Sonnenforschung: Die dunklen Finger der Sonnenatmosphäre
In der solaren Korona läuft die Energieumwandlung auf Hochtouren. Dabei verwandeln sich magnetische und elektrische Energie in enorme Hitze, und die Temperaturen schnellen bis auf zehn Millionen Grad Celsius. In der Nähe von Sonnenflecken kann es dabei zu so genannten eruptiven Flares kommen: Gasmassen lösen sich von der Sonnenoberfläche und werden hoch in die Korona geschleudert.
Dabei bilden sich seltsame langgestreckte Plasmastrukturen, die meist nur für einige Minuten im oberen Teil der Flares sichtbar sind. Seit ihrer Entdeckung vor rund 15 Jahren rätseln die Sonnenforscher, was hinter diesen dunklen Strukturen steckt; sie bilden einen deutlichen Kontrast zu dem hellen, im ultravioletten Licht leuchtenden Plasma, in das sie eingebettet sind.
Wegen ihrer Gestalt und der schlängelnden Bewegungen werden diese dunklen Strukturen im Forscherjargon manchmal "Kaulquappen" genannt. "Wir tappten bisher bei deren Deutung buchstäblich im Dunkeln, denn alle Erklärungsversuche konnten die Beobachtungen nicht befriedigend erklären", sagt Davina Innes vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
Zusammen mit Kollegen hat sie Flare-Fotos des Solar Dynamics Observatory (SDO) der US-Raumfahrtbehörde NASA und der ebenfalls amerikanischen STEREO-Mission (Solar TErrestrial RElations Observatory) ausgewertet. Beide Sonden ermöglichen die Beobachtung der Sonne in mehreren Wellenlängen des ultravioletten Lichts.
Die hochauflösenden Bilder stammen von Flare-Ausbrüchen in den Jahren 2011 und 2012 und bilden noch kleine Details mit weniger als 800 Kilometern Größe ab. Insbesondere die SDO-Bilder zeigen das solare Geschehen mehrmals pro Minute. Sie sind also gut geeignet, die meist kurzlebigen, rätselhaften koronalen "Kaulquappen" zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass diese Strukturen Instabilitäten sind, die beim Aufeinandertreffen unterschiedlich dichter Plasmen entstehen.
In einer zweiten Studie der Max-Planck-Forscherin Lijia Guo, wurden mit Computermodellen dieselben Prozesse simuliert. Diese dreidimensionalen MHD-Rechnungen – MHD steht für Magnetohydrodynamik – folgen einer Theorie, mit der Physiker elektrisch geladene Flüssigkeiten beschreiben; näherungsweise lässt sich auch das Sonnenplasma damit berechnen.
Die Ergebnisse der aufwendigen Rechnungen zeigen eine markante Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Überraschend ist, dass die Strukturen, die den Sonnenphysikern jahrelang Kopfzerbrechen bereiteten, auf Basis der aktuellen Modellrechnungen mit einer alten Bekannten erklärt werden: Die Forscher konnten belegen, dass die Prozesse auf die Rayleigh-Taylor-Instabilität zurückgehen, einem fundamentalen Prozess der Strömungsphysik. Diese Instabilität tritt etwa zwischen zwei unterschiedlich dichten Flüssigkeiten auf, wenn diese gegeneinander beschleunigt werden.
Sogar in einer Teetasse, in die etwas Milch gegeben wird, kann es zu der Instabilität kommen. Denn die im Vergleich zum Tee schwerere Milch ist der irdischen Schwerebeschleunigung unterworfen. Die kurz sichtbaren, pilzförmigen Ausstülpungen an der Tee-Milch-Grenzfläche sind ein typisches Zeichen für die Instabilität. Diese tritt auch in strömenden Gasen auf. In der Hülle explodierender Sterne zeigt sich die Rayleigh-Taylor-Instabilität ebenfalls. Die fingerartigen Strukturen in den Gasmassen des Krebsnebels, der bei einer Supernova-Explosion entstand, lassen sich so erklären.
Die beiden Studien der Max-Planck-Forscherinnen führen nun auch zu einem vertieften Verständnis der Vorgänge in der Korona. Neben der Rayleigh-Taylor-Instabilität geht es um einen energiereichen Prozess, bei dem das Magnetfeld in eine andere Konfiguration schnellt, die Rekonnexion. Ähnlich wie bei einem zu stark verdrillten Gummiband, das reißt, entlädt sich während der Flares schlagartig die im Magnetfeld gespeicherte Energie.
Die Rolle des Gummibandes spielen in der Korona die magnetischen Feldlinien. Beim abrupten Umgruppieren der Feldlinien entsteht ein Strahl aus dünnem Plasma: ein Jet. Dieser wird vom Ort der Rekonnexion zur Sonnenoberfläche hin beschleunigt. Weiter unten stößt der Jet auf dichteres Plasma. Am Kopf des Jets treffen also dichtes und dünnes Plasma aufeinander – die Rayleigh-Taylor-Instabilität nimmt ihren Lauf.
MPS / Red.
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