Darmgesundheit: Die dunkle Seite der Probiotika
In den letzten Jahren haben sich die Hinweise verdichtet, dass sich der Darm und seine Gesundheit auch auf unsere Psyche auswirken. Womöglich beginnen sogar manche psychischen Störungen und neuronalen Erkrankungen im Unterleib. Um ihre Darmgesundheit und ihrem Körper etwas Gutes zu tun, schlucken nicht wenige Menschen deshalb probiotische Nahrungsmittel: Diese sollen die Zahl der »guten« Darmbakterien erhöhen. Doch eine Einnahme kann auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, wie Satish Rao von der Augusta University und sein Team in »Clinical and Translational Gastroenterology« berichten. Die Mediziner hatten insgesamt 30 Personen untersucht, von denen 22 unter Verwirrtheit und Konzentrationsproblemen zusammen mit geblähtem Bauch, Magenschmerzen sowie Flatulenzen litten. Ein zusammenhängendes Problem für Verdauungsapparat und Gehirn lag für die Wissenschaftler deshalb nahe.
Eine genauere Untersuchung des Darms erbrachte riesige Kolonien an Lactobacillus-Bakterien im Dünndarm der Betroffenen, die große Mengen an D-Milchsäure produzierten, was bei den acht Vergleichspersonen nicht der Fall war. D-Milchsäure wirkt toxisch auf Neurone im Hirn und beeinflusst dadurch das Gedächtnis, das Zeitgefühl und grundlegende Denkprozesse. Manche der Probanden wiesen zwei- bis dreimal so viel D-Milchsäure im Blut auf, wie normalerweise bei gesunden Menschen üblich ist. Die Bewusstseinseintrübung trat bei ihnen rasch nach einem Essen auf und dauerte zwischen einer halben bis zu mehreren Stunden an. Einige der Patienten mussten deshalb sogar ihre Arbeit aufgeben, so Rao. Eine Befragung erbrachte, dass diese Personen regelmäßig Probiotika zu sich nahmen – teilweise in exzessiven Mengen.
Die zugefügten Bakterien tummelten sich jedoch nicht nur im Dickdarm – wo sie keine Probleme machen –, sondern ebenso im Magen und im Dünndarm: Die Probiotika hatten das Gleichgewicht der Darmflora durcheinandergebracht und die Ansiedlung in anderen Teilen des Verdauungsapparats durch massive Zufuhr begünstigt. Im Dünndarm werden normalerweise durch das dort typische Mikrobiom nur geringe Mengen an D-Milchsäure produziert, die für den Organismus kein Problem bedeuten. Lactobacillus aus den Probiotika setzen dagegen Zucker aus der Nahrung um und erzeugen dabei die D-Milchsäure: Die Substanz dringt durch die Darmwand ins Blut vor und gelangt darüber auch ins Gehirn. »Wenn Sie also unbeabsichtigt Ihren Dünndarm mit den Milchsäurebakterien besiedeln, bereiten Sie womöglich die Bühne für Laktatazidose und Bewusstseinseintrübung vor«, sagt Rao.
»Probiotika sollten als Arznei betrachtet werden, nicht als Nahrungsergänzungsmittel«, betont der Mediziner. Viele Menschen würden die damit angereicherten Lebensmittel einfach nehmen, weil sie sich davon eine bessere Verdauung und prinzipiell einen gesünderen Körper versprechen. Die Mittel seien nützlich, um die Darmflora nach einer Antibiotikabehandlung neu aufzubauen, doch sollte der Konsum sonst eher dezent stattfinden. Zuvor hatte es bereits Berichte gegeben, dass Probiotika bei Menschen mit Kurzdarmsyndrom zu den beschriebenen Problemen führen – bei ihnen war der Dünndarm wegen einer Operation oder durch einen angeborenen Fehler verkürzt. Die 22 Probanden aus der Studie nahmen anschließend Antibiotika ein und konsumierten keine weiteren Probiotika mehr im Verlauf der Studie, so dass ihre Beschwerden schließlich nachließen und verschwanden.
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