Direkt zum Inhalt

Verhaltensforschung: Die Achillesferse des Angreifers

Schädling für den Imker, Todfeind für die Honigbiene: die Orientalische Hornisse geht auf Bienenjagd, dringt dabei in Stöcke ein und raubt auch noch den mühsam produzierten Honig. Doch die Immen scheinen im Laufe der Zeit gelernt zu haben, sich zu wehren.
Erstickungskugel
Da er einen menschlichen Vater hatte, war Achilles sterblich. Doch seine Mutter – die Meeresgöttin Thetis – wollte ihm indes zur Unsterblichkeit verhelfen, indem sie ihren Sohn in den Styx tauchte, Grenzfluss zwischen der lebendigen Welt und dem Totenreich Hades – ein probates Mittel in der damaligen Zeit. Dummerweise hielt sie dabei Achilles mit einer Hand an der rechten Ferse, sodass das Wasser diese Körperstelle nicht benetzen konnte: ein Fenster zur Sterblichkeit. Und tatsächlich kam der ansonsten Unsterbliche durch einen Pfeil ums Leben, der ausgerechnet seine Ferse durchbohrte.

Es sei dahin gestellt, ob eine Verletzung an der Ferse im medizinischen Sinne akut lebensbedrohlich ist, geht es hier doch um das Prinzip, das die griechische Mythologie verdeutlicht: Ein unverwundbar erscheinendes Gegenüber hat eine schwache Stelle, die es angreifbar macht. Der Achilles der modernen Insektenwelt ist so gesehen eindeutig die Orientalische Hornisse (Vespa orientalis), zumindest aus Sicht der zypriotischen Honigbiene (Apis mellifera cypria). Unangreifbar wirkt die Großwespe, können doch die Bienenstachel ihr nichts anhaben, da sie ihre Körperoberfläche nicht durchdringen.

Der Achilles unter den Insekten

Ganz hilfos ist der Bienendavid gegenüber dem Hornissengoliath allerdings nicht immer. Ein enger Verwandter der zypriotischen Vertreter – die Östliche Honigbiene (Apis cerana) – setzt gegen die Asiatische Riesenhornisse (Vespa mandarinia) beispielsweise Hitzekugeln ein: Viele Immen ballen sich um eine Hornisse zusammen und schrauben die Temperatur durch Muskelzittern bis zum Hitzetod des Angreifers in die Höhe.

Erstickungskugel | Zypriotische Honigbienen (Apis mellifera cypria) wehren sich gegen eine angreifende Orientalische Hornisse (Vespa orientalis), indem sie eine Kugel um deren Hinterleib bilden und sie so ersticken.
Diese Strategie kommt für die armen Zyprioten leider nicht in Frage, sind die Orientalischen Hornissen doch hervorragend an heiße Klimabedingungen angepasst und vertragen Temperaturen bis zu fünfzig Grad Celsius – hier erwartet auch die Immen selbst der Hitzetod. Dennoch sammeln sich die Insekten – äußerlich ähnlich einer Hitzekugel – bei einem Angriff um den Hinterleib der Hornisse. Die Temperatur im Innern der Kugel steigt aber nur auf unbedrohliche 44 Grad Celsius an – und trotzdem ist die übermächtig erscheinende Großwespe nach einiger Zeit tot. Was passiert hier?

Die zypriotische Taktik

Diese Frage stellte sich ein Forscherteam um Alexandros Papachristoforous von der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Dabei nahmen die Biologen zunächst den Atmungsvorgang bei der Hornisse unter die Lupe: Durch Zusammenziehen der Längsmuskulatur im Hinterleib verkleinern die Insekten üblicherweise ihr Volumen und pressen dann Luft durch winzige Atemöffnungen – Stigmen genannt – hinaus. Nach dem vollständigen "Ausatmen" verschließen Tergite – kleine Platten des Außenskelettes – die Stigmen dicht. Erst bei einer Lockerung der Längsmuskulatur dehnt sich das Abdomen aus, die Tergite geben die Atemöffnungen wieder frei und frische, sauerstoffreiche Luft wird eingesaugt. Vielleicht, so vermuteten die Forscher, streuen bedrohte Bienen Sand in dieses komplexe Atmungsgetriebe der Hornissen?

In einem Experiment setzten Papachristoforous und seine Kollegen kleine Kunststoffstifte zwischen die Tergite einiger Hornissen, sodass die Atemöffnungen auch beim Ausatmen nie ganz verschlossen wurden. In solcher Weise präparierte und naturbelassene Hornissen wurden auf frei lebende Honigbienen los gelassen und die jeweilige Zeit bis zum Ableben der Großwespen in den Abwehrkugeln wurde verglichen. Im Durchschnitt benötigten die Verteidiger doppelt so lange – nämlich zwei anstatt einer Stunde – zum Töten der getunten Hornissen.

Die Achillesferse sind die Tergite

Die Wissenschaftler schließen aus ihren Beobachtungen, dass die Bienen durch die Kugelbildung die Atembewegungen der Hornisse direkt Blockieren: Sie halten den Hinterleib des Angreifers gestaucht und damit die Atemöffnungen durch die Tergite geschlossen. Diese Verhalten hat in etwa den Effekt, als würde uns unmittelbar nach dem Ausatmen jemand einen schweren Gegenstand auf den Brustkorb drücken und uns gleichzeitig den Mund zu halten.

Zusätzlich scheint auch die Temperaturerhöhung in den Erstickungskugeln eine Rolle zu spielen: Zusammen mit der mechanischen Behinderung der Atmung ist sie wahrscheinlich für eine Zunahme der Kohlenstoffdioxid- und Abnahme der Sauerstoffkonzentration in der Hämolymphe – dem Blut der Insekten – verantwortlich. Darüber hinaus würgen Hornissen bei hohen Temperaturen ihren Mageninhalt hoch, um sich Verdunstungskühle zu verschaffen. Der resultierende Wasserverlust schwächt die Tiere zusätzlich.

"Um die hitzeresistenten Hornissen zu töten, haben die zypriotischen Honigbienen eine alternative Taktik zu Hitzekugel und Stachel entwickelt", so Gérard Arnold, Mitglied des Forscherteams. "Sie haben anscheinend die Achillesferse ihres Feindes erkannt, indem sie die Atembewegung des Abdomens verhindern." Wer auch immer damals die Hornissen in den Styx getaucht hat, scheint sie dabei also am Hinterleib gehalten zu haben.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.