News: Die Anatomie der himmlischen Kobolde
„Es ist, als ob man zehntausend Feuerwerkskörper gleichzeitig abschießt”, sagte Timothy F. Bell, Leiter der Forschungsgruppe. Das neue Modell wurde von Bell, seinem Mitarbeiter Victor Pasko sowie Umran S. Inan, Professor für Elektrotechnik, am Montag auf der Konferenz der American Geophysical Union in San Francisco vorgestellt.
Wenn ein großer Blitz von der Spitze einer Gewitterwolke in wenigen Millisekunden in den Boden einschlägt, läßt er große Mengen nicht kompensierter elektrischer Ladung in der Atmosphäre zurück. Dies erzeugt in dem Bereich über dem Unwetter ein starkes elektrostatisches Feld. Ist die Blitzentladung groß genug, ionisiert das elektrostatische Feld die Luft an Tausenden von Punkten.
Normalerweise hat Luft, die hauptsächlich aus elektrisch neutralen Molekülen besteht, einen relativ hohen elektrischen Widerstand. Aber ein hinreichend großes elektrisches Feld kann die umgebenden Elektronen so sehr beschleunigen, daß ihre Energien ausreichen, um bei Kollisionen weitere Elektronen aus den Luftmolekülen herauszuschlagen. Die dabei ionisierten Luftmoleküle leiten Elektrizität viel besser als im normalen neutralen Zustand.
Die Stanford-Forscher sagen voraus, daß sich in Höhen zwischen 50 und 80 km entlang der gut leitenden Punkte kleine Funkenkanälchen bilden. Diese Kanäle, die ein blaues Glühen abgeben, werden mit Geschwindigkeiten bis zu einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit nach oben getrieben (obwohl einige wenige nach unten wandern) und lassen glühende rote Lichtstreifen aus ionisiertem Gas zurück. Die Forscher schätzen, daß die durchschnittliche Dicke dieser Lichtstreifen in einer Höhe von 65 km ungefähr 10 m beträgt. Bei geringeren Höhen werden sie dünner und bei größeren Höhen sind sie dicker. Die Lichtstreifen glühen einige Millisekunden, bevor sie erlöschen.
Mit Hochgeschwindigkeitskameras wurden aus beträchtlicher Entfernung Aufnahmen von Kobolden gemacht, die über 40 Kilometer breit und hoch waren. Die beste Auflösung dieser Bilder lag bei mehreren hundert Metern, viel größer als die Lichtstreifen, die das Stanford-Modell vorhersagte. Inans Gruppe hofft, ein spezielles Teleskop erwerben zu können, das Einzelheiten der Kobolde bis zu einer Breite von wenigen Metern aufnehmen kann. Damit könnten die Wissenschaftler herausfinden, ob die Struktur, die sie vorhergesagt haben, auch tatsächlich existiert.
Das Modell erklärt in der Tat einige der jüngeren Beobachtungen. Andere Forschungsgruppen haben extrem schnelle Aufwärtsbewegungen in den Kobolden entdeckt und in den ersten ein bis zwei Millisekunden der Koboldbildung intensive Explosionen blauen Lichts gemessen. Das Modell erklärt auch warum die Stanford-Forscher im Niedrigstfrequenzband (ELF = extremely low frequency) der Kobolde intensive Radiowellen gemessen haben. ELF-Signale reichen von ungefähr 3 Hertz bis zu 3 Kilohertz und werden in erster Linie mit geophysikalischen Prozessen, wie Blitzen, Polarlichtern und den Strahlengürteln, welche die Erde umgeben, in Verbindung gebracht.
„Diese Signale beweisen, daß Kobolde ein substantielles Phänomen sind. Sie bestehen nicht einfach aus reflektiertem Licht, wie ein Regenbogen, sondern sie besitzen Ionisierungskanäle. Wenn Sie sich in einen Kobold vorwagen würden, würden Sie einen höllischen Schock bekommen”, sagte Umran.
Weitere Informationen und Bilder in:
Blitze zwischen Wolken und Weltraum, Spektrum der Wissenschaft 10/1997, Seite 64-67
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