Erderwärmung: Das Atlantische Strömungssystem hat sich extrem abgeschwächt
Das gigantische Meeresströmungssystem, das Wärme um den Erdball befördert und dazu beiträgt, das Klima im Nordatlantik zu regulieren, scheint sich zu verlangsamen. Jüngste Forschungen haben nun ergeben, dass er sich derzeit an seinem schwächsten Punkt in den letzten 1000 Jahren befindet.
Die große Frage lautet: Ist der Klimawandel die Ursache für die Verlangsamung? Oder handelt es sich nur um eine natürliche Fluktuation? Momentan, davon sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überzeugt, spielt wahrscheinlich beides eine Rolle.
Eine neue Studie in der Fachzeitschrift »Nature Climate Change« kam zu dem Ergebnis, dass sich die Strömung tatsächlich verlangsamt und der Klimawandel zumindest einen Anteil daran hat. Die Forschenden untersuchten den Zustand der Atlantischen Umwälzzirkulation, die auch als Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) bekannt ist. Zurzeit funktioniere das Strömungssystem immer noch im Bereich natürlicher Schwankungen. Das heißt, der Klimawandel hat die Strömung bislang nicht über die Grenzen ihres regulären Langzeitverhaltens hinaus verändert. Laut Mojib Latif, dem Hauptautor der Studie und Wissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, dominiert damit die natürliche Variabilität der AMOC die Wirkung der vom Menschen verursachten Erderwärmung. Noch. Denn das wird sich in Zukunft wahrscheinlich ändern. Klimamodelle deuten darauf hin, dass die Erderwärmung stärker zur Abschwächung beitragen wird, bis das Strömungsverhalten kippt – mit unbekannten Folgen.
Wie die Meeresströmungen das Klima beeinflussen
Wie schnell dieser Prozess vonstattengehen wird und wie stark die Verlangsamung sein wird, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Die Frage ist allerdings von weit reichender Bedeutung. Die Atlantische Umwälzzirkulation transportiert Wärme vom Äquator in die Arktis wie ein gigantisches flüssiges Förderband. Als Folge herrschen im Nordatlantik, einschließlich Europa und dem Osten der Vereinigten Staaten, milde klimatische Bedingungen.
Wenn sich die Strömung weiter verlangsamt, könnten sich die Klimamuster in den mittleren Breiten aber verändern. Teile des Nordatlantiks könnten sich abkühlen, während sich die weiter südlich gelegenen Gebiete entlang der Ostküste der USA erwärmen würden. Und einige Daten deuten nun darauf hin, dass diese Prozesse bereits im Gange sind.
Mehrere Studien in den vergangenen Jahren zeigten, dass sich die AMOC verlangsamt. Einer Untersuchung zufolge hat die Abschwächung bereits vor mindestens 150 Jahren eingesetzt. Direkte Messungen stammen jedoch aus den letzten 20 Jahren, als Forschende begannen, in der gesamten Region Ozeansensoren zu installieren. Daher lassen sich die modernen Daten der AMOC nicht unmittelbar mit den Erkenntnissen aus der Vergangenheit vergleichen. Und das erschwert eine Einschätzung, wie stark die gegenwärtige Abschwächung Teil eines natürlichen Musters ist.
Historische Aufzeichnungen nennen die Oberflächentemperaturen der Meere
Fachleute haben inzwischen verschiedene Lösungen für das methodische Problem gefunden. Etwa durch die Analyse von Sedimentproben vom Meeresboden, deren chemische Zusammensetzung Hinweise auf die Bedingungen in den Ozeanen vor Hunderten von Jahren liefern. Für die neue Studie haben die Forschenden um Latif historische Aufzeichnungen verwendet, in denen die Oberflächentemperaturen im gesamten Atlantik dokumentiert sind und die bis ins Jahr 1900 zurückreichen. Da Veränderungen in der AMOC die Wassertemperaturen unterschiedlich beeinflussen können, ließ sich mit Hilfe der Aufzeichnungen der Zustand der Strömung beurteilen. Darüber hinaus haben Latif und Co ihre historischen Analysen mit Simulationen von Klimamodellen verknüpft, um die Ursachen für den abgeschwächten AMOC zu eruieren.
Ihr Ergebnis: In der Tat beeinflusst die menschengemachte Erderwärmung das Strömungssystem. Es sei »eine Art Fingerabdruck« des Klimawandels, formuliert es Latif. Die natürliche Variabilität dominiere im Moment noch das Geschehen. Allerdings nehme der Einfluss des Klimawandels im Hintergrund immer mehr zu. »Da sich in der Atmosphäre weiter Treibhausgase anreichern, sagen alle Modelle eine starke Verlangsamung der Zirkulation voraus«, erklärt Latif. Die Frage ist, wann dieses Signal zur bestimmenden Kraft wird, die auf die Strömung wirkt. Wenn nicht jetzt, dann sicher irgendwann in der Zukunft, sollte sich der Planet weiter erwärmen.
Die Ergebnisse der Studie stehen in vollem Einklang mit anderen aktuellen Forschungsergebnissen zur Verlangsamung der AMOC, schreibt Stefan Rahmstorf, Ozeanexperte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, in einer E-Mail an »E&E News«. Rahmstorf war nicht an der neuen Studie beteiligt, hat aber in den vergangenen Jahren mehrere wichtige Arbeiten über die Abschwächung der AMOC veröffentlicht.
Seines Erachtens liegen reichlich Belege für zumindest einen gewissen Einfluss der menschengemachten Erderwärmung vor. Dazu gehören der »Fingerabdruck« des Klimawandels, den die neue Studie nennt, dann die Tatsache, dass es laut den Klimamodellen zu einer Verlangsamung auf Grund der Treibhausgasemissionen kommen wird, und der Trend, dass die jüngste Verlangsamung die extremste des vergangenen Jahrtausends zu sein scheint.
Die Studie verdeutliche auch, wie wichtig eine kontinuierliche direkte Überwachung des Atlantiks sei, sagt Latif. Es ist allerdings teuer und aufwändig, Ozeansensoren zu platzieren und zu warten. Dafür muss eine dauerhafte Finanzierung gesichert sein. Zurzeit sind sie aber das beste Mittel, um die AMOC zu überwachen. »All dies gilt es zu pflegen«, sagte Latif. »Das ist das Entscheidende.«
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