Hudson's Bay Company: Für Fell gebe ich meine Haut
Wenn Kanadier über das älteste Unternehmen Nordamerikas reden, bemühen sie gerne den ganz großen Vergleich: »Here before Christ« so wird das Kürzel HBC mit einem gewissen Augenzwinkern übersetzt, obwohl es eigentlich für die Hudson's Bay Company steht.
Die HBC wurde am 2. Mai 1670 in London gegründet, unter dem so sperrigen wie schönen Namen »The Governor and Company of Adventurers of England trading into Hudson's Bay«. Das »Unternehmen der Abenteurer« erhielt das Handelsmonopol vom englischen König Karl II. für ein riesiges Gebiet, das Rupert's Land hieß und sich weiträumig um die Hudson Bay verteilte. Diese royale Urkunde hängt noch heute streng bewacht in der Torontoer Firmenzentrale.
Dabei waren es zwei Franzosen, die den Briten das Unternehmen schmackhaft gemacht hatten. Zwei Überläufer, wenn man so will, denn Frankreich und das Vereinigte Königreich befanden sich im 17. und 18. Jahrhundert in einem oft militärisch ausgetragenen Dauerkonflikt, der sich bis in die Neue Welt erstreckte. Die Pelzhändler Pierre Esprit Radisson (nach dem heute die gleichnamige Hotelkette benannt ist) und sein Schwager Médard de Grosseilliers hatten sich mit dem Gouverneur in Nouvelle France (dem heutigen Québec) überworfen. Der Marquis d'Argenson hatte sich standhaft geweigert, Expeditionen in weiter nördlich gelegene Gebiete zu finanzieren, obwohl dort besonders reiche Jagdgründe vermutet wurden.
Im Mittelpunkt all dieser Überlegungen stand ein possierliches Nagetier, von dem es nur zwei Arten auf der Welt gibt: den europäischen und kanadischen Biber. So wie heute Nerz war damals Biber der begehrteste Pelz der Welt. Es galt in Europa als Dernier Cri, einen Hut aus Biberpelz zu tragen. Somit war die weltweite Nachfrage da – und man hörte von Seefahrern und Abenteurern sagenhafte Berichte, dass es an der Hudson Bay von Pelztieren nur so wimmelte.
Am Londoner Hof interessiert man sich für die Ideen der beiden Franzosen
Also wechselten die beiden Franzosen die Seiten und machten den Briten die Idee mit den lukrativen Bibern schmackhaft. Ein hoher englischer Offizier in den amerikanischen Kolonien vermittelte die Abenteurer an den britischen Hof. König Karl II. gewährte ihnen überraschenderweise eine Audienz. Sie durften ihm 1666 ihre Pläne vorstellen, die Hudson Bay zu erforschen und wirtschaftlich nutzbar zu machen.
Bei den Gesprächen war auch Prinz Ruprecht von der Pfalz anwesend, der Duke of Cumberland. Er sollte zum einflussreichen Förderer der beiden Franzosen werden. Der Prinz konnte auf ein abenteuerliches Leben zurückblicken und war schon deshalb genau der Richtige für so ein exotisches und waghalsiges Unternehmen.
1619 in Prag geboren, wuchs er in den Niederlanden auf, wohin sich sein Vater, der glücklose »Winterkönig«, aus Böhmen geflüchtet hatte. Später promovierte er in Oxford und nahm am Dreißigjährigen Krieg auf wechselnden Seiten teil. Er geriet in Gefangenschaft, focht dann im Englischen Bürgerkrieg für seinen Onkel Karl I., der ihn als Ritter in den Hosenbandorden aufnahm, und wurde schließlich 1646 aus England verbannt, als Oliver Cromwell an die Macht kam.
Darauf kämpfte er mit den Franzosen gegen Cromwell, machte als Pirat Jagd auf englische Schiffe im Kanal, später sogar in der Karibik und ging 1652 für einige Jahre nach Deutschland zurück, um sich der Kunst und den Naturwissenschaften zu widmen. Vielleicht wurde es ihm etwas langweilig, und so trat er 1660 erneut in englische Dienste, nachdem die Stuarts die Macht übernommen hatten.
Ein Abenteurer unterstützt das abenteuerliche Unternehmen
Prinz Ruprecht, dessen Mutter ebenfalls eine Stuart war, machte schnell Karriere und wurde 1673 gar Oberbefehlshaber der Royal Navy. Als er 1682 starb, erhielt er eine pompöse Beisetzung in der Westminster Abbey (siehe Memoirs of the Court of England, John Heneage Jesse, London 1846).
Dieser deutsche Prinz mit Abenteurerblut in den Adern beauftragte die beiden Franzosen, den französischen Händlern, die das Monopol auf den kanadischen Fellhandel hatten, im Norden Kanadas in die Parade zu fahren und sich einen Gutteil des lukrativen Pelzhandelsgeschäfts unter den Nagel zu reißen. Im Frühsommer 1668 stachen zwei Erkundungsschiffe, die »Nonsuch« und die »Eaglet«, in See. Nur die Nonsuch erreichte die Hudson Bay im August, während die Eaglet in schwere Unwetter geriet und umkehren musste. Doch auch mit halber Stärke lieferte die Expedition einen formidablen Ertrag: Über ein Jahr später, Ende 1669, kam die Nonsuch voll beladen mit feinstem Biberpelz wieder in England an.
Das überzeugte den englischen Monarchen derart, dass er Prinz Ruprecht und einer Hand voll weiterer Investoren am 2. Mai 1670 das Recht übertrug, in Rupert's Land Handel zu treiben. Das Dokument schuf die geografisch größte Firma, die die Welt je gesehen hat. Sie erstreckte sich auf alle Regionen, deren Flussläufe in die Hudson Bay mündeten. Und das waren sehr, sehr viele. Prinz Ruprecht wurde der erste Gouverneur der neuen Hudson's Bay Company.
Der Begriff Gouverneur verrät, dass das Unternehmen sich gleichsam in der Rolle des Staats sah – eines »Staats«, der die Reiche in der Alten Welt kümmerlich klein wirken ließ: Nach heutigen Berechnungen hatte die HBC Anspruch auf eine Landfläche von 3,8 Millionen Quadratkilometer. Mehr als doppelt so viel wie das heutige Spanien, Frankreich und Deutschland zusammengenommen und etwa 40 Prozent des jetzigen kanadischen Staatsgebiets. Rupert's Land reichte bis in die heutige USA hinein, nach Minnesota und North Dakota, aber auch nach Oregon.
Und größtenteils war es unerforscht. Wem es in den Fingern juckte, am Pelzgeschäft mitzuverdienen, dem verriet schon das Motto der HBC, worauf er sich einließ: Bis heute lautet es »Pro Pelle Cutem«. Für Fell gebe ich meine Haut.
Gut erreichbare Außenposten bilden die Grundlage der Company
Im Sommer 1670, kurz nach der Gründung der noch jungen Firma, nahmen zwei weitere Schiffe von England aus Kurs auf die Hudson Bay. Diesmal lautete der Auftrag, einen dauerhaften Außenposten aufzubauen. Die Wasserstraßen boten gute Transportwege zu den zahlreichen Außenposten. Biberpelz wurde gar zu einer Art eigenen Währung. Zwölf Felle entsprachen zum Beispiel dem Wert eines Gewehrs.
Handelspartner der HBC waren die Indianer, die meist zum Stamm der Cree und der Assiniboine gehörten. Das riesige Land wurde im Stil einer Regierung verwaltet: Die HBC regulierte den Zugang von Trappern ins Territorium, verpflichtete diese, ausschließlich an die HBC zu verkaufen, und versorgte die Waldläufer im Gegenzug mit Waffen, Lebensmitteln, Pferden, Booten und weiterer Ausrüstung. Die Handelsposten entwickelten sich überall im Land zu Keimzellen von Dörfern und Städten.
1682, im Todesjahr von Prinz Ruprecht, wechselten die beiden Franzosen Radisson und Médard de Groseilliers erneut die Seiten und gründeten die »Compagnie du Nord« in direkter Konkurrenz zur HBC. Sie hatten zuvor vergeblich bei der HBC für das französische »Modell« geworben: deutlich ins Landesinnere vorzudringen, dort Handelsposten zu errichten und in unmittelbarem Kontakt zu den Indianern zu stehen. Die Hudson's Bay Company setzte jedoch auch bei ihrer weiteren Expansion auf Faktoreien, die in Küstennähe der Bay aufgebaut wurden und wo die Jäger und Händler zweimal im Jahr mit ihren Booten anlegten, um ihre Ware zu verkaufen.
Frankreich versetzte regelmäßig Nadelstiche, indem es bewaffnete Expeditionskorps in Marsch setzte, um Außenposten der HBC zu attackieren. Das neu gegründete Hauptquartier der Handelsgesellschaft, York Factory, wechselte mehrfach den Besitzer; einmal regierten die Franzosen dort von 1697 an für 16 Jahre – und in der Londoner Zentrale war man »not amused« zu sehen, wie über diesen langen Zeitraum das viele Geld aus dem Pelztierhandel in französische Taschen wanderte.
Der Vertrag von Utrecht 1713, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, hatte unmittelbare Auswirkungen auf die englischen und französischen Interessen in Nordamerika. Frankreich musste Nova Scotia und Neufundland an England abtreten. Der nächste Rückschlag für die Franzosen kam 1763, als im Vertrag von Paris der Rückzug aus Québec besiegelt wurde. Das hielt französische und schottische Pelztierjäger, die nicht für die HBC arbeiteten und sozusagen »freiberuflich« unterwegs waren, nicht davon ab, immer weiter nach Norden vorzudringen und Biber zu erlegen. All diese Händler und Jäger schlossen sich schließlich zusammen und bauten 1779 in Montreal mit der North West Fur Company eine Konkurrenzorganisation zur HBC auf. Ihr Chef war der Schotte Alex McTavish.
Die zwei Big Player werden zur Fusion genötigt
Die NWC agierte wirtschaftlich sehr erfolgreich, verfügte zwischenzeitlich über mehr Handelsposten als die ungeliebte Konkurrenz der HBC, scheiterte aber letztlich daran, dass die britische Regierung die HBC protegierte, denn nur diese Organisation war quasi von der Krone eingesetzt worden.
Und so nimmt es nicht wunder, dass auf Druck Londons 1821 die beiden Konkurrenzunternehmen fusionierten. Die neue Firma reichte vom Atlantik bis zum Pazifik und bis in die USA hinein. 1838 verlängerte London das Monopol der HBC noch einmal um 21 Jahre. Doch die Jagd auf Biber wurde aus Tierschutzgründen eingeschränkt. Kein gutes Omen für ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell auf Biberpelzen fußte.
Als im Vertrag von Oregon 1846 die amerikanisch-kanadische Grenze wie mit dem Lineal gezogen am 49. Breitengrad festgesetzt wurde, zog sich die HBC nach und nach aus den nordwestlichen US-Bundesstaaten zurück und verlegte das regionale Hauptquartier nach Vancouver Island.
Und dann trat ein neuer weitaus mächtigerer Konkurrent auf den Plan: das Vereinigte Königreich selbst. Eine Kommission empfahl der Regierung, dass die HBC Gebiete in Westkanada an den Staat abtreten sollte.
Als 1867 das Dominion Kanada geschaffen und somit die kanadische Emanzipation vom Mutterland Großbritannien besiegelt wurde, geriet die HBC zunehmend in die Defensive. 1869 erklärte sie sich bereit, ihr Territorium an den jungen Staat Kanada abzutreten. Ein Jahr später verlor die HBC auch ihr jahrhundertealtes Handelsmonopol.
Verkaufen statt kaufen – die Hudson's Bay Company erfindet sich neu
Die Hudson's Bay Company musste sich neu erfinden. Der Niedergang des Pelzhandels Ende des 19. Jahrhunderts erforderte andere Einnahmequellen für das älteste Unternehmen Nordamerikas. Zum einen lieferte man nun lebenswichtige Güter an die Siedler in Kanadas Westen. Zum anderen wurde eine Kaufhauskette aufgebaut, die bis in die kleinen Siedlungen hineinreichte. Noch heute finden sich die Bay-Warenhäuser überall im Land.
Um neues Wachstum zu generieren, blickte das Management über Kanadas Grenzen hinaus. 2015 übernahm man Galeria Kaufhof. Zum Konzern gehört auch die US-Nobelmarke Saks Fifth Avenue. Doch der Ausflug nach Europa stand unter keinem guten Stern. Der kanadische Konzern mit seinen rund 40 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von knapp zehn Milliarden kanadischen Dollar hatte sich finanziell übernommen und schrieb über mehrere Jahre hohe Verluste. 2018 brachte HBC seine Aktivitäten in ein Joint Venture mit der österreichischen Signa-Holding ein und verkaufte seinen knapp 50-Prozent-Anteil später an die Österreicher.
Die kanadische Jahrhundert-Erfolgsstory wurde im vergangenen Jahr weiter getrübt: 2019 wurde die Hudson's Bay Company ausgerechnet von einer US-amerikanischen Investorengruppe übernommen und danach nicht mehr an der Börse gelistet.
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