Raumfahrt: Deutschland bekommt einen Weltraumhafen
Im Frühjahr 2024 soll zum ersten Mal eine kleine Trägerrakete von einem Schiff in der Nordsee abheben. Geplant ist zunächst eine Testphase. Wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bei einem Weltraumkongress in Berlin mitteilte, sollen künftig europäische Miniraketen, so genannte Microlauncher, von der schwimmenden Plattform aus starten und Satelliten in den Weltraum transportieren. Der Startpunkt soll im so genannten Entenschnabel liegen, dem entlegensten Winkel der Deutschen Wirtschaftszone, etwa 350 Kilometer vor der Küste. Hinter den Plänen steht ein Milliardenmarkt.
Die Initiative für das Vorhaben startete der BDI bei seinem ersten Weltraumkongress vor vier Jahren. In einer Erklärung damals hieß es, die zunehmende Kommerzialisierung der Raumfahrt, New Space genannt, sei eine große Chance auch für das Industrieland Deutschland. Der BDI schlug vor, dass künftig von Deutschland aus Kleinsatelliten starten sollen, von einem privaten Space-Port aus – es entstand der Begriff eines deutschen Weltraumbahnhofs. Konkret soll es nun aber einen Weltraumhafen geben.
»In immer mehr Branchen gilt: Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein«, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. In einer Studie der Strategieberatung Roland Berger gemeinsam mit dem BDI heißt es, Deutschland sei in einer »gefährlichen Abhängigkeit« bei der Weltrauminfrastruktur und dem Zugang zum Weltraum – daher soll nun ein eigener Space-Port kommen. Der Bund will die Entwicklung und den Bau der Infrastruktur bis 2025 mit zwei Millionen Euro fördern, wie der FDP-Haushaltspolitiker Frank Schäffler Ende September mitgeteilt hat.
Spezialschiff mit Startrampe
Deutschland bekommt keinen Weltraumbahnhof wie Cape Canaveral in den USA oder Baikonur in Kasachstan. Geplant ist eine schwimmende Startplattform in der Nordsee, ein Spezialschiff mit Startrampe. Im April 2024 solle im Rahmen einer Demo-Mission erstmals eine Rakete der niederländischen Firma T-Minus von der mobilen Plattform der German-Offshore Spaceport Alliance (GOSA) in der Nordsee abheben, sagte Russwurm. Diese Allianz ist ein privates Konsortium, zu dem etwa das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB gehört. Heimathafen des Schiffs soll nach BDI-Angaben Bremerhaven sein.
Die Allianz GOSA nannte die geplante erste Demo-Mission den nächsten entscheidenden Schritt hin zur Umsetzung eines deutschen Weltraumhafens in der Nordsee. Es sollten zunächst mit suborbitalen Raketenstarts praktische technische Erfahrungen und Knowhow gesammelt werden, sagte Sabine von der Recke, Mitglied der GOSA-Geschäftsführung. Suborbital bedeutet, dass die Erdumlaufbahn nicht erreicht wird. »Diese Erfahrungswerte werden uns dabei helfen, in Zukunft auch komplexere orbitale Starts umzusetzen.«
Die Demo-Mission solle etwa zwei Wochen laufen. In dieser Zeit sei der Start von bis zu vier Raketen mit einer maximalen Länge von sieben Metern und einer Flughöhe von bis zu 50 Kilometern geplant. Künftig sollen von der schwimmenden Plattform Trägerraketen mit Nutzlasten von bis zu einer Tonne in erdnahe Orbits gebracht werden. Mit der Plattform solle dem steigenden Bedarf auf dem Markt kommerzieller Klein-Satelliten begegnet werden. »In diesem Jahrzehnt werden viermal mehr Satelliten gestartet als im vorherigen. Dies führt zu Engpässen bei den landbasierten Space-Ports«, sagte von der Recke. Deshalb sei der Betrieb einer weiteren europäischen Startinfrastruktur so entscheidend. Jeder Start solle von einem Kontrollschiff und einem neuen multifunktionalem Mission Control Center in Bremen aus begleitet werden.
Satellitendaten werden immer wichtiger. Laut der neuen Studie wächst der Markt für weltraumgestützte Anwendungen bis 2040 jährlich um 7,4 Prozent auf 1,25 Billionen Euro. Die Daten werden für zahlreiche Wirtschaftsbereiche unerlässlich sein, zum Beispiel für autonomes Fahren oder für die Digitalisierung industrieller Produktionen. Weltraumanwendungen ermöglichen beispielsweise präzisere Daten und Analysen, welche die Effizienz in Produktion und Logistik steigerten.
Russwurm sprach von einer »Riesenchance«. Deutschland brauche einen souveränen Zugang ins Weltall – auch als Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt nannte in einem Video-Grußwort Raumfahrt eine zentrale Zukunftstechnologie. Mit New Space könnten die hohen Kosten von Trägerraketen gesenkt werden.
Russwurm forderte von der Bundesregierung aber zugleich größere Ambitionen. Diese hatte vor Kurzem eine neue Raumfahrtstrategie vorgelegt, die aber in der Branche auf Kritik stieß. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie monierte, das nationale Raumfahrtbudget solle gekürzt werden. Russwurm sagte, der Abstand zu den USA oder China drohe immer größer zu werden. Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, entgegnete, dafür seien mehr Mittel für die Europäische Weltraumorganisation ESA geplant. (dpa/kmh)
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