Seuchensuche: Dichtung und Wahrheit
Harte Fakten sind das A und O der Wissenschaft. Bis jedoch gesicherte Erkenntnisse auf festem naturwissenschaftlichen Boden stehen, verstreicht Zeit - viel Zeit. Manchen Medizinern dauert das einfach zu lange: Sie vertrauen lieber der Macht des Gerüchts.
"Haste schon gehört ... ?", beginnt manches vertraute Gespräch im Hausflur. Und auch beim büroalltäglichen Plausch an der Kaffeemaschine werden so die neuesten Neuigkeiten diskret untereinander ausgetauscht. Natürlich bleiben wir skeptisch, wenn sich mal wieder Volkes Stimme über vermeintliche Skandale und Skandälchen das Maul zerreißt, aber – irgendetwas wird schon dran sein.
Gerüchte mögen eine wichtige sozialpsychologische Rolle in der Gruppendynamik spielen, doch kein seriöser Wissenschaftler, der schließlich damit aufgewachsen ist, nur harten Fakten zu glauben, würde es wagen, ein Gerücht als Informationsgrundlage in Erwägung zu ziehen. Keiner? Doch, ein erlauchter Kreis von Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO setzt auf die Macht des Geredes.
Worum geht es? Häufig kursieren wildeste Spekulationen über irgendwelche Tod bringenden Seuchen, die in einem entfernten Winkel der Erde ausgebrochen sein sollen. Oft entbehrt das Gerücht jeglicher Grundlage und ist damit nicht weiter der Rede wert. Wenn jedoch mehr als Panikmache dahinter steckt, könnte es dann vor weltweiten Epidemien rechtzeitig warnen?
Das könnte es tatsächlich, meint zumindest Gina Samaan. Die WHO-Epidemiologin hat sich zusammen mit ihren Kollegen auf die Meldungen über den Ausbruch der Vogelgrippe in Südostasien gestürzt, die im Internet, in Zeitungen, in E-Mails und unter Expertenkreisen Anfang des Jahres 2004 rumorten.
Dabei konnten die Seuchensucher für den Zeitraum vom 20. Januar bis zum 26. Februar 2004 insgesamt vierzig Gerüchte aus zwölf Ländern identifizieren. Manche davon waren ausgemachter Blödsinn – so wie die Reuters-Meldung von vier vietnamesischen Schweinen, denen die Vogelpest zugesetzt haben soll, oder die Geschichte vom deutschen Touristen mit Vogelgrippeviren als Mitbringsel eines Asientrips im Gepäck, den die Washington Times auszumachen glaubte.
Aber immerhin neun der Flüsterpropagandaverlautbarungen – und damit 23 Prozent – erwiesen sich im Nachhinein als richtig. So führte die Fama vom rätselhaften Entensterben in China zu einem Einfuhrstopp für chinesisches Federvieh in 48 Ländern – zu Recht, handelte es sich doch tatsächlich um eine Infektion mit dem gefürchteten H5N1-Virus.
Natürlich dauert es ein Weilchen, bis ein Gerücht zum wissenschaftlichen Fakt geadelt wird – oder als Irrläufer in der Versenkung verschwindet. Nach durchschnittlich zweieinhalb Tagen, so fanden die Famaforscher heraus, konnte die viralen Legenden verifiziert werden. Falsche Fährten hielten sich dagegen hartnäckiger: Erst nach neun Tagen galt ein Durchschnittsgerücht als widerlegt.
Interessanterweise nahmen die Dämpfe aus der Vogelgrippen-Gerüchteküche mit zunehmender Information über das wahre Ausmaß der Epidemie ab. Damit bestätigen die WHO-Experten das Allport-Postman'sche Gerüchtegesetz. Die beiden amerikanischen Gerüchtegelehrten Gordon Allport und Leo Postman hatten bereits in den 1940er Jahren eine Formel aufgestellt, nach der die Gerüchtstärke R gleich ist dem Produkt aus Bedeutung i und Unsicherheit a des Gerüchts. Mit anderen Worten: Mit zunehmender Sicherheit – oder Bedeutungslosigkeit – kursiert immer weniger Klatsch zu dem Thema.
Die Gerüchteforschung dient nicht als Selbstzweck im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, die Forscher verbinden damit vielmehr konkrete Forderungen. Denn da es in der Gerüchteküche mitunter sehr schnell brodelt, kann sie als frühzeitige Alarmanlage für tatsächlich gefährliche Seuchen genutzt werden. Wer sich lediglich auf wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse verlässt, könnte zu spät kommen.
Deshalb hat die WHO bereits ein Gerüchte-Überwachungs-Netzwerk installiert, das die Sagen und Legenden über Seuchenausbrüche aufspürt. Es beruht auf einem Computerprogramm der kanadischen Gesundheitsbehörde, welches das Internet nach Schlüsselwörtern wie "Ausbruch" oder "Epidemie" durchforstet. Auch Australien setzt inzwischen auf die Gerüchteküche als epidemiologisches Frühwarnsystem. "Es ist Teil einer ganze Palette von Überwachungssystemen, das zwar klein, aber äußerst informativ ist", erläutert ein Sprecher des australischen Gesundheitsministeriums die neue Errungenschaft.
Diesen Pfad will die WHO konsequent weiterverfolgen: So viele Länder wie möglich sollen in Zukunft jeden noch so abstrusen Klatsch und Tratsch über Krankheitsausbrüche sammeln und ihr eigenes Gerüchte-Überwachungs-Netzwerk aufstellen. Nach welchen Kriterien die Länder ihre Suche nach dem Hörensagen durchführen, spielt nach Ansicht von WHO-Experte Thomas Grein eine untergeordnete Rolle – Hauptsache, sie erfolgt "systematisch". Also aufgemerkt, wenn es mal wieder heißt: "Haste schon gehört ... ?"
Gerüchte mögen eine wichtige sozialpsychologische Rolle in der Gruppendynamik spielen, doch kein seriöser Wissenschaftler, der schließlich damit aufgewachsen ist, nur harten Fakten zu glauben, würde es wagen, ein Gerücht als Informationsgrundlage in Erwägung zu ziehen. Keiner? Doch, ein erlauchter Kreis von Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO setzt auf die Macht des Geredes.
Worum geht es? Häufig kursieren wildeste Spekulationen über irgendwelche Tod bringenden Seuchen, die in einem entfernten Winkel der Erde ausgebrochen sein sollen. Oft entbehrt das Gerücht jeglicher Grundlage und ist damit nicht weiter der Rede wert. Wenn jedoch mehr als Panikmache dahinter steckt, könnte es dann vor weltweiten Epidemien rechtzeitig warnen?
Das könnte es tatsächlich, meint zumindest Gina Samaan. Die WHO-Epidemiologin hat sich zusammen mit ihren Kollegen auf die Meldungen über den Ausbruch der Vogelgrippe in Südostasien gestürzt, die im Internet, in Zeitungen, in E-Mails und unter Expertenkreisen Anfang des Jahres 2004 rumorten.
Dabei konnten die Seuchensucher für den Zeitraum vom 20. Januar bis zum 26. Februar 2004 insgesamt vierzig Gerüchte aus zwölf Ländern identifizieren. Manche davon waren ausgemachter Blödsinn – so wie die Reuters-Meldung von vier vietnamesischen Schweinen, denen die Vogelpest zugesetzt haben soll, oder die Geschichte vom deutschen Touristen mit Vogelgrippeviren als Mitbringsel eines Asientrips im Gepäck, den die Washington Times auszumachen glaubte.
Aber immerhin neun der Flüsterpropagandaverlautbarungen – und damit 23 Prozent – erwiesen sich im Nachhinein als richtig. So führte die Fama vom rätselhaften Entensterben in China zu einem Einfuhrstopp für chinesisches Federvieh in 48 Ländern – zu Recht, handelte es sich doch tatsächlich um eine Infektion mit dem gefürchteten H5N1-Virus.
Natürlich dauert es ein Weilchen, bis ein Gerücht zum wissenschaftlichen Fakt geadelt wird – oder als Irrläufer in der Versenkung verschwindet. Nach durchschnittlich zweieinhalb Tagen, so fanden die Famaforscher heraus, konnte die viralen Legenden verifiziert werden. Falsche Fährten hielten sich dagegen hartnäckiger: Erst nach neun Tagen galt ein Durchschnittsgerücht als widerlegt.
Interessanterweise nahmen die Dämpfe aus der Vogelgrippen-Gerüchteküche mit zunehmender Information über das wahre Ausmaß der Epidemie ab. Damit bestätigen die WHO-Experten das Allport-Postman'sche Gerüchtegesetz. Die beiden amerikanischen Gerüchtegelehrten Gordon Allport und Leo Postman hatten bereits in den 1940er Jahren eine Formel aufgestellt, nach der die Gerüchtstärke R gleich ist dem Produkt aus Bedeutung i und Unsicherheit a des Gerüchts. Mit anderen Worten: Mit zunehmender Sicherheit – oder Bedeutungslosigkeit – kursiert immer weniger Klatsch zu dem Thema.
Die Gerüchteforschung dient nicht als Selbstzweck im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, die Forscher verbinden damit vielmehr konkrete Forderungen. Denn da es in der Gerüchteküche mitunter sehr schnell brodelt, kann sie als frühzeitige Alarmanlage für tatsächlich gefährliche Seuchen genutzt werden. Wer sich lediglich auf wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse verlässt, könnte zu spät kommen.
Deshalb hat die WHO bereits ein Gerüchte-Überwachungs-Netzwerk installiert, das die Sagen und Legenden über Seuchenausbrüche aufspürt. Es beruht auf einem Computerprogramm der kanadischen Gesundheitsbehörde, welches das Internet nach Schlüsselwörtern wie "Ausbruch" oder "Epidemie" durchforstet. Auch Australien setzt inzwischen auf die Gerüchteküche als epidemiologisches Frühwarnsystem. "Es ist Teil einer ganze Palette von Überwachungssystemen, das zwar klein, aber äußerst informativ ist", erläutert ein Sprecher des australischen Gesundheitsministeriums die neue Errungenschaft.
Diesen Pfad will die WHO konsequent weiterverfolgen: So viele Länder wie möglich sollen in Zukunft jeden noch so abstrusen Klatsch und Tratsch über Krankheitsausbrüche sammeln und ihr eigenes Gerüchte-Überwachungs-Netzwerk aufstellen. Nach welchen Kriterien die Länder ihre Suche nach dem Hörensagen durchführen, spielt nach Ansicht von WHO-Experte Thomas Grein eine untergeordnete Rolle – Hauptsache, sie erfolgt "systematisch". Also aufgemerkt, wenn es mal wieder heißt: "Haste schon gehört ... ?"
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