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Der Ursprung der Kriechtiere : Die älteste Urschildkröte stammt aus Baden-Württemberg

Der Urahn der Schildkröten hatte einen Schwanz, keinen Panzer und war eher Schlange als Krokodil. Das zeigen Fossilfunde eines süddeutschen Urzeit-Reptils.
Schildkröte

Der Stammbaum der Schildkröten war seit jeher recht zweifelhaft: Zu merkwürdig anders als andere Reptilien sind die gut gepanzerten modernen Vertreter, als dass ihr Platz in der Ahnenreihe der Kriechtiere und ihrer nächsten Verwandten bisher eindeutig festgenagelt werden konnte. Vor allem vermissten Stammbaumforscher ein informatives fossiles Vorzeigebindeglied zwischen den heutigen Formen und den bereits bekannten alten Linien. Da kommt ein neuer Fund aus Deutschland nun gerade recht: Er zeigt, wie die Ahnen der Schildkröten im Erdzeitalter der mittleren Trias ausgesehen haben. Der Schildkrötenuropa kam demnach damals noch ohne Panzer daher, hatte dafür merkwürdig verbreiterte Rippenknochen, Zähne im Maul und gehörte insgesamt eher in die Gruppe der Eidechsen und Schlangen als zu den Vögeln, Dinosauriern oder Krokodilen.

So viel ergab zumindest die Analyse von Schildkrötenfossilien der Gattung Pappochelys (aus dem Griechischen für "Großvater" und "Schildkröte"), die Rainer Schoch und Hans-Dieter Süß durchgeführt haben. Mehrere Exemplare dieses ausgewachsen etwa 20 Zentimeter langen Schildkrötenopas waren seit 2006 in einem Muschelkalksteinbruch in Baden-Württemberg entdeckt worden: Hier hatten die Tiere vor etwa 240 Millionen Jahren wohl an oder in einem flachen See gelebt. Auf den ersten Blick ähnelten die Tiere den heutigen Schildkröten noch kaum – vor allem wegen des fehlenden Panzers und des langen Schwanzes.

Urschildkröte | Kurze Schnauze mit Zähnen, langer Schwanz und noch kein Panzer: So könnte ein Schildkrötenvorfahr der Gattung Pappochelys in der Trias ausgesehen haben.

Ein genauer Blick auf die Anatomie der Tiere zeigt aber, dass sie eindeutig mit den wenigen bereits bekannten, etwas jüngeren Vorfahren der Schildkröten verwandt sind, wie etwa der in China gefundenen Gattung Odontochelys. Sie galt als bislang ursprünglichste Schildkröte. Experten stritten aber darüber, ob sie bereits einen halbwegs vorzeigbaren Rückenpanzer hatte und zu welcher Großgruppe der Reptilien sie – und damit alle Schildkröten – zu zählen ist.

Im Zentrum des Streites stand dabei der Schildkrötenschädel, der wie bei allen Wirbeltieren Aufschluss über die Verwandtschaft geben kann. Wichtig sind hier die Zahl der Schädelfenster: Die Großgruppe der Diapsiden, zu der die modernen Kriechtiere zählen, hat zwei davon; einigen ausgestorbenen altertümlichen Reptilien, Vertretern der Anapsiden, fehlen diese dagegen ganz. Auch heutige Schildkröten haben keine Schädelfenster, und man diskutierte kontrovers, ob sie deshalb eine eigene uralte Gruppe darstellen. Zumindest diesen Streit legt das neue Fossil nun endgültig ad acta: Pappochelys zeigt eindeutig Anlagen zu den zwei typischen Diapsiden-Schädelfenstern.

Pappochelys, Urahn der Schildkröten | Die Rekonstruktion zeigt Anlagen von Rücken- wie Bauchpanzer: So sind etwa die Rippen schon verbreitert und stärker verknöchert. Einen typischen Schildkrötenpanzer hatte Pappochelys vor 240 Millionen Jahren aber noch nicht gerade.

Ganz so eigenständig und einzigartig ist die Linie der Schildkröten demnach nicht. Tatsächlich kann man Pappochelys und damit seine Nachkommen nun sogar noch genauer in der großen Gruppe der Diapsiden einordnen: Sie gehören nicht zur Unterkategorie der Archosauria (also der Gruppe der Krokodile, Dinosaurier und Vögel), sondern sind eindeutig Vertreter der Schuppenechsen oder Lepidosauria, also verwandt mit den heutigen Echsen und Schlangen. Vielleicht haben sie sich tatsächlich im Laufe des Erdmittelalters im Meer aus einer großen Gruppe von diapsiden Reptilien entwickelt, wie einige Forscher schon früher gemutmaßt haben.

Dabei entstand dann erst allmählich – und nach der Ära von Pappochelys – das Wahrzeichen der Tiergruppe: ihr aus massiven Rippenknochenplatten bestehender Panzer. Entwicklungsgeschichtlich geht er aus aus den Wirbelbögen und Rippen hervor, die sich in einem spektakulären Prozess allmählich nach außen und über den in den "Brustkorb" wandernden Schultergürtel verlagert haben. Warum ein derartiger Aufwand sich lohnte, ist noch nicht ganz klar. Gut möglich aber, dass die Rückenaufwölbung gar nicht primär zum Schutz ausgebaut wurde, sondern um dem Auftriebskörper der im Wasser lebenden Tiere einen Knochenballast entgegenzusetzen. Erst später, als die aquatischen Formen dann terrestrisch wurden, entwickelte sich die Knochenplattenpanzerung dann in Richtung der heutigen Landschildkrötenmode.

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