Gene Editing: Die CRISPR-Welle
Die Mitarbeiter von Addgene erfahren es sofort, wenn wieder ein neues Paper zu CRISPR/Cas9 veröffentlicht wird. Viele Autoren hinterlegen ihre Methoden und Werkzeuge nämlich bei dieser Non-Profit-Organisation, wo andere Wissenschaftler dann gleich darauf zugreifen können. "Nach der Publikation eines Top-Papers dauert es oft nur Minuten, bis wir die ersten Anfragen dazu haben", erzählt Joanne Kamens, die Geschäftsführerin der Organisation aus Cambridge in Massachusetts.
Seit Anfang 2013 klingelt hier ständig das Telefon. Damals war zum ersten Mal publiziert worden, wie Forscher das Genom menschlicher Zellen mit Hilfe des CRISPR/Cas9-Systems an definierten Stellen geschnitten hatten. "Alle Mann an Deck, hieß es dann", erinnert sich Kamens. Seitdem haben sich viele Molekularbiologen mit der neuen Methode beschäftigt, mit der sich das Genom fast jedes Organismus so einfach wie noch nie und dabei so zielgenau wie mit keiner anderen Technik verändern lässt. Addgene hat bisher schon 60 000-mal und in 83 Ländern der Welt Materialien zu CRISPR verschickt – das sind immerhin etwa 17 Prozent ihrer Lieferungen, und die Informationen zu CRISPR auf ihrer Homepage wurden allein letztes Jahr mehr als eine Million Mal aufgerufen.
Bei vielen Diskussionen zu CRISPR/Cas9 geht es um den therapeutischen Einsatz und das Gene Editing bei menschlichen Embryonen. Die wahre Revolution findet laut den Wissenschaftlern aber gerade im Labor statt, weil CRISPR genau das bietet, was Biologen wollen: Spezifität. Mit der Methode lässt sich eine ganz bestimmte DNA-Sequenz inmitten des riesigen Genoms anvisieren und untersuchen, wobei das DNA-Editing nur eine der Anwendungen ist. Die Wissenschaftler können nämlich auch schon Proteine an ganz bestimmte DNA-Sequenzen leiten, um so Gene an- oder auszuschalten oder biologische Kreisläufe nachzustellen und die Vorgänge in Zellen und Erkrankungen besser zu verstehen. "Mit diesem genialen Werkzeug kann jeder einfache Molekularbiologe die Funktion des Genoms untersuchen", sagt der Hämatologe Daniel Bauer vom Boston Children's Hospital in Massachusetts. "Mit CRISPR lassen sich viel mehr Fragen angehen", fügt Peggy Farnham hinzu, die als Molekularbiologin an der University of Southern California in Los Angeles arbeitet. "Das ist einfach toll." Wir zeigen fünf Beispiele, wie das CRISPR/Cas9-System die Analyse von Zellen verändert.
Modifizierte Genschere
Das CRISPR/Cas9-System besteht aus zwei Komponenten: Cas9 ist ein Enzym, welches die DNA wie eine Schere schneidet; dies erfolgt aber erst, nachdem es von einem kleinen RNA-Molekül an eine ganz bestimmte DNA-Sequenz geleitet wurde. Das zelleigene Reparatursystem flickt anschließend die DNA an der Schnittstelle wieder zusammen. Dabei macht es aber oft Fehler. Und genau das gefällt jenen Wissenschaftlern, die Gene zerschneiden möchten, um ihre Funktion zu erforschen. Der genetische Kode kennt nämlich keine Gnade: Schon der kleinste Fehler, der sich bei der vermeintlichen Reparatur einschleicht, kann die produzierten Proteine völlig verändern oder ihre Produktion sogar stoppen. Damit können die Forscher aber bestens untersuchen, was bei Problemen in der Gen- oder Proteinsequenz in den Zellen oder dem ganzen Organismus geschieht.
Außerdem gibt es in den Zellen noch einen weiteren Reparaturmechanismus, der DNA-Schnitte anhand einer DNA-Schablone, eines so genannten Templates, reparieren kann. Mit Hilfe solch einer Vorlage lässt sich das Genom in fast jeder gewünschten Weise und an jeder Stelle verändern, sprich editieren. Als sich im Jahr 2012 etliche Labors noch damit beschäftigten, wie meisterhaft sie menschliche DNA mit Hilfe des Gene-Editing-Tools schneiden konnten, ging eine Gruppe von Forschern schon einen ganz anderen Weg. "Als Erstes veränderten wir die DNA-Schere", erklärt der Systembiologe Jonathan Weissman von der University of California in San Francisco (UCSF).
Er hatte von einer neuen Technik des Systembiologen Stanley Qi von der Stanford University in California gehört, der das Cas9-Enzym durch Mutation verändert hatte. Cas9 blieb durch die Mutation zwar noch an der DNA-Stelle gebunden, an die es seine guide-RNA (Führungs-RNA) geleitet hatte, die DNA wurde aber nicht mehr geschnitten. Stattdessen blieb das Enzym einfach dort sitzen und verhinderte, dass die betreffende DNA-Sequenz durch Proteine der Transkriptionsmaschinerie in RNA umgeschrieben wurde. Unter Verwendung dieses Systems konnte der Forscher Gene abschalten, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Mit diesem dCas9 (dead cas9 für totes Cas9) versuchten die Forscher dann noch etwas ganz Neues: Sie hefteten es an ein anderes Protein, welches die Genexpression aktiviert. Und mit ein paar weiteren Kniffen hatten sie so eine neue Möglichkeit gefunden, Gene nach Belieben ein- und auszuschalten.
"CRISPR wirkt wie ein Skalpell und ermöglicht ein sehr spezifisches Vorgehen"Martin Kampmann
Seitdem haben mehrere Labors Varianten der Methode veröffentlicht, und viele nutzen sie fieberhaft für ihre Fragestellungen. Bei einer der gängigsten Anwendungen werden Hunderte verschiedener Zelllinien gleichzeitig hergestellt; jede Linie enthält eine andere guide-RNA, mit der ein anderes Zielgen anvisiert wird. Martin Kampmann arbeitet ebenfalls als Systembiologe an der UCSF und möchte herausfinden, ob und wie sich beim An- und Abschalten bestimmter Gene das Überleben von Neuronen verändert, die zuvor toxischen Proteinaggregaten ausgesetzt wurden – dies wird bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer als zu Grunde liegender Mechanismus diskutiert. Ein ähnliches Screening hatte Kampmann schon zuvor mit der Methode der RNA-Interferenz durchgeführt, mit der sich ebenfalls Gene ausschalten lassen. Doch auch wenn sich hiermit viele Moleküle gleichzeitig untersuchen lassen, zeigt die Technik auch Schwächen. "RNAi ist ein Shotgun-Verfahren, bei dem auch Bereiche außerhalb der Zielsequenz beeinflusst werden", sagt er. "Dagegen wirkt CRISPR wie ein Skalpell und ermöglicht ein viel spezifischeres Vorgehen."
Weissman und seine Kollegen, darunter auch der Systembiologe Wendell Lim von der UCSF, verbesserten die Methode noch. Die Forscher führten eine längere guide-RNA ein, deren Motive an verschiedene Proteine binden können. So lassen sich in einem einzigen Ansatz die Gene von drei verschiedenen Stellen gleichzeitig aktivieren oder inhibieren. Laut Lim sind bis zu fünf Manipulationen gleichzeitig möglich; limitiert wird dies wahrscheinlich nur durch die Menge an guide-RNAs und Proteinen, die maximal in eine Zelle hineingepackt werden können. "Entscheidend ist letztlich, wie viel die Zelle aushält." Die Möglichkeit, verschiedene Ziele in einem Experiment anzuvisieren, hat auch den Systembiologen Ron Weiss vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge zum CRISPR/Cas9-System gebracht. Auch sein Team konnte mehrere Gene in einem Experiment parallel verändern, was die Experimente enorm beschleunigt und ebenso das Nachstellen komplizierter biologischer Regelkreise ermöglicht. So lässt sich beispielsweise der Metabolismus von Zellen in ein wahres Biokraftwerk verwandeln. "Die Systembiologie will komplexes Verhalten durch das Abbild komplizierter Regelkreise darstellen", erklärt er.
Epigenetik mittels CRISPR
Die Genetikerin Marianne Rots hatte sich am Anfang ihrer Karriere das Ziel gesetzt, neue Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Deshalb arbeitete sie zunächst an Gentherapien gegen einzelne mutierte Gene, änderte dann aber doch ihren Kurs. "Mir wurde klar, dass viele Krankheiten auf Veränderung eines ganzen Expressionsprofils beruhen und nicht so sehr auf der Mutation einzelner Gene, worauf ich mich vorher konzentriert hatte", sagt die Forscherin vom University Medical Center in Groningen in den Niederlanden. Und weil ihrer Meinung nach das Epigenom die beste Möglichkeit zur Genkontrolle bietet, wollte sie dieses und nicht das Genom selbst beeinflussen.
"Wir hatten einfach keine Tools wie die Genetiker, um die Funktion einzelner Gene direkt zu untersuchen"Jeremy Day
Das Epigenom besteht aus chemischen Markierungen an der DNA sowie deren als Histone bezeichneten Verpackungsproteinen. Diese steuern den Zugang zur DNA und öffnen oder versperren den Weg jener Proteine, die an der Genexpression beteiligt sind. Die Markierungen, die so genannten "marks", verändern sich allerdings mit der Zeit, wobei einige im Lauf der Entwicklung und durch Umwelteinflüsse hinzugefügt, andere entfernt werden. In den letzten Jahren wurden Millionen Dollar in die Bestimmung und Untersuchung der epigenetischen Markierungen der verschiedenen Zelltypen des Menschen gesteckt und deren Verteilungsmuster unter anderem mit der Gehirnaktivität und dem Tumorwachstum abgeglichen. Aber ohne die Möglichkeit, sie auch an definierten Stellen zu verändern, lässt sich ihre Beteiligung an biologischen Vorgängen nicht eindeutig zeigen "Es gab jede Menge Widerstand, weil wir einfach keine Tools wie die Genetiker hatten, um die Funktion einzelner Gene direkt zu untersuchen", sagte der Neurowissenschaftler Jeremy Day von der University of Alabama in Birmingham.
Mit dem CRISPR/Cas9-System könnte sich das ändern. Das Team um den Biotechnologen Charles Gersbach von der Duke University in Durham in North Carolina beschrieb im April 2015 eine Methode, mit der die Forscher Azetylgruppen – eine Art der epigenetischen Markierung – an Histone binden konnten, indem sie das nötige Enzym mittels CRISPR/Cas9 an bestimmte Stellen im Genom leiteten. Wie sie herausfanden, lässt sich die Expression von Zielgenen durch das Anhängen von Azetylgruppen an DNA bindende Proteine steigern. So bewiesen sie, dass ihr System funktionierte und dass an genau der untersuchten Stelle die epigenetische Markierung von Bedeutung ist. Bei der Veröffentlichung seiner Arbeiten hinterlegte Gersbach sein Enzym bei Addgene, damit es auch von anderen Forschern genutzt werden konnte – und das taten sie auch schon kurz darauf. Laut Gersbach wird eine Welle neuer Publikationen unter anderem zeigen, dass die parallele Veränderung mehrerer Markierungen einen synergistischen Effekt auf die Genexpression ausübt.
Die Werkzeuge der Forscher müssen aber erst noch verbessert werden. Dutzende Enzyme sind in der Lage, epigenetische Markierungen an der DNA zu setzen und wieder zu entfernen, und nicht alle lassen sich gleichermaßen nutzen. "Es war letztlich doch schwieriger als gedacht", erzählt Gersbach. "An das dCas9 ließen sich zwar alle möglichen Moleküle anfügen; aber die funktionierten dann doch nicht." Manchmal ist auch schwer zu erkennen, ob sich ein unerwartetes Ergebnis deshalb ergibt, weil die Methode an sich nicht funktioniert oder weil die epigenetische Markierung in dieser bestimmten Zelle oder Umgebung einfach keinen Einfluss hat. Rots beschäftigt sich mit der Funktion epigenetischer Markierungen bei Krebs und hat bisher mit dem schon älteren Editing-Werkzeug der Zinkfingerproteine gearbeitet; nun steigt sie aber doch auf CRISPR/Cas9 um. Mit dem neuen Tool haben alle wieder Chancen auf Erfolg, sagt sie – eine Aussicht, die schon immer für enormen Auftrieb gesorgt hat. So manche Forscher sahen in den Ergebnissen nur Koinzidenzen und meinten, die Veränderung der epigenetischen Markierungen hätte gar keinen Einfluss auf die Genexpression, erzählt Rots. "Das lässt sich aber mittlerweile relativ einfach überprüfen, weil sich inzwischen viele Wissenschaftler für die Epigenetik interessieren."
Den Kode knacken
Die epigenetischen Markierungen an der DNA sind aber nicht der einzige Kode im Genom, den es noch zu knacken gilt, weil nämlich mehr als 98 Prozent des menschlichen Genoms gar nicht für Proteine kodieren. Viele Forscher schreiben diesen Sequenzen trotzdem eine wichtige Rolle zu und wollen das nun anhand des CRISPR/Cas9-Systems herausfinden. Ein Teil dieser Sequenzen kodiert für RNA-Moleküle wie microRNAs und lange nichtkodierende RNAs mit anderen Funktionen als die reine Proteinexpression. Wieder andere Bereiche sind so genannte Enhancer, sprich Transkriptionsverstärker, welche die Expression der von ihnen kontrollierten Gene verstärken. Die meisten DNA-Sequenzen, die das Risiko weit verbreiteter Erkrankungen beeinflussen, liegen in Genomregionen mit nichtkodierender RNA und Enhancern. Früher, noch vor dem Aufkommen des CRISPR/Cas9-Systems, ließen sich die Effekte solcher Sequenzen nur schwer bestimmen. "Wir konnten die nichtkodierenden Regionen nur schlecht einordnen", erklärt Bauer. "Inzwischen können wir alles viel genauer untersuchen."
Farnham und ihre Kollegen nutzen CRISPR/Cas9 gerade zur Deletion jener Enhancer-Regionen, bei denen in Prostata- und Darmkrebs-Proben schon früher Mutationen gefunden wurden. Die Ergebnisse ihrer Analysen waren überraschend und sind noch nicht alle veröffentlicht. So hatten sie beispielsweise einen bisher als wichtig betrachteten Enhancer entfernt – doch dies zeigte keinerlei Einfluss auf die Expression der Gene im Umkreis von einer Millionen Basenpaaren. "Was wir bisher als starkes oder schwaches regulatorisches Element betrachtet haben, kann sich in Deletionsanalysen anscheinend als ganz anders erweisen", schließt sie.
"Technologien kommen und gehen. Man darf sich nie zu fest an eine bestimmte binden"Patrick Hsu
Auch die Analyse langer regulatorischer Sequenzen mittels CRISPR/Cas9 bietet Überraschungen, wie der Genetiker David Gifford vom MIT und sein Kooperationspartner Richard Sherwood vom Brigham and Women's Hospital in Boston feststellten. Die beiden führten in einer 40 000 Basenpaaren langen Sequenz verschiedene Mutationen ein und untersuchten im Anschluss daran, ob diese die Aktivität eines nahe gelegenen GFP-Gens beeinflussten. Anschließend listeten sie auf, welche DNA-Sequenzen die Genexpression steigerten, und fanden dabei auch einige Abschnitte, die sie zuvor nicht vermutet hätten, zumindest nicht anhand der bisher bekannten genregulatorischen Chromatin-Modifikationen.
In diese unbekannten Gefilde einzutauchen, war selbst mit CRISPR/Cas9 nicht ganz einfach. Das Cas9-Enzym schneidet an genau der Stelle, an die es von der guide-RNA geleitet wird, sofern dort die bestimmte Sequenz vorhanden ist. Ein Gen mit dieser Methode auszuschalten, ist nicht so schwierig, weil sich fast immer passende Stellen finden lassen. Wenn es aber darum geht, ganz spezifische Veränderungen in kurzen, nichtkodierenden RNAs einzuführen, gibt es schon weniger Möglichkeiten. "Wir können hier nicht einfach irgendeine Sequenz nehmen", sagt Reuven Agami, der am niederländischen Krebsinstitut in Amsterdam arbeitet. Deshalb machten sich einige Forscher auch schon in Bakterien auf die Suche nach Verwandten des Cas9-Enzyms, die andere Erkennungssequenzen aufweisen. Im Jahr 2015 charakterisierten die Mitarbeiter des Biotechnologen Feng Zhang vom Broad Institute of MIT and Harvard in Cambridge die Familie der Cpf1- Enzyme, die genauso wie Cas9 arbeiten, aber neue Sequenzmöglichkeiten bieten könnten. Laut Agami funktionieren nur wenige der Enzyme so gut wie das bekannte Cas9, doch er hofft trotzdem, in Zukunft eine ganze Sammlung von Enzymen zur Verfügung zu haben, die an verschiedenste Stellen im Genom geleitet werden können. "Noch sind wir nicht so weit", fügt er noch hinzu.
CRISPR erkennt Licht
Die Mitarbeiter in Gersbachs Labor interessieren sich für das Verhalten von Zellen im Gewebeverband und wie es sich beeinflussen lässt. Die Forscher wollen eines Tages Gewebe in einer Kulturschale ziehen, um Medikamente und Zelltherapien zu testen. Durch das klassische CRISPR/Cas9-System lassen sich allerdings nur permanente Veränderungen in Zellen einführen, doch Gersbachs Team möchte die Gene nur transient ein- und ausschalten, dazu noch an ganz bestimmten Stellen in einem Gewebe. "Ein Blutgefäß nachzustellen, bedarf unglaublich viel Kontrolle", erklärt er.
Die Forscher nahmen das dCas9, mit dessen Hilfe sich Gene aktivieren lassen, und fügten diesem noch Proteine zu, die durch blaues Licht aktivierbar sind. Dieses neue System schaltet die Genexpression ein, sobald die Zellen dem Licht ausgesetzt werden, und schalten sie wieder ab, wenn das Licht gelöscht wird. Auch die Gruppe des Biochemikers Moritoshi Sato von der Universität Tokio entwickelte solch ein System sowie ein anderes aktives Cas9, welches das Genom nur dann editiert, wenn es blauem Licht ausgesetzt wird.
"Wenn ich diese Technik schon früher gehabt hatte, wäre meine Postdoc-Zeit viel kürzer gewesen"Wen Xue
Ähnliche Techniken wurden auch durch die Kombination von CRISPR mit einem chemischen Schalter erreicht. Der Krebsforscher und Genetiker Lukas Dow vom Weill Cornell Medical College in New York City wollte beispielsweise krebsassoziierte Gene in ausgewachsenen Mäusen verändern, um so Mutationen von Darmkrebszellen des Menschen nachzustellen. Sein Team entwickelte hierfür ein System, bei dem Cas9 über die Substanz Doxycyclin aktiviert wird und dann seine Ziel-DNA schneidet. All diese Werkzeuge sind ein weiterer Schritt in Richtung Feinkontrolle des Genome Editing. Gersbachs Gruppe hat es bisher nicht geschafft, Blutgefäße nachzubilden; bisher sind sie erst noch dabei, ihr lichtinduzierbares System effizienter zu machen. "Das ist die erste Generation des Tools", sagt der Forscher.
CRISPR im Tiermodell
Im ersten Jahr seiner Postdoc-Zeit entwickelte der Krebsforscher Wen Xue eine transgene Maus, die eine bestimmte Mutation mancher Lebertumoren trägt. Er arbeitete unermüdlich daran, schuf die Werkzeuge für das Gene Targeting, injizierte sie in embryonale Stammzellen und versuchte mühevoll, die Mäuse heranzuziehen. Das Ganze kostete ein Jahr Zeit und 20 000 US-Dollar (etwa 17 600 Euro). "Die Maus war immer der limitierende Schritt in der Untersuchung von Krankheitsgenen", erklärt er. Als ein paar Jahre später wieder ein Experiment mit einer transgenen Maus anstand, schlug ihm sein Mentor das CRISPR/Cas9-System vor. Dieses Mal bestellte Xue einfach die Werkzeuge, injizierte sie in Ein-Zell-Embryos – et voilà, "da hatten wir die Maus nach nur einem Monat", erinnert sich Xue. "Wenn ich diese Technik schon früher gehabt hatte, wäre meine Postdoc-Zeit viel kürzer gewesen."
Von der Krebsforschung bis zur Untersuchung neurodegenerativer Erkrankungen wollen Forscher nun mit Hilfe von CRISPR/Cas9 Tiermodelle entwickeln – mit mehr Tieren, komplexeren Ansätze und in verschiedenen Tierarten. Xue leitet inzwischen sein eigenes Labor an der University of Massachusetts Medical School in Worcester und sucht ganz systematisch in verschiedenen Tumorzellen nach Mutationen, die er dann mit CRISPR/Cas9 in Zellkultur und im Tiermodell nachstellen möchte.
Hierzu sollen die neuen Tools so angepasst werden, dass sich Genom und Epigenom im Tiermodell genau manipulieren lassen. "Das eigentlich Spannende daran wird die Integration der Systeme sein", findet Dow. Vielleicht könnten Wissenschaftler damit zumindest einen Einblick in die Komplexität bekannter Erkrankungen des Menschen erhalten. Nehmen wir nur einmal Tumoren: Diese können Dutzende von Mutationen ausweisen, die alle potenziell an der Entwicklung von Krebs beteiligt sind. "Wahrscheinlich sind gar nicht alle für das Modell eines Tumors nötig", überlegt Dow. "Aber zumindest zwei, drei oder vier Mutationen braucht man, um einen aggressiven Tumor besser nachzubilden." Und er fügt hinzu: "Wenn wir all diese Mutationen anhand unserer bisherigen altmodischen Methoden in der Maus einführen wollten, wäre das sehr teuer und zeitaufwändig."
Der Biotechnologe Patrick Hsu gründete in 2015 sein eigenes Labor am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla in California. Dort möchte er mittels Gene Editing neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson in Zellkultur und in Marmosetten untersuchen; er hofft, die Abläufe und das Fortschreiten der Krankheiten hiermit besser als im Mausmodell untersuchen zu können. Auch dieses wäre ohne CRISPR/Cas9 unglaublich teuer und langsam. Die ersten CRISPR/Cas9-Marmoset-Affen sind zwar schon in Planung, doch Hsu ist auch klar, dass dies vielleicht nur ein erster Schritt ist. "Technologien kommen und gehen. Man darf sich nie zu fest an eine bestimmte binden", weiß er. "Man muss sich immer danach richten, welche biologischen Fragen man gerade beantworten will."
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben