Covid-19: Die Coronavirus-Medikamente kommen
Nicht vor 2021, sind sich Fachleute einig, wird es einen Impfstoff gegen die Krankheit Covid-19 geben. Doch eine andere, weniger prominente Klasse von Wirkstoffen könnte schon binnen weniger Wochen verfügbar sein – und die Schwere der Krankheit abmildern.
Viele Unternehmen und Forschungsgruppen suchen derzeit nach solchen antiviralen Medikamenten gegen das Coronavirus. Dabei konzentrieren sie sich auf bereits zugelassene Präparate. Die haben den sehr langwierigen und teuren Marsch durch die klinischen Studien schon hinter sich, den jedes neue Medikament durchlaufen muss, um sicherzustellen, dass sich die Risiken und Nebenwirkungen in Grenzen halten.
Dadurch könnten solche Medikamente sehr viel schneller verfügbar sein als ein Impfstoff – und womöglich Leben retten. Denn auch wenn antivirale Medikamente bei Weitem nicht so effektiv sind wie Wirkstoffe gegen Bakterien, können sie einen drohenden schweren Krankheitsverlauf deutlich abschwächen. Bereits zu Beginn der Pandemie versuchten Mediziner in China und anderen Ländern deswegen, schwer erkrankten Patientinnen und Patienten zu helfen, indem sie auf Verdacht Medikamente einsetzten, die gegen andere Viren wirken.
Auf das HIV-Medikament Kaletra zum Beispiel setzte in China zwischenzeitlich ein echter Run ein, als Mediziner aus Thailand Erfolge mit dem Medikament meldeten. Einige laufende Studien sollen dies nun wissenschaftlich überprüfen. Allerdings wirkt das Präparat gezielt gegen die HIV-Protease, die dem Virus beim Zusammenbau seiner Virushülle und anderer Teile hilft. Das Enzym ist spezifisch für das HI-Virus, deswegen ist unklar, ob die Medikamentenkombination tatsächlich auch nennenswert gegen das entsprechende Enzym bei Sars-CoV-2 wirkt.
Vorbild: Sars
Nun aber nutzen Arbeitsgruppen die inzwischen bekannten Eigenschaften des Virus, um systematisch unter vorhandenen Medikamenten nach aussichtsreichen Kandidaten zu suchen. Denn ähnlich wie klassische Antibiotika wirken auch antivirale Medikamente gegen verschiedene Stoffwechselwege, die mehreren Viren gemeinsam sein können. Vor allem setzen Fachleute dabei auf die Erfahrungen mit dem Sars-Coronavirus von 2003, das mit dem aktuellen Virus recht eng verwandt ist.
»Beide Viren verwenden sehr ähnliche Strategien, um in Zellen einzudringen, und lösen möglicherweise auch die Krankheit über ähnliche Mechanismen aus«, sagt der Infektionsbiologe Markus Hoffmann vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen (DPZ), der die genauen Abläufe beim Eindringen von Sars-CoV-2 in Lungenzellen erforscht. Beide Viren nutzen den gleichen Zellrezeptor, um an ihre Zielzellen anzudocken. »Die vorhandenen Erkenntnisse zu Sars können daher helfen, Covid-19 zu bekämpfen.«
Hoffmann und Stefan Pöhlmann, der Leiter der Abteilung Infektionsbiologie des DPZ, untersuchen, wie das Virus sich Zugang zum Opfer verschafft. »Die Erforschung, wie Sars-CoV-2 in Lungenzellen eindringt, kann Angriffspunkte für die Therapie identifizieren«, sagt Pöhlmann. Die Wissenschaftler entdeckten bereits Ende Januar, dass ein entscheidender Schritt dieses Vorgangs für ein bekanntes Medikament anfällig ist.
Damit das Virus in Wirtszellen eindringen kann, muss ein in der Zellmembran sitzendes Enzym aktiv werden und das Oberflächenprotein des Virus schneiden. Wie Hoffmann und Pöhlmann in ihrer Publikation in »Cell« berichten, blockiert der Hemmstoff Camostat diesen Prozess. Das Schneideprotein gehört zu den weit verbreiteten Serinproteasen, die auch bei Krebs und anderen Krankheiten eine Rolle spielen; deswegen ist der Wirkstoff bereits für bestimmte Therapien zugelassen.
Angriff aufs Erbgut
Pöhlmann warnt allerdings vor übereilten Schlüssen. »Unsere Arbeiten zeigen zunächst nur, dass Camostat die Sars-CoV-2-Infektion von isolierten Lungenzellen im Labor unterdrückt.« Ob der Wirkstoff das neue Coronavirus auch im Menschen hemmt, müsse noch untersucht werden. »Ein Problem könnte dabei sein, dass Camostat nicht in ausreichenden Mengen in der Lunge verfügbar wird.« Derartige offene Fragen ergeben sich bei allen bereits zugelassenen Medikamenten, die derzeit hastig auf Covid-19 umgewidmet werden.
Um klinische Tests kommen auch sie nicht herum. Am weitesten auf diesem Weg fortgeschritten ist der Wirkstoff Remdesivir, der gerade in drei klinischen Studien in China und den USA erprobt wird. Das Medikament sollte ursprünglich bei Ebola die Vervielfachung des Viruserbguts sabotieren. Sars-CoV-2 speichert seinen genetischen Code auf RNA, ebenso wie viele andere Krankheitserreger, darunter Influenza und das Ebolavirus. Diese Viren sind bei ihrer Vermehrung auf das Enzym RNA-Polymerase angewiesen – Remdesivir blockiert dessen Arbeit, weil es einem Baustein für das Molekül gleicht, sich aber nicht weiterverarbeiten lässt.
Im Februar erklärte Bruce Aylward von der Weltgesundheitsorganisation, Remdesivir sei derzeit der einzige Wirkstoff, von dem die Organisation annimmt, dass sie eine Wirkung hat. Hinter dieser Einschätzung stehen anscheinend mehrere Befunde aus den letzten Jahren, denen zufolge der Wirkstoff in Tiermodellen nicht nur gegen Sars wirkt, sondern auch gegen das ebenfalls von einem Coronavirus ausgelöste Mers.
Remdesivir hat außerdem durch seinen Wirkmechanismus ein sehr breites Anwendungsspektrum – jede RNA-Polymerase muss die Bausteine für RNA binden und damit auch ihre Imitate. Ein anderer Wirkstoff aus dieser Gruppe ist Ribavirin, es hemmt ebenfalls die RNA-Polymerase verschiedener RNA-Viren und wurde auch gegen Sars getestet. Und man wird mehr als ein Medikament brauchen, um Covid-19 wirksam zu behandeln. Ein einzelner Wirkstoff, das lehrt die Erfahrung, erzeugt in relativ kurzer Zeit Resistenzen beim Virus. Selbst wenn sich Remdesivir als hochwirksam erweisen würde, wäre die Suche damit keineswegs beendet.
Zweckentfremdete Grippemittel
Eine ganz andere Wirkstoffklasse soll derweil in China in gleich mehreren großen klinischen Studien an Patientinnen und Patienten getestet werden. Der Wirkstoff Umifenovir verhindert ähnlich wie Camostat, dass das Virus in die Zelle eindringt – allerdings stört er den Schritt nach dem Andocken des Krankheitserregers an die Zelle, wenn die Membranen beider verschmelzen müssen, um das Erbgut des Virus in die Zelle zu entlassen. Der Wirkstoff ist in Russland und China gegen Grippe zugelassen.
Nach einem ähnlichen Mechanismus wirkt das gegen Malaria und Rheuma zugelassene Medikament Chloroquin. Es lieferte in Experimenten mit Zellen und angeblich auch im klinischen Einsatz ermutigende Ergebnisse. Es wird derzeit ebenfalls in mehreren Studien klinisch getestet.
Einige andere Grippemedikamente sind ebenfalls im Rennen, darunter so genannte Neuraminidasehemmer wie der Wirkstoff Oseltamivir, die das Virus stören, wenn sich die Millionen neuen Viren ihren Weg aus der Zelle zu bahnen beginnen. Ob diese Stoffe wirken, ist unklar – in Versuchen an Sars schnitten sie nicht allzu gut ab.
Tatsächlich ist das Feld der klinischen Studien an potenziellen Medikamenten inzwischen unübersichtlich geworden. Denn neben diesen und einigen anderen bereits zugelassenen Wirkstoffen arbeiten Pharmafirmen bereits an neuen, spezifischen Medikamenten, in der Erwartung, dass die nun global verbreitete Seuche so schnell nicht mehr verschwindet.
Im Rennen sind nicht nur klassische Wirkstoffe, die teilweise schon beim Aufkommen von Sars als viel versprechend galten – zum Beispiel Helicase-Hemmer, die einen weiteren spezifischen Schritt bei der Verarbeitung des Virenerbguts stören. Zu ihnen gesellen sich Medikamente auf der Basis von Antikörpern; eine Strategie, die Viren auf die gleiche Weise bekämpft wie eine Impfung.
Mit der Impfung haben solche Neuentwicklungen allerdings auch ein Problem gemeinsam: die lange Entwicklungsdauer, bedingt vor allem durch die aufwändigen klinischen Studien. Und während ein aussichtsreicher Impfstoff vermutlich im Eilverfahren durch alle Zulassungen geschleust würde – Fachleute rechnen bereits im Sommer 2021 mit einer solchen Vakzine –, hätte ein Medikament weniger Aussicht auf solche Sonderbehandlung. Schließlich löst es das grundsätzliche Problem der rasanten Ausbreitung des Virus nicht.
Hochwillkommen wäre ein wirksames Mittel gegen das Virus trotzdem. Allein dadurch ließe sich die Auswirkung großer Ausbrüche aufs Gesundheitssystem deutlich senken, ganz abgesehen von der Erleichterung für Patientinnen und Patienten. Schon Anfang April sollen die ersten Studien mit Remdesivir und anderen Wirkstoffen abgeschlossen sein. Fachleute rechnen fest damit, dass die ersten Medikamente dann bald verfügbar sind. Zum Beispiel sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts: »Wir sind optimistisch, dass in den nächsten Wochen solche Medikamente dann auch in Deutschland eingesetzt werden.«
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