Interview: Die drei Dimensionen des Vertrauens
Herr Prof. Bromme, am vergangenen Samstag haben auch in Deutschland Menschen an mehr als 20 Orten für die Wissenschaft demonstriert. Was denken Sie als Psychologe über den "March for Science"?
Ich will das aus meiner Perspektive als Bürger und als betroffener Wissenschaftler beantworten: Ich finde es sehr ermutigend, wenn so viele Menschen zeigen, dass sie mit "alternativen Fakten" und systematischen Lügen nicht einverstanden sind. Indem wir dagegen Stellung beziehen, sagen wir: Wenn die Möglichkeit zu rationaler, forschungsbasierter Verständigung über "Wahrheit" verneint wird, so hat das eine politische, eine gesellschaftliche Bedeutung. Deshalb finde ich auch, dass gerade politische Ausdrucksformen wie Demonstrationen ein angemessener Weg sind, um sich zu artikulieren.
Hat die Wissenschaft hier zu Lande ein Vertrauensproblem?
Die Befunde aus aktuellen repräsentativen Umfragen in Deutschland wie dem Wissenschaftsbarometer zeigen nach wie vor ein hohes allgemeines Vertrauen in Wissenschaft und hohe Erwartungen an den Beitrag der Wissenschaft zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Etwas anders sieht das Bild aus, wenn man nach Vertrauen in Wissenschaftler fragt, die sich zu spezifischen Themen äußern. So vertrauen zwar 53 Prozent der Wissenschaft beim Thema "Erneuerbare Energien" und 46 Prozent beim Thema "Entstehung des Universums", aber nur 17 Prozent beim Thema "Grüne Gentechnik". Bei den meisten Themen sind rund 30 Prozent der Leute eher unentschieden. Es gibt also keinen allzu großen Anteil, der der Wissenschaft ausdrücklich misstraut. Das ist freilich anders bei gesellschaftlich umstrittenen Themen wie etwa der Grünen Gentechnik – hier sind es 56 Prozent, die Misstrauen äußern.
Was bedeutet das?
Dadurch wird zweierlei deutlich: Bei Fragen, bei denen es um praktische Anwendungen geht, die gesellschaftlich umstritten sind, wie etwa bei der Gentechnik, gibt es keinen Vertrauensvorschuss, sondern eher Misstrauen. Bei Fragen, bei denen auch wissenschaftlich noch vieles sehr unbeantwortet ist, wie bei der Entstehung des Universums, wissen die meisten Bürger nicht so recht, ob sie der Wissenschaft dazu vertrauen können.
Finden Sie das beunruhigend?
Beides finde ich nicht beunruhigend. Warum sollte die Wissenschaft, in der das Zweifeln und das Hinterfragen zum Kern der Arbeit gehören, von der Öffentlichkeit uneingeschränktes, blindes Vertrauen erwarten? Was Wissenschaft braucht und was moderne Gesellschaften, die in so vielfältiger Weise auf Wissenschaft angewiesen sind, brauchen, das ist informiertes Vertrauen.
Was heißt das genau?
Aus unseren eigenen empirischen Untersuchungen wissen wir, dass Vertrauensurteile in Wissenschaft und in Wissenschaftler aus wenigstens drei Dimensionen bestehen: die Zuschreibung von Können, von Integrität und von guten Absichten. Ersteres meint die Fähigkeiten und Erfahrungen zur Erkenntnisgewinnung und Problemlösung. Mit "Integrität" ist gemeint, dass Forscher sich an begründete Regeln der Wahrheitssuche halten. Und die dritte Dimension bezieht sich darauf, dass man als Wissenschaftler auch den Nutzen für andere, also die Öffentlichkeit, bei der Arbeit im Blick hat.
Und wenn alles drei zusammenkommt, vertrauen die Menschen der Wissenschaft?
Vertrauen entsteht durch Erfahrungen. Wenn man Wissenschaftler und wissenschaftliche Forschung zu einem bestimmten Themenbereich auf diesen drei Dimensionen positiv erlebt, dann wächst Vertrauen. Wenn Menschen Anlass zu der Vermutung haben, dass es an Können, Integrität oder guten Absichten mangelt, dann mindert dies das Vertrauen. Empirische Befunde – übereinstimmend in Studien aus vielen Ländern – zeigen, dass Bürger besonders sensitiv für Interessenkonflikte sind. Wenn zum Beispiel Anlass für den Verdacht besteht, dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse an wirtschaftlichen Interessen ausrichten könnten, so sinkt das Vertrauen sofort. Dabei bedeutet die Dimension "gute Absichten" nicht, dass die Leute ausschließlich angewandte Forschung oder nur gänzlich selbstlos agierende Wissenschaftler sehen möchten. Es geht vielmehr um die Erwartung, dass Wissenschaft auch in einem allgemeinen öffentlichen Interesse arbeiten sollte.
Was bedeutet nun informiertes Vertrauen?
Informiertes Vertrauen bedeutet, möglichst wissensbasierte Urteile auf den drei Dimensionen zu fällen. Es ist deshalb hilfreich, wenn Bürger etwas darüber wissen, wie die Wissenschaft selbst die Qualität von wissenschaftlichen Ergebnissen feststellt. Denn das betrifft ja letztlich die Frage der Fähigkeit. Es ist zum Beispiel hilfreich, wenn Bürger verstehen, dass die Wahrheitssuche auch auf einem Konsens unter Wissenschaftlern beruht – was ja erst einmal eine für viele Menschen ungewohnte Idee ist. Zwar können wir im Alltag Erkenntnisse auch nicht einfach so beschließen. Aber in der Wissenschaft folgt dieser Konsens streng festgelegten Regeln, und diese sind explizit begründet und ihrerseits überprüfbar. Genauso ist es hilfreich, wenn es Transparenzregeln über die Finanzierung von Wissenschaft gibt, weil diese ein informiertes Urteil über mögliche Interessenkonflikte erlauben.
"In der Wissenschaft sind Gewissheit und Skepsis untrennbar miteinander verbunden. Häufig ist die Revidierbarkeit auch nur theoretisch wichtig, praktisch ist die Gewissheit durchaus vorhanden"
Vertrauen basiert also auf Wissen?
Ja, und das will ich deshalb betonen, weil Vertrauen ganz allgemein in einem psychologischen Sinn bedeutet: Ich vertraue jemandem in einer Angelegenheit, habe selbst keine eigene vollständige Kontrolle über diese Angelegenheit und mache mich folglich abhängig. In diesem Sinne brauchen wir also stets dort Vertrauen, wo wir nicht selbst wissen können. Moderne Wissenschaft und insbesondere moderne Naturwissenschaft ist in vielen Bereichen sehr komplex, und die theoretischen Modelle sind fern von der Alltagserfahrung. So gesehen brauchen wir also Vertrauen in Wissenschaftler, gerade weil wir nicht alles selbst wissen können. Wenn es also um kontroverse Themen geht und wenn die beste "Wahrheit", die die Wissenschaft erreicht hat, auf solchen Modellen beruht, dann muss man als Bürger letztlich entscheiden, wem man vertraut, und kann sich nicht selbst unmittelbar ein Urteil in der Sache machen. Aber dieses Urteil kann und sollte basieren auf Wissen über die Wissenschaft und darüber, warum und wann sie vertrauenswürdig ist.
Tun sich bestimmte Disziplinen schwerer damit, Vertrauen seitens der Gesellschaft zu gewinnen?
Wir wissen aus Studien mit Schülern und Studenten, dass es unterschiedliche Bilder von Disziplinen gibt, und diese Unterschiede sind durchaus vertrauensrelevant. Wir haben zum Beispiel untersucht, wodurch sich Laien erklären, dass sich Wissenschaftler in einem Fach zu einer konkreten Frage widersprechen. So wird bei Historikern eher vermutet, dass subjektive Meinungen hinter Konflikten stecken, während bei Biologen eher methodische Differenzen vermutet werden. Tatsächlich aber gibt es natürlich auch bei Historikern ganz unterschiedliche methodische Ansätze, und die spielen auch dort eine große Rolle bei der Entstehung von einander widersprechenden Aussagen von Wissenschaftlern.
Einer der Slogans, der beim "March for Science" am Samstag auf die Straße getragen werden sollte, lautet "Für ein Miteinander mit Methode!". Was ist aus Ihrer Sicht die beste Methode, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft als gesellschaftliches Subsystem oder in einzelne wissenschaftliche Projekte zu stärken?
Die prinzipielle Revidierbarkeit von wissenschaftlichen Ergebnissen bremst uns oft, wenn wir nach letzten wissenschaftlichen Antworten gefragt werden. Als Forscher können wir schlicht nie sagen: So, das wissen wir ab sofort ganz genau und absolut. Dabei ist die Revidierbarkeit eine grundsätzliche Qualität dieses Wissens! Anders gesagt, in der Wissenschaft sind Gewissheit und Skepsis untrennbar miteinander verbunden. Häufig ist die Revidierbarkeit auch nur theoretisch wichtig, praktisch ist die Gewissheit durchaus vorhanden. Wichtig scheint mir, dass wir klar sagen, wo wir diese Gewissheit haben, und auch klar sagen, wo eben nicht. Das geht aber nur, wenn wir auch bereit sind, über Wissenschaft zu sprechen: über ihre Methoden, aber auch über ihre Institutionen und ihre Probleme, ebenso über die Probleme bei der Suche nach der Wahrheit. Mit dem Begriff "Wissenschaft" meinen wir immer zweierlei: ein kognitives System und ein soziales System. Da sind einerseits die Erkenntnisse, Theorien, Hypothesen, Daten und Methoden, also das wissenschaftliche Wissen – das meint Wissenschaft als kognitives System. Und da sind andererseits die Institutionen und Menschen, die – oft unter Einsatz komplexer Technik und in intensiver Kommunikation untereinander – ebendieses Wissen erzeugen. Das ist Wissenschaft als soziales System. Die Wissenschaft kann öffentliches Vertrauen nur erhalten, wenn sie immer über beides spricht: ihre Ergebnisse sowie ihre Institutionen und Verfahren, die diese Ergebnisse erzeugen.
Eine nicht repräsentative Studie, an der ich selbst beteiligt war, legt nahe, dass in Deutschland die meisten Menschen beim "March for Science" vor allem gegen "postfaktisches Denken" und Populismus demonstrierten. Überrascht Sie das?
Nein. Es ist für Wissenschaftler genauso wie für alle anderen Bürgerinnen und Bürger wichtig, das "postfaktische Programm" der Bestreitung wissenschaftlicher Rationalität überhaupt wahrzunehmen und darüber auch untereinander zu sprechen. Nur wenn auch innerhalb der Wissenschaft darüber debattiert wird, kann es eine erfolgreiche Kommunikation mit der Öffentlichkeit geben. Hierzu hat der Marsch beigetragen.
Dann war der Marsch für die Wissenschaft also eine erfolgreiche Aktion?
Im Vorfeld des "March for Science" meinten ja manche, dass Forscher, die nun beginnen zu demonstrieren, sich damit einreihen unter viele andere Interessengruppen und dass sie damit ihre Sonderstellung als unabhängige und neutrale Produzenten von Gewissheit verlieren. Ich halte das für falsch, und zwar schon deshalb, weil die Wissenschaft diese Sonderstellung in der öffentlichen Wahrnehmung sowieso nicht hat! Das zeigen die oben erwähnten großen Unterschiede im Wissenschaftsvertrauen je nach Thema. Meines Erachtens hat die Wissenschaft also gar nicht die Möglichkeit, sich den Gefährdungen zu entziehen, die sich durch die politisch motivierte Leugnung wissenschaftlicher Evidenz ergeben, wie es sie zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Klimawandel gibt. Dem kann man am besten begegnen, indem man auch die Motive der Klimaskeptiker aufzeigt. Das zeigen jüngste Studien englischer Kollegen, in denen die Akzeptanz von klimaskeptischen Thesen schwand, wenn die Studienteilnehmer über die möglichen Beweggründe der Klimaskeptiker informiert wurden.
Forschung schien lange Zeit bei vielen Menschen als "gesetzt". Dass Bund und Länder in Forschung investieren, erachteten die meisten als normal, vielleicht haben sie auch nur mit den Achseln gezuckt. Macht sich inzwischen eine antiwissenschaftliche Haltung breit?
Dafür sehe ich keine Anzeichen. Es gibt da keine Ursache für Pessimismus. Die positive Haltung in der Gesellschaft wird aber nur zu erhalten sein, wenn man auch öffentlich über die Probleme und Schwierigkeiten im Wissenschaftssystem spricht.
Das heißt, Sie machen sich keine Sorgen um die Wissenschaft in Deutschland?
Nein, zumindest nicht speziell um die Wissenschaft. Ich denke, die weitere Entwicklung der Rolle der Wissenschaft hängt von der allgemeinen Entwicklung in Deutschland, in Europa und in der Welt ab. Deshalb finde ich es durchaus ermutigend, wenn zum Beispiel aus Anlass des "March for Science" so viele Bürgerinnen und Bürger bereit sind, politisch gegen Populismus aktiv zu werden. Das hat Bedeutung weit über die Wissenschaft hinaus – ist aber für sie zugleich von großer Wichtigkeit.
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