Direkt zum Inhalt

Bionik: Die effizientesten Solaranlagen stecken in riesigen Muscheln

Im Inneren schillernder Muscheln leben Algen, die hocheffiziente Fotosynthese betreiben. Ihre Funktionsweise könnte eine Inspiration für neue Bioreaktoren sein.
Eine riesige Muschel im Great Barrier Reef
Die Muscheln der Gattung Tridacna leben in tropischen Korallenriffen (hier zu sehen das Great Barrier Reef vor Australien). Sie betreiben die wohl effizientesten Solaranlagen der Welt.

In den flachen tropischen Riffen vor Palau, einem Inselstaat im Pazifischen Ozean, leben Muscheln der Gattung Tridacna. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie unscheinbare, wenngleich riesige Schalentiere. Doch schaut man ins Innere, das sich zwischen den Falten des geriffelten Panzers verbirgt, offenbart sich glitzerndes blaues Muskelgewebe – und das beherbergt die wohl effizienteste Solaranlage, die Wissenschaftler je gefunden haben. Eine Forschungsgruppe um die Biophysikerin Alison Sweeney von der Yale University berichtet davon in der Fachzeitschrift »PRX Energy«.

»Die Tatsache, dass niemand erklären konnte, warum eine Muschel schillert, hat mich nicht mehr losgelassen«, sagt Sweeney. Sie habe dann zusammen mit ihren Kollegen festgestellt, dass die Tiere trotz ihres beeindruckenden Funkelns nur etwa fünf Prozent des Sonnenlichts reflektieren, das auf sie trifft. Der Rest des einfallenden Lichts werde absorbiert und an fotosynthetisch aktive Algen weitergeleitet, die die Muscheln in ihrem Körper als Nahrungsquelle züchten.

Eine derart hohe Absorptionsrate ist eine bemerkenswerte Ausgangslage für die Fotosynthese; im Vergleich dazu reflektieren terrestrische Wälder wie der Amazonas-Regenwald viel mehr Licht, was ihre fotosynthetische Effizienz enorm verringert. Sweeney und ihre Kollegen fanden auch heraus, dass spezialisierte Zellen, so genannte Iridozyten, die die Oberfläche des Mantels auskleiden, fein säuberlich ausgerichtete Stapel transparenter, proteinreicher Plättchen enthalten, die das Licht streuen, während sie es tiefer ins Innere der Muschel leiten.

Unerreichte Effizienz in der Fotosynthese

Die symbiotischen Algen siedeln sich in winzigen, modifizierten Röhren an, die aus dem Verdauungssystem der Muscheln nach oben ragen. Während die Fotosynthesemaschinerie auf einem Blatt wahllos verteilt ist, bilden die Algen ein auffallend geordnetes Muster von dünnen Säulen, die sich von den Iridozyten bis hinunter ins Fleisch erstrecken.

Sweeneys Team hat dieses System modelliert und ausgerechnet, dass der theoretisch mögliche Wirkungsgrad beim ersten Schritt der Fotosynthese, bei dem das Chlorophyll ein einziges Photon absorbiert, 43 Prozent beträgt – das ist mehr als doppelt so hoch wie der Wirkungsgrad der meisten kommerziell erhältlichen Solaranlagen und dreimal so hoch wie der eines tropischen Blattes. Frühere Messungen hatten die fotosynthetische Effizienz der Muscheln in freier Wildbahn sogar auf mehr als 60 Prozent geschätzt. In der neuen Studie lösten die Forscher diese Diskrepanz, indem sie eine Eigenart der Muscheln berücksichtigten: Es gibt Hinweise darauf, dass sie ihren Mantel im Lauf des Tages aufblasen und wieder entlüften. Auf diese Weise optimieren sie womöglich ihre Sonnenlichtexposition, stellten die Wissenschaftler fest – so können sie ihre Effizienz möglicherweise auf beeindruckende 67 Prozent steigern.

Neugierig geworden, suchten die Forscher nach Beispielen für andere fotosynthetische Systeme, die wenig Licht reflektieren und viel absorbieren, und stießen dabei auf Satellitenfotos von alten Fichtenwäldern. Sweeney sagt, diese Bilder erinnerten sie stark an die mikroskopischen Ansichten von Muschelgewebe. »Es gibt eine unmittelbare, verblüffende Ähnlichkeit mit den Eingeweiden der Muschel, wenn man den Maßstab des Bildes, das man betrachtet, nicht kennt«, sagt sie. Wie die Iridozyten, die das Licht nach innen zu den Algen hinleiten, streuen die Wolken und der Nebel des Waldes das Licht bis zu den einzelnen Bäumen, von denen jeder wie die beobachteten Algenstapel wirkt.

Sweeney hofft nun, dass diese Arbeit in die Entwicklung von Bioreaktoren einfließen kann, die den Mechanismus kopieren. Sie könnte zu einem Beispiel dafür werden, wie die Herangehensweise der Evolution an ein einzelnes Problem zur Bewältigung technologischer Herausforderungen inspirieren kann.

»Grundlegende Studien biologischer Systeme geben neue Ideen und vermitteln Strategien, die in unerwarteten Bereichen angewendet werden können«Gabriela Schlau-Cohen, Professorin für physikalische Chemie

»Grundlegende Studien biologischer Systeme geben uns neue Ideen und vermitteln Strategien, die in unerwarteten Bereichen angewendet werden können«, sagt Gabriela Schlau-Cohen, eine physikalische Chemikerin am Massachusetts Institute of Technology, die nicht an der Studie beteiligt war. »Angesichts des Ausmaßes der Energiekrise müssen wir alle zur Verfügung stehenden Vorschläge und Konzepte in Betracht ziehen.«

Das bedeute, so greift es Sweeney auf, die im Mittleren Westen der USA aufgewachsen ist, dass wir die natürliche Welt weit weg von zu Hause erforschen müssen. »Meine Vorstellung von der Fotosynthese stammt aus Laubwäldern und Maisfeldern – und es stellt sich heraus, dass die mir bekannten Pflanzen wirklich schlecht darin sind«, sagt sie. Wer hätte gedacht, dass eine auf den ersten Blick unscheinbare Muschel der perfekte Ort ist, um nach intelligenten Lösungen für neue Solarzellen zu suchen?

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.