gab die Bundespost eine Marke heraus, die an die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion erinnerte. Dargestellt war ein Kopf hinter Stacheldraht. Damit frankierte Postsendungen in Richtung DDR wurden geschwärzt oder mit einer Vignette überklebt, auf der zu lesen war: »Gedenkt der gefangenen Friedenskämpfer, die in Adenauers Kerkern schmachten.« Später, 1961, wurden Briefe nach Westberlin mit Zehn-Pfennig-DDR-Marken, neben denen der Zusatzstempel »Berlin – Hauptstadt der DDR« prangte, von der Bundespost zurückgeschickt, mit folgendem Gegenstempel: »Berlin – Hauptstadt Deutschlands – nicht der Sowjetzone«.
Beide deutschen Seiten reagierten auf die provokanten Motive mit Zurückweisung, dem Schwärzen oder Überkleben der Marken. Jan Heijs, Briefmarken-Historiker aus Amsterdam und Mitglied im Verband Philatelistischer Prüfer, beziffert die Zahl der so genannten Propaganda-Zusatzstempel in DDR und BRD auf mindestens 3500 – nur 41 Stück davon kamen aus der Bundesrepublik. Während klassische Tagesstempel zum Entwerten von Sendungen dienten, boten diese Politstempel Raum für ideologische Agitationen. Da hieß es etwa zum Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft im November 1954 »Herstellung der vollen Souveränität der DDR«. Hintergrund war, dass die BRD durch die Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954 die volle Souveränität von den Besatzungsmächten erhalten hatte. Ein halbes Jahr zuvor – am 25. März 1954 – hatte die Sowjetunion der DDR-Führung erlaubt, nach eigenen Vorstellungen über alle inneren und äußeren Angelegenheiten zu entscheiden. Am 14. Mai 1955 trat die DDR dann dem Warschauer Pakt bei.
Zankapfel Brandenburger Tor
Aber auch so mancher DDR-Bürger haderte mit den Briefmarken seines Landes. Ilko-Sascha Kowalczuk weist auf einen damals in der DDR populären Witz hin, der sich auf die millionenfach verwendeten Wilhelm-Pieck- und Walter-Ulbricht-Briefmarken bezog: »Warum kleben die meisten Pieck- und Ulbricht-Marken nicht auf den Briefen? Weil die Ostdeutschen die falsche Seite bespucken.«
Immer wieder Anlass für Provokationen und Streit gab eines der Symbole der deutschen Teilung. Auf DDR-Postwertzeichen vom Brandenburger Tor fehlte die 1961 gebaute Mauer. Zu Spannungen führte auch die Darstellung von Soldaten der Volksarmee, die neben dem Monument prangten.
Gingen Briefe zurück, war das wohl für Absender und Empfänger ärgerlich. Doch es gab Menschen, die sich die Hände rieben: Briefmarkensammler, die überstempelte und mit politischen Parolen versehene Postwertzeichen als begehrte und mitunter lukrative Sammlerobjekte schätzten. Einige Briefe aus dem Berliner Postkrieg von 1948 werden heute mit bis zu 150 Euro pro Stück gehandelt, weiß Jan Heijs. Manche seltenen Paketkarten brächten sogar mehrere tausend Euro.
Als sich die beiden deutschen Staaten in den 1970er Jahren annäherten – etwa durch den Grundlagenvertrag 1972 für »normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung« –, beruhigte sich auch die Lage an der Briefmarkenfront. Im Postabkommen vom 20. März 1976 verpflichteten sich beide Länder, alle Postsendungen weiterzuleiten, egal mit welchen Marken sie frankiert waren.
Wenige Male flammte der innerdeutsche Postkrieg danach noch auf. So hagelte es beispielsweise Proteste der Sowjetunion, als die Bundespost – dieses Mal ohne politische Absichten – eine Jubiläumsmarke zum Thema »50 Jahre deutscher Luftpostverkehr« herausgab. Die Marke wurde auf Sendungen nach Ostdeutschland nicht akzeptiert. Die Begründung: Die abgebildete Ju-52 auf der grün unterlegten 20-Pfennig-Marke sei das bevorzugte Reiseflugzeug von Adolf Hitler gewesen.
Die damalige Volksrepublik Polen echauffierte sich noch 1985 über eine 80-Pfennig-Marke, die sich dem 40. Jahrestag der Eingliederung heimatvertriebener Deutscher widmete. Aus polnischer Sicht wurden die Deutschen in ihre neue Heimat umgesiedelt, nicht aus der alten vertrieben.
Und einmal gab es noch einen späten deutsch-deutschen Briefmarkeneklat: 1986 feierte die DDR das 25-jährige Bestehen des »Antifaschistischen Schutzwalls« mit einem Schmuckumschlag. Solche Postsendungen wurden von der Bundesrepublik weder befördert noch zugestellt. Doch die Aufregung währte bekanntlich nicht lange. 1989 fiel die Mauer – und der deutsch-deutsche Briefmarkenkrieg war endgültig Geschichte.
Briefmarkenscharmützel
Postkriege sind nicht nur ein deutsch-deutsches Phänomen gewesen. Weltweit ließen und lassen Staaten Briefsendungen gegenstempeln, schwärzen und retourgehen, weil die Bildmotive oder Stempeltexte nicht ihrem politischen Selbstverständnis entsprechen.
Der Philatelie-Experte Jan Heijs hat herausgefunden, dass im Lauf der Zeit rund 300 Marken und Stempel einen Postkrieg ausgelöst haben. Spitzenreiter sind dabei die Deutschen in Ost und West gewesen: Etwa 50 Prozent entfallen auf deutsch-deutsche Briefgefechte.
Einen der ersten Postkriege fochten Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert aus, als es um die Kontrolle über Elsass-Lothringen ging. Und 1914 besetzten US-Truppen die mexikanische Stadt Veracruz mit der Folge, dass die mexikanische Post keine Briefsendungen aus Veracruz akzeptierte, die mit US-Briefmarken frankiert waren.
In jüngster Zeit gab es postalische Verstimmungen zwischen Griechenland und Mazedonien: Die Griechen akzeptierten keine Marken mit dem Landesnamen »Mazedonien«. Überhaupt wehrte sich das EU-Land gegen die Bezeichnung, weil es auch in Griechenland eine Provinz Mazedonien gibt. Die Briefe wurden kurzerhand gegengestempelt: »Former Yugoslav Republic of Macedonia«.
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