Energie: Deutschland und das Schiefergas
Pünktlich zum Jahresbeginn streiten sich das Umweltbundesamt (UBA) und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) darüber, welche Risiken durch die Förderung von Schiefergas in Deutschland tatsächlich drohen. So sieht die BGR im Gegensatz zum UBA, dass die Gewinnung des Energieträgers aus "unkonventionellen Lagerstätten" durchaus umweltverträglich möglich sei. Das Umweltbundesamt mahnt hingegen, dass dadurch das Trinkwasser gefährdet sei. Spektrum.de beantwortet daher die wichtigsten Fragen zum Thema.
Was ist Fracking?
Das Wort ist eine Abkürzung für "Hydraulic Fracturing" – mit Hilfe von Wasser, das unter gewaltigem Druck steht, werden tiefe Gesteinsschichten aufgebrochen, damit darin enthaltenes Erdgas zu einem Bohrloch strömen kann. Mit dem Wasser werden Sand oder spezielle Keramikkügelchen nach unten gebracht, sie sollen die entstandenen Spalten offen halten. Bis zu fünf Prozent der eingesetzten Flüssigkeit sind Chemikalien, die verschiedene Aufgaben haben: Reibung verringern, den Transport des Sandes unterstützen, Bakterienbefall und die damit verbundene Faulgasbildung verhindern. Nur ein Teil der Zusatzstoffe ist umweltgefährdend. Das Gros ist nicht giftig, dazu gehören etwa Stabilisatoren, die auch Jogurt zugesetzt werden. Die genaue Mischung hängt jedoch von der konkreten Lagerstätte ab. Nach dem Fracking wird die Flüssigkeit wieder nach oben gepumpt, grob gereinigt und über spezielle Tiefbohrungen – etwa in leere Erdgaslagerstätten – entsorgt.
Was könnte es wirtschaftlich bringen?
Hochrechnungen deuten an, dass in Deutschland 0,7 bis 2,3 Billionen Kubikmeter Schiefergas gewonnen werden könnten. Lagerstätten finden sich sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. In Süddeutschland kommt Schiefergas vor allem im Oberrheingraben vor. Eine untergeordnete Rolle spielen Gasvorkommen in Kohleflözen und dichten Sandsteinen (Tight Gas), die ebenfalls oft nur mittels Fracking erschlossen werden können. Schätzungen zufolge übersteigt die Menge an Schiefergas die Reserven an konventionellem Erdgas hier zu Lande um ein Vielfaches und entspricht etwa dem deutschen Gesamtgasverbrauch von zwölf Jahren. Eine Förderung würde die Abhängigkeit Deutschlands von Importen senken. Bisher wird nur etwa ein Zehntel des Gasverbrauchs aus heimischen Quellen gedeckt, etwa die Hälfte kommt aus den Niederlanden und Norwegen, ein Drittel aus Russland.
Warum ist das Verfahren umstritten?
Am stärksten kritisiert werden die zugefügten Chemikalien. Es wird befürchtet, dass diese ins Grundwasser gelangen – entweder unmittelbar aus dem Bohrloch heraus oder durch Unfälle oben am Bohrgerät, wo sie aus lecken Lagertanks in den Boden sickern könnten. Manche Kritiker fürchten, dass durch das Fracking starke Erdbeben ausgelöst werden, die Schäden anrichten. Nicht zuletzt geht es auch um Folgen, die jede Rohstoffgewinnung mit sich bringt: Schwere Technik rückt an, das Landschaftsbild wird verändert, Lärm entsteht.
Wie groß ist die Gefahr tatsächlich?
Eine Verunreinigung des Grundwassers ist theoretisch nicht möglich. Erstens befinden sich die Schiefergaslagerstätten mehrere hundert Meter unter dem Grundwasserstockwerk und sind durch geologische Sperrschichten nach oben abgegrenzt. Zweitens wird die Bohrung in der Zone, die durch das Grundwasser führt, mit Stahlrohren und Beton nach außen abgeschottet. Drittens ist auch der Flüssigkeitskreislauf an der Oberfläche als geschlossenes System ausgelegt. Doch die Erfahrung aus den USA zeigt, dass immer etwas schiefgehen kann. Dort kam es zu oberirdischen Verunreinigungen durch Lecks, auch die Schutzhülle der Bohrung in der Grundwasserzone war nicht überall dicht.
Die berühmte Sequenz aus dem Film "Gasland", wo eine Flamme aus einem Wasserhahn tritt – weil angeblich Schiefergas ins Grundwasser gedrückt wurde –, ist mittlerweile als Fehleinschätzung entlarvt. Tatsächlich handelte es sich um Methan, das von Bakterien nahe der Erdoberfläche produziert wurde.
Deutsche Firmen, die den neuen Rohstoff fördern wollen, argumentieren mit den strengeren Umweltgesetzen hier zu Lande, ihrer Sorgfalt und Erfahrung. In Deutschland sei das Fracking-Verfahren bei anderen Lagerstättentypen seit mehr als 50 Jahren über 300-mal eingesetzt worden, sagt die Sprecherin von Exxon Mobil, Ritva Westendorf-Lahouse. In keinem Fall habe es einen Umweltschaden gegeben. "Derzeit entwickeln wir mit der Serviceindustrie für die geologischen Verhältnisse in Deutschland Frac-Flüssigkeiten, die weder giftige noch umweltgefährliche Komponenten enthalten", sagt sie. Diese könnten bereits in diesem Jahr für erste Praxistests zur Verfügung stehen.
Zur den Risiken der Schiefergasgewinnung in Deutschland sind letztes Jahr zwei größere Gutachten erschienen. Ein von Exxon Mobil beauftragter Expertenkreis um Dietrich Borchardt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung hält die Förderung für beherrschbar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört, nicht in Wasserschutzgebieten zu fracken, ebenso wenig dort, wo der Untergrund unter tektonischer Spannung steht. Um weitere Erfahrungen zu sammeln, soll die Erkundung fortgesetzt werden und einzelne Demonstrationsprojekte gestartet werden. Die Studie hatte für ein Exxon-Mobil-Projekt bereits konkrete Folgen. Auch eine Studie, die für das Umweltbundesamt erstellt wurde, weist auf weiteren Forschungsbedarf zu möglichen Umweltschäden hin. Gleichwohl kommt es ebenfalls zu dem Schluss, dass die Schiefergasförderung unter strengen Auflagen ermöglicht werden soll.
Was will die Politik?
Die Linke will das Fracking-Verfahren verbieten. Bündnis 90/Die Grünen wollen ein Moratorium, um bestehende Wissenslücken zu schließen. In jedem Fall soll der Einsatz wassergefährdender und gesundheitsgefährdender Substanzen in der Frac-Flüssigkeit verboten werden, ebenso wie die Entsorgung der Flüssigkeiten in tiefen Schichten. Derartige Anträge wurden jedoch bei einer Bundestagssitzung am 13. Dezember abgelehnt. Der Bundesrat hat nur einen Tag nach dem gescheiterten Verbotsantrag eine Änderung im Bundesberggesetz empfohlen, wonach Fracking immer mit einer "obligatorischen Umweltverträglichkeitsprüfung" verbunden sein soll.
Die Bundesländer folgten einem entsprechenden Antrag Nordrhein-Westfalens und forderten die Bundesregierung zu einer entsprechenden Verordnung auf. Die Prüfung ist bereits heute Teil von Genehmigungsverfahren etwa beim Bau von Atommülllagern oder einem Steinbruch mit mehr als 25 Hektar Fläche. Dabei werden mögliche Umweltschäden noch umfassender untersucht, als es bei "gewöhnlichen" Anträgen der Fall ist. In dem Verfahren können auch Bürger ihre Bedenken vorbringen, die dann geprüft werden.
Das bedeutet aber nicht, dass es sich um eine Art Bürgerentscheid handelt, der etwa ein konkretes Fracking-Vorhaben verhindern könnte. Es geht allein um fachliche Einwände, die entsprechend begründet sein müssen. Der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung begrüßt die Vorlage. Vor allem, weil sie nach jahrelangem Streit etwas mehr Planungs- und Rechtssicherheit verspricht. Ob diese neue Verordnung in Kraft tritt, darüber muss nun die Bundesregierung entscheiden. Umweltminister Altmaier hatte die Diskussion um Fracking bereits im August in seinen Zehn-Punkte-Plan zur Energiewende aufgenommen, den er noch bis zur Bundestagswahl abarbeiten will.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Die Deutschen sind bei solchen Themen traditionell sehr kritisch, das zeigte bereits die hiesige Diskussion um CCS. Das Vorhaben, Kohlenstoffdioxid unter die Erde zu pressen und dort zu lagern, gilt in Deutschland auf Grund der massiven Gegenwehr von Bürgern und Gemeinden als nicht umsetzbar. Auch gegen Fracking haben sich bereits zahlreiche Bürgerinitiativen gegründet, die Internetseite www.gegen-gasbohren.de listet beispielsweise aktuell 31 Initiativen auf. Sie alle fürchten negative Folgen für die Umwelt und wollen Fracking in ihren Gemeinden verhindern.
Wie ist die Lage in anderen Ländern?
Neben den USA treiben auch andere Staaten die Förderung von Schiefergas voran. In Europa ist Polen Vorreiter – aus zwei Gründen: Einerseits verfügt das Land über reiche Vorkommen von Schiefergas im Untergrund. Andererseits ist Polen, abgesehen von heimischen Kohlevorkommen, stark abhängig von russischen Erdgaslieferungen. Noch. Denn Bereits im April 2010 sagte Außenminister Radoslaw Sikorski: "Dank Schiefergas können wir in 10 bis 15 Jahren ein zweites Norwegen sein." Es geht dem Land also nicht nur um Unabhängigkeit von Importen, sondern um Export im großen Stil. So schnell wird das Ziel aber nicht erreicht werden. Verglichen mit den USA sind die Vorschriften in der EU strenger, auf Grund des fehlenden Wettbewerbs sind Bohrungen in Polen dreimal so teuer wie in Amerika. Zudem will die EU keine Forschungen für Techniken zur Shale-Gas-Förderung finanzieren. Das soll die Energiebranche selbst übernehmen.
Großbritannien hat am 13. Dezember ein vorläufiges Fracking-Verbot wieder aufgehoben. Schiefergas könne sich als "nützliche Ergänzung britischer Energiequellen" herausstellen, sagte Energieminister Ed Davey. Allerdings müssen die Firmen umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, bevor eine Erlaubnis erteilt wird. In Australien, das ebenfalls über große Ressourcen verfügt, wurde im Herbst die erste Produktionsbohrung von Schiefergas in Betrieb genommen. Frankreich und Bulgarien hingegen haben Fracking verboten.
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