Vermisste Boeing: Mit dem U-Boot auf Wracksuche
Herr Dr. Lackschewitz, die Zeichen mehren sich, dass die verschollene Boeing 777 des Malaysia-Airlines-Flugs MH370 über dem Indischen Ozean niedergegangen ist. Womöglich wird die Bundesrepublik wieder gefragt, ob sich das GEOMAR mit seinem Tauchboot "Abyss" an der Suche beteiligen könnte. Wie schwierig wird die tatsächliche Arbeit am Meeresgrund?
Klas Lackschewitz: Wir haben auf der Suche nach der verschwundenen Air-France-Maschine im Atlantik bereits erste Erfahrungen gemacht. Damals wurde das Suchgebiet auf 17 000 Quadratkilometer eingeengt. Die ersten Tauchgänge 2010 waren nicht erfolgreich, erst ein Jahr später konnten wir das Wrack lokalisieren. Um 4000 Quadratkilometer abzusuchen, haben wir zirka 40 Tage benötigt. Das zeigt schon, wie schwierig ein derartiges Unterfangen ist. Das Trümmerfeld, das wir letztlich aufspüren konnten, erstreckte sich gerade einmal auf eine Fläche von 200 mal 600 Metern. Man muss Geduld haben und viel Zeit einplanen.
Können Sie vorher vom Mutterschiff aus, etwa mit Hilfe von Sonar, den Meeresboden abtasten, um so das Suchgebiet weiter einzugrenzen?
Das potenzielle Suchgebiet umfasst Wassertiefen von 2500 bis 4500 Metern. Mit einem Fächerecholot kommt man hier nicht weit. Damit lassen sich grobe Strukturen am Meeresboden ausmachen, aber keine Wrackteile, die wenige Meter lang und breit sind. Das ist nicht auflösbar. Deshalb schicken wir auch den Tauchroboter (AUV = Autonomous Underwater Vehicle) hinab, seine Messgeräte haben Auflösungen bis zu einem halben Meter und wir kommen dicht an fragliche Stellen heran. Damit können wir einzelne Teile detektieren. Vom Schiff aus ist dies unmöglich.
Wie gehen Sie konkret bei der Suche vor?
Abyss ist ein autonomes, unbemanntes Tiefwasserfahrzeug. Es sieht aus wie ein Torpedo und ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet. An Bord programmieren wir es vor – etwa wie wir das Raster legen. Bei wissenschaftlichen Tauchgängen stellen wir ein paralleles Linienraster ein und achten darauf, dass sich die Datenlinien überlappen, damit wir ein komplettes Bild des Bodens bekommen.
Steht das AUV ständig mit Ihren Leuten an Bord in Kontakt?
Es fährt völlig autonom, drahtlos und autark. Wir können kontinuierlich Basissignale empfangen, etwa zur Wassertiefe, dem Batteriezustand und der Position. Mehr Daten erhalten wir nicht, weil die hohe Wassersäule einen höheren Datenaustausch verhindert. Bei wissenschaftlichen Einsätzen lassen wir das AUV sogar bisweilen in der Tiefe zurück, wo es sein Programm abspult, während wir andernorts andere Untersuchungen durchführen. Es operiert dann völlig allein.
Wie lange kann es so arbeiten?
Limitiert wird es nur durch die Kapazität der Lithiumbatterien an Bord. Bis zu 20 Stunden kann es so arbeiten. Nach dieser Zeit versuchen wir an den Ausgangspunkt zurückzukehren, um das AUV wieder aufzunehmen.
Was passiert, wenn die Batterie frühzeitig leer wird?
Wir können die Mission vorzeitig abbrechen und "Abyss" mit Hilfe seiner Motoren auftauchen lassen. Unabhängig davon setzt ein Notprogramm ein, wenn das Energielevel der Batterien ein kritisches Niveau von etwa zehn Prozent der Ladekapazität erreicht. Dann wird ein Notfallgewicht abgeworfen, und das Fahrzeug erhält automatisch Auftrieb.
Mit welchen Geräten suchen Sie nach einem Wrack, auch mit einer Kamera?
Während der Suche nach dem Air-France-Flugzeug haben wir zwei Sensoren eingesetzt. Zum einen ein Seitensichtsonar, eine auf Schall basierende Ortungs- und Klassifizierungstechnik im Wasser. Es erzeugt Schallwellen und fängt das Echo wieder auf. Daraus wird die Entfernung zwischen AUV und dem abgetasteten Objekt berechnet, was wir in Schwarzweißaufnahmen umwandeln. Hellere Töne geben weichere Objekte wieder, dunklere entsprechend solidere Strukturen. Identifizieren wir darauf potenzielle Wrackteile, gehen wir noch dichter ran und benutzen eine höhere Schallfrequenz, um die Auflösung zu erhöhen. Bestätigt sich der Verdacht, kommt eine Fotokamera zum Einsatz, die aus acht bis zehn Metern Höhe über dem Grund überlappende Aufnahmen macht. Am Ende erhalten wir ein Fotomosaik des Trümmerfelds.
Wie schwierig ist die Suche unter den extremen Bedingungen der Tiefsee für die Technik?
Abyss ist bis zu einer Tauchtiefe von 6000 Metern zugelassen. Es muss einen Druck von 600 bar aushalten – das 600-Fache des Drucks an der Erdoberfläche. Unser AUV baut sich aus einem speziellen Tiefseeschaum auf: ein Schaum aus feinsten Glaskügelchen. Die tiefen Temperaturen machen keine Probleme – im Gegenteil: Das kalte Wasser kühlt die Sensoren, die sich beim Arbeiten erwärmen.
Was machen Sie normalerweise mit Ihrem AUV?
Zum einen erstellen wir mittels eines Fächerecholots hoch auflösende bathymetrische Karten vom Meeresboden, zum anderen untersuchen wir die heißen Quellen der Tiefsee, die so genannten Schwarzen Raucher. Von diesen entdeckten wir neue im Südatlantik, vermaßen und fotografierten sie präzise. Ohne dieses Gerät war dies vorher nicht in diesem Umfang möglich. Auf der anderen Seite analysieren wir die Wassersäule selbst: Salzgehalte, Temperaturen, Strömungen – vielfältigste Aufgaben. Da Abyss autonom operiert, können wir wesentlich größere Gebiete bearbeiten, als dies mit einem kabelgeführten Gerät von einem Schiff aus möglich wäre.
Wenn tatsächlich eine Anfrage käme, brächte das nicht den Zeitplan der wissenschaftlichen Arbeiten gehörig durcheinander?
Es müsste eine offizielle Anfrage von Boeing oder Malaysia Airlines an die Bundesregierung ergehen, die dann entscheidet, ob wir daran teilnehmen. Als Helmholtz-Institut nehmen wir auch hoheitliche Aufgaben wahr. Die wissenschaftlichen Fahrten würden dann voraussichtlich entsprechend verschoben.
Wer besitzt noch derartig leistungsfähige Tauchboote?
Momentan existieren bei Forschungseinrichtungen nur zwei tief tauchende AUVs: eines bei uns, ein weiteres am Woods Hole Institute in den USA. Ein drittes, das bei der Suche im Atlantik noch zur Verfügung stand, ging letztes Jahr verloren. Zwei weitere besitzt die US-Marine, soweit ich weiß. Die 6000-Meter-Variante ist ohnehin nur für wissenschaftliche Institute interessant, die Tiefseeforschung betreiben. Ölfirmen benötigen eigentlich nur Tauchroboter, die bis maximal 4000 Metern Tiefe ausgelegt sind.
Beteiligen Sie sich mit dem AUV auch direkt an der Bergung, wenn das Wrack lokalisiert wurde?
Nein. Unser Auftrag endet mit der Entdeckung des Trümmerfelds. Bei dem Air-France-Flugzeug gab es eine Folgemission mit einem amerikanischen Tauchroboter, der über Glasfaserkabel mit dem Mutterschiff verbunden ist und Greifarme besitzt. Dieses Gerät kann aktiv Teile bergen.
Während der Suche nach der Air-France-Maschine war die Rede von emotional sehr belastenden Aufnahmen aus dem Trümmerfeld. Steht Ihnen in einem derartigen Fall psychologische Betreuung zur Verfügung?
Zum Glück wurden damals Maßnahmen getroffen, dass Bilder vom eigentlichen Fundort der Crew nicht zugänglich gemacht wurden. Nach dem Auftauchen wurden die Fotos direkt heruntergeladen und von der französischen Polizei sofort der Öffentlichkeit entzogen. Wir selbst sahen damals kein einziges Bild, außer denen, die später offiziell freigegeben wurden.
Vielen Dank für das Gespräch.
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