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Älteste Landpflanze: Dieses lebende Fossil könnte dem Klimawandel zum Opfer fallen

In Moosen der Gattung Takakia hinterließen bereits Dinosaurier Fußabdrücke. Doch obwohl die Pflanze Jahrmillionen unbeschadet überstanden hat, bereitet der menschengemachte Klimawandel ihr zunehmend Probleme.
Wildwachsende Takakia-Population im Hochland von Tibet
Lange waren Forscher sich nicht sicher, wie sie Takakia systematisch einordnen sollen, da die Pflanze Merkmale von Grünalgen, Lebermoosen und Laubmoosen kombiniert.

Unter den Füßen der Dinosaurier wuchs bereits vor 165 Millionen Jahren ein grüner, moosiger Flaum namens Takakia. Als die indische Landmasse dann vor 65 Millionen Jahren begann, sich auf Asien zuzuschieben und sich schließlich das Himalaya-Gebirge auftürmte, ritt das Moos mit hinauf auf das Dach der Welt und passte sich an die neue eisige, sonnenbeschienene Umgebung an. Doch diese uralte Landpflanze, die als eine der ältesten lebenden Pflanzen der Erde gilt, ist dabei, von der Erde zu verschwinden. Fällt sie möglicherweise dem Klimawandel zum Opfer?

»Fast jeder spricht gerne über Dinosaurier und ist begeistert von ihnen«, sagt Ralf Reski, Pflanzenbiotechnologe an der Universität Freiburg. »Aber diese Moose haben schon die Dinosaurier kommen und auch wieder gehen sehen.«

Die fast 400 Millionen Jahre alte Gattung Takakia umfasst zwei rezente Arten: T. ceratophylla und T. lepidozioides, die nur auf der tibetischen Hochebene gemeinsam vorkommen. Jede Art lebt auch ohne die andere an einigen wenigen anderen Orten, darunter der US-Bundesstaat Alaska und die kanadische Provinz Britisch-Kolumbien, obwohl es rätselhaft ist, wie sie dorthin gekommen sind. Reski und seine Kolleginnen und Kollegen verbrachten ein Jahrzehnt damit, in Teilen des Himalayas auf über 4000 Metern die Geheimnisse dieser außergewöhnlichen Pflanze zu ergründen.

Schnelle Evolvierer

Die Laubmoose, fachsprachlich Bryophyten genannt, sind eine von drei Pflanzengruppen, die als Moose zusammengefasst werden. Daneben gibt es noch die Hornmoose und die Lebermoose. Lange waren Forscher sich nicht sicher, wie sie Takakia systematisch einordnen sollen, da die Pflanze Merkmale von Grünalgen, Lebermoosen und Laubmoosen kombiniert. Das neu sequenzierte Genom von T. lepidozioides, über das die Gruppe um Ralf Reski nun in der Fachzeitschrift »Cell« berichtet, bestätigt nun, dass Takakia zum einen extrem selten ist und sich zum anderen nur schwer zuordnen lässt. »Wir konnten belegen, dass Takakia ein Laubmoos ist, das sich vor 390 Millionen Jahren, kurz nach der Entstehung der ersten Landpflanzen, von den anderen Laubmoosen getrennt hat«, sagt Koautor Yikun He von der Capital Normal University in China laut einer Pressemitteilung. Die Art weise zudem die höchste Anzahl von sich schnell entwickelnden Genen auf, die man bislang für eine Pflanze kenne.

Unter Zuhilfenahme eines mindestens 165 Millionen Jahre alten Takakia-Fossils aus der Mongolei kombinierten Reski und sein Team urzeitliche und aktuelle Daten zur äußeren Gestalt und zum Genom von T. lepidozioides, um die Evolution des Mooses zu rekonstruieren. Takakia-Moose sind deshalb einzigartig, weil sie äußerlich Merkmale früherer Landpflanzen aufweisen, die sich seit 165 Millionen Jahren offenbar kaum verändert haben. So fehlt den Blättern beispielsweise die ausgeprägte Ober- und Unterseite, die Pflanzen heute haben. Ebenso fehlen die Spaltöffnungen (Stomata), die die meisten modernen Pflanzen für den Gasaustausch nutzen.

Auf Zellebene jedoch identifizierten die Autoren 121 Gene, die sich seither besonders schnell entwickelt haben – einige davon helfen Takakia, unter extremen Umgebungsbedingungen wie starkem Frost und hoher UV-Strahlung zu überleben. Die Gensequenzen enthalten doppelt so viele schnell evolvierende Gene wie ein anderes tibetisches Moos namens Herbertus sendtenri.

Die Forscher gehen davon aus, dass sich Takakia vergleichsweise schnell daran anpassen musste, dass sich der Lebensraum im Zuge der Entwicklung des Himalaya-Gebirges anhob: Die Landschaft war plötzlich einer zunehmend starken UV-Strahlung, niedrigeren Temperaturen und mehr Schnee ausgesetzt. Eine dieser Anpassungen besteht darin, dass die Pflanze mehr Lipide in ihren Zellen einlagert als andere Moose. Das hilft ihr dabei, den schädlichen Sonnenstrahlen zu widerstehen.

»Hat man das gesamte Genom entschlüsselt und vor sich liegen, lässt sich die Evolution der Gene sehr gut nachvollziehen«, sagt Brent Mishler, Bryologe an der University of California. Vollständige Genomsequenzen gebe es nur für wenige andere Moose. »Das war wirklich dringend nötig.«

Bedenken wegen des Klimawandels

Die Forscher fanden allerdings Hinweise darauf, dass Takakia in Schwierigkeiten steckt. In den zurückliegenden zehn Jahren sind die Populationen des Mooses auf der tibetischen Hochebene jährlich um 1,6 Prozent zurückgegangen, schneller als andere lokale Moose; die Rote Liste der bedrohten Arten der Internationalen Union für Naturschutz stuft T. ceratophylla bereits als weltweit gefährdet ein. Hochspezialisierte Organismen wie Takakia, die sich für das Leben in bestimmten Nischen entwickelt haben, würden durch den Klimawandel, der ihren Lebensraum verändert, stärker als andere Organismen beeinträchtigt, sagt Studienautor Reski. Der Rückgang von Takakia korreliere mit einem Temperaturanstieg von fast 0,5 Grad pro Jahr zwischen 2010 und 2021.

Jedoch sei die Temperatur möglicherweise nicht die einzige Ursache für den Rückgang der Pflanze, sagt Lalita Calabria, Bryologin am Evergreen State College in Olympia, Washington. Bryophyten reagierten auch empfindlich auf andere Umweltveränderungen, wie Luftqualität und Luftfeuchtigkeit. Reski stimmt zu. Eine Einschränkung der Studie bestehe darin, dass man noch nicht genau wissen, warum Takakia sich zurückziehe.

Brent Mishler betont, das urzeitliche Genom von Takakia sei eine Art historisches genetisches Manuskript, und es sei gut, eine Aufzeichnung davon zu haben, falls T. lepidozioides aussterben sollte. Das Genom könne nun dazu beitragen, mehr über die Evolutionsgeschichte der Moose herauszufinden, und als Beleg für ihre große genetische Vielfalt dienen.

In Zukunft möchten Reski und seine Kollegen auch Takakia-Populationen außerhalb der tibetischen Hochebene erforschen, um mehr über die Anpassungen der Art zu erfahren. Auf der Basis wolle man Erhaltungspläne formulieren. »Da die Art so selten ist und nur begrenzte Ausbreitungsmöglichkeiten hat, können wir damit ein überzeugenderes Argument für ihren Schutz liefern«, sagt auch Lalita Calabria.

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