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Deutsches Museum: Der Dieselmotor läuft jetzt mit Elektroantrieb

Tschüss Faradaykäfig, hallo Bombenentschärfungsroboter: Das Deutsche Museum in München ist zur Hälfte saniert und feiert eine teilweise Wiedereröffnung.
Der neue Eingang am Deutschen Museum
Zum ersten Mal in der fast 100-jährigen Geschichte des Museums gibt es einen neuen Eingang: Hinein kommt man ab sofort über ein neues, mehrstöckiges Glasgebäude an der Münchner Corneliusbrücke.

Irgendwie war mir der Faradaykäfig anders in Erinnerung geblieben. In meiner Vorstellung quetscht sich eine Person in diese Drahtkugel und wird unter den Blicken neugieriger Kinder emporgezogen, bevor ein gewaltiger Blitz in den Käfig einschlägt. Natürlich passiert ihr dabei nichts, dem feldfreien Raum im Inneren der Metallkugel sei Dank. Das mit dem Blitz stimmt so nicht. Aber der Rest kommt der Wahrheit recht nah. Seit 1953 ist die Hochspannungsanlage im Deutschen Museum in München in Betrieb – bis jetzt. Denn der Starkstrom macht nun Pause, genau wie viele andere Ausstellungen auch.

Das Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik, wie es mit vollem Namen heißt, ist eines der größten Technik- und Wissenschaftsmuseen der Welt. Das glaubt man gerne, wenn man sich in dem riesigen Gebäude des Stammhauses auf der Museumsinsel in München mal verlaufen hat. Inzwischen gibt es Außenstellen in Bonn, Oberschleißheim, Nürnberg und noch einmal in München in der Nähe der Theresienwiese. Gegründet wurde das Deutsche Museum im Jahr 1903; in das Gebäude auf der Museumsinsel strömten ab 1925 die ersten Gäste. Vor der Corona-Pandemie verzeichnete es knapp 1,5 Millionen Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Das sind etwa so viele, wie Neuschwanstein anzieht, aber nur rund die Hälfte, die Bayerns populärste Touristenattraktion, die BMW Welt schafft. Nach Zahlen ist das Deutsche Museum das meistbesuchte Museum in Deutschland.

Während die Hochspannungsanlage und viele weitere Abteilungen nun also saniert und modernisiert werden, dürfen seit dem 8. Juli 2022 bereits 19 Dauerausstellungen wieder in voller Schönheit und mit vielen neuen Exponaten bestaunt werden. Die gesamte Sammlung umfasst rund 125 000 Gegenstände – von Glühlampen über Druckmaschinen bis hin zu Flugzeugen – 25 000 Stücke davon sind in München ausgestellt. Wieder zu sehen etwa in der Chemie-Abteilung ist der Tisch, an dem Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann 1938 die Kernspaltung gelang – ein Meilenstein der Forschung, aber auch ein Fortschritt für die Menschheit? »Es geht nicht darum, Museumsbesucher zu beeinflussen, sondern ihnen Wissen und Fakten an die Hand zu geben, um auf dieser Grundlage kompetent eigene Entscheidungen treffen zu können«, sagt die studierte Chemikerin Andrea Löw, die im Deutschen Museum museumspädagogische Konzepte umsetzt.

Löw wird demnächst wieder zahlreiche Schulklassen durch die Ausstellungsräume lotsen. Sie freut sich, dass nun endlich viele aktuelle Themen einen Platz im Museum finden.

»Ein modernes naturwissenschaftlich-technisches Museum muss auf die drängenden ökologischen, sozialen und wirtschaftliche Fragen unserer Zeit eingehen. Es sollte Informationen zum Klimawandel liefern, und auch Digitalisierung, KI und Robotik, nachhaltige Energieerzeugung und moderne Technik in den Blick nehmen«Andrea Löw, Chemikerin und Museumspädagogin

Auch ich war bereits als Schülerin im Deutschen Museum. Ich habe einen Ausflug nach München genutzt, um dort die Plattenkondensatoren zu begutachten. Die hatten wir gerade in der Schule durchgenommen, aber wie so oft führte dort nur die Lehrerin vorne am Pult die scheinbare Zauberei vor. Ich wollte selbst Hand anlegen. Mit einer Freundin habe ich mir an einem regnerischen Tag jedes einzelne Flugzeug angeschaut. Der Faradaykäfig hatte es mir damals besonders angetan – eigentlich sollte ich also wissen, dass dort kein echter Blitz einschlägt.

Stattdessen wird die Kugel auf Hochspannung gebracht. Davon kann ich mich nun bei der vorerst letzten Vorstellung überzeugen. Nicht im Käfig, wohlgemerkt. Ich sitze im Publikum. Im Käfig selbst nimmt der Generaldirektor des Deutschen Museums Wolfgang Heckl Platz. Er kann da ganz tiefenentspannt sein, denn er ist Physiker und weiß deshalb, dass ein Faradaykäfig ein feldfreier Raum ist. Streng genommen braucht man dafür noch nicht einmal einen Drahtkäfig: Ein Auto bei Gewitter tut es auch. Oder ein Flugzeug, wobei ich trotzdem nicht darin sitzen möchte, wenn es von einem Blitz getroffen wird. Ein beeindruckender Lichtbogen zwischen den beiden Isolatoren am Museumskäfig zeigt den Spannungsdurchschlag. Hören kann man es auch. Anschließend lässt sich Generaldirektor Heckl von der Menge bejubeln, dreht eine Runde um das Innere der Hochspannungsanlage und skandiert dabei: »Stayin’ alive! Stayin’ alive! Stayin’ alive!«

State of the Art oder historisches Fundstück?

Nun haben sich Naturwissenschaft und Technik seit der Eröffnung des Deutschen Museums weiterentwickelt. Was damals State of the Art war und weltweit Aufsehen erregte, ist heute ein historisches Exponat. Das gilt auch für das Gebäude selbst: Kein Wunder, dass irgendwann mal eine Modernisierung ansteht. Bereits seit 2015 ist deshalb eine Generalsanierung im Gang. Die sei auch dringend nötig gewesen, sagt Andrea Löw: »Die Ausstellungen waren teilweise in die Jahre gekommen, und es fehlten an vielen Stellen zeitgemäße Ansatzpunkte für die Vermittlung aktueller Themen. So etwa Klimawandel und Energiewende, Globalisierung, Landwirtschaft oder nachwachsende Rohstoffe. Das ist nun anders.«

Der Faradaykäfig wird erst in rund sieben Jahren wiederkommen: größer, moderner, sogar mit Platz für zwei Personen. Klar, das Prinzip des feldfreien Raums veraltet nicht und verliert auch in Zukunft nichts von seinem Reiz. Ebenso macht die Astronomie Pause, der Amateurfunk, die Physik, die Informatik. Während die Finanzierung beispielsweise für die Hochspannungsanlage gesichert ist, schaut es beim Bergwerk ein wenig anders aus: Das wandert nun, in Einzelteile zerlegt, in sehr viele Kisten. Womöglich für immer. Das schimmelnde Mauerwerk dahinter – die Isar lässt grüßen – muss trockengelegt werden. Außerdem braucht es Fluchtwege. Sicher ist jetzt schon: Die 3500 Quadratmeter große Fläche, die das Museumsbergwerk bislang eingenommen hat, wird es nicht wiederbekommen. Für seinen Wiederaufbau wären rund zehn Millionen Euro nötig. Dafür ist bislang das Geld nicht da.

Ursprünglich sollte die gesamte Modernisierung 400 Millionen Euro kosten. Inzwischen ist man bei geschätzten 750 Millionen Euro angekommen. Gerne wird in diesem Zusammenhang die Elbphilharmonie in Hamburg als Vergleich herangezogen: Die hat 800 Millionen Euro gekostet. Und auch zeitlich verzögert sich alles. War ursprünglich 2025 angepeilt, soll das komplett modernisierte und sanierte Deutsche Museum nun erst 2028 öffnen. Immerhin, eine Hälfte ist nun fertig.

Das Deutsche Museum bleibt während des Umbaus zur Hälfte geöffnet

Und die kann sich durchaus sehen lassen. Der Weg zum neuen Eingang ist frisch geteert, das Museum komplett barrierefrei und die Orientierung für Besucherinnen und Besucher durch eine bessere Beschilderung erleichtert. Und weil wir inzwischen das Jahr 2022 und nicht mehr das Jahr 1925 haben, stehen die Besucherinnen und Besucher nach dem Durchschreiten der Eingangshalle erst mal inmitten von Robotern. Es gibt solche für die Industrie, für Kinderzimmer, für den Haushalt sowie einen Bombenentschärfungsroboter. Der ist natürlich nicht für den alltäglichen Gebrauch gedacht, schaut aber beeindruckend aus.

Begrüßt werde ich bei meinem Besuch vom kleinen humanoide Roboter NAO – zunächst auf Bayerisch, danach glücklicherweise auf Hochdeutsch. NAO ist mit Kameras, Lautsprechern, Mikrofonen sowie 25 steuerbaren Gelenken ausgestattet. Und NAO tanzt ein wenig für uns. Die Klänge von »Stayin’ alive« der Bee Gees ertönen, Generaldirektor Heckl singt mit. Und ich frage mich, wer hier wem den Ohrwurm eingetrichtert hat. Zum Schluss soll sich NAO hinsetzen, und das tut er auch nach einigem Zögern. Ein Hund wäre bei gleicher Anweisung allerdings signifikant schneller gewesen. Ich verlasse die Robotik-Abteilung mit dem vielleicht trügerischen Gefühl, das ich mir über die drohende Weltherrschaft tanzender Roboter erst mal keine Sorgen zu machen brauche.

Gezeitenkraftwerke und ein alter Bekannter in der Ausstellung Energiemotoren

Dafür hat ein anderes wichtiges Thema einen Platz bekommen: nachhaltige Energieerzeugung. In der Ausstellung Energiemotoren geht es um alles, was aus einer Energieform Bewegung macht. Dort kann ich endlich wieder Knöpfe drücken. Mich mag das freuen, aber: »Kinder und vor allem Jugendliche sind heute an digitale Medien, bunte Darstellungen und Animationen gewöhnt. Das klassische ›Knöpfchen drücken‹ ist deshalb in den neuen Ausstellungen vielfach durch informative Medienstationen ersetzt worden«, sagt Andrea Löw. Das mag richtig sein. Andererseits geht ein Knopf im laufenden Museumsbetrieb wahrscheinlich nicht so schnell kaputt. Von daher: An Animationen und großen Bildschirmen hat das modernisierte Deutsche Museum zwar nicht gegeizt. Aber die Knöpfe sind teilweise geblieben.

Kurator Thomas Röber drückt einen solchen Knopf. Das Wasser im Tank neben ihm fängt an, hin- und herzuschwappen. Hier werden Gezeiten- und Wellenkraftwerke demonstriert. Das klingt zwar wunderbar nach erneuerbaren Energien, irgendwie zukunftsträchtig. Zu sehen sind trotzdem mehr historische Verbrennungsmotoren als Windräder. Hoffentlich nur aus Platzgründen?

Thomas Röber geht weiter, zu einem alten Bekannten, wie er sagt: dem Dieselmotor-Prototyp von Rudolf Diesel. Röber steckt einen Schlüssel in das Kästchen davor. Brav rödelt der Motor. »Wir können diesen Prototyp wieder da vorführen, wo er schon fast 100 Jahren steht. Jetzt läuft er auch mit einer vernünftigen Lautstärke«, sagt Röber. Wieso das? »Der ist jetzt elektrisch angetrieben.«

Ach so.

Alte Exponate und neue Kontextualisierung für die Ausstellung der historischen Luftfahrt

Die Generalsanierung des Deutschen Museums macht auch im Raum dahinter nicht halt: den Flugzeugen. Vor allem bei den historischen Flugzeugen und der berühmten Tante Ju. Rund fünf Jahre lang stand die Maschine vom Typ Junkers Ju 52 im Depot. »Nun steht sie wieder am gleichen Ort, aber die ganze Ausstellung ist völlig neu kontextualisiert worden«, sagt Andreas Hempfer, Kurator der Abteilung Luftfahrt von 1918 bis 1945.

Was er damit meint, wird klar, wenn man die Ausstellung vor der Generalsanierung gesehen hat: Ich erinnere mich an diesen regnerischen Tag mit der Freundin und an jedes einzelne Flugzeug in eben dieser Halle. Damals kamen mir die Maschinen wie die 3-D-Versionen eines Quartetts vor: Auf den Stelltafeln daneben ging es um besser, höher, weiter. Es gab nicht viele Erklärungen zur Verwendung der Flugzeuge, auch stand dort kein kritisches Wort zur Luftfahrt.

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Die Junkers Ju 52 kehrt ins modernisierte Deutsche Museum zurück

»Wir haben jetzt in dieser Ausstellung den Fokus auf die Entwicklungsgeschichte der deutschen Luftfahrtindustrie von 1918 bis 1945 mit allen Licht- und Schattenseiten gelegt«, sagt Hempfer. Die Ju 52 ist dafür das perfekte Beispiel: Sie war in der bisherigen Darstellung ein gutmütiges, robustes Flugzeug, die Tante Ju eben. Hempfer sagt: »Wir stellen jetzt heraus, dass es von Anfang an ein Flugzeug war, das mit militärischen Hintergedanken gebaut wurde, das sehr schnell in den Militäreinsatz kam und dessen ganze Existenz nur durch die verdeckte Aufrüstung in den Zwischenkriegsjahren in Deutschland begründet war.« Bei der Bombardierung von Guernica am 26. April 1937 waren auch Tante Jus beteiligt.

Die Raumfahrt-Ausstellung im Deutschen Museum kommt klassisch daher

Auf dem Weg in die Raumfahrt-Abteilung grinst mich plötzlich Elon Musk an. Ah, denke ich, jetzt wird es futuristisch. Natürlich ist der Gründer von SpaceX nur auf einer Schautafel zu sehen. Aber als Repräsentant des »New Space« steht er für den Aufbruch in neue technische Sphären. Doch falsch gedacht: In der Ausstellung geht es um die Entwicklung der ersten Raketen, um den Wettlauf zum Mond zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion. Ein Mondfahrzeug ist ausgestellt. Es gibt verkleinerte Repliken von Raketen, doch bei der europäischen Rakete Ariane-5 ist Schluss. Nun ist die Ariane-6 zwar noch nicht geflogen, aber was ist mit der teilweise wiederverwertbaren Falcon-9 von SpaceX? Was ist mit dem wachsenden Problem des Weltraumschrotts? Was mit den Megakonstellationen im All wie dem Satellitennetzwerk Starlink oder OneWeb, was mit der kommerziellen Nutzung unserer Erdumlaufbahnen oder auch des Mondes? Was ist mit Nanosatelliten? Aktualität ist hier Fehlanzeige.

Vielleicht muss ich aber auch den Begriff Museum etwas wörtlicher nehmen. Bei allen Modernisierungsbemühungen lebt ein Haus wie das Deutsche Museum eben auch vom Zauber der Vergangenheit. Von der Technikgeschichte, statt vom Blick in die Zukunft. Das bleibt wohl Orten wie dem Futurium in Berlin überlassen.

Als ich das Gebäude verlasse, fliegt ein Zeppelin über Münchens blitzblauen Himmel. Das eine hat mit dem anderen zwar nichts zu tun, aber ich kann mich in dem Moment nicht entscheiden, ob das nun futuristisch oder retro ist – so wie das Deutsche Museum selbst.

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