Dioxin nach dem Hochwasser: "Die Elbe ist nach wie vor ein Patient"
Frank Krüger beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Schadstoffen, die durch über die Ufer tretende Flüsse transportiert werden – zuletzt beim diesjährigen Elbehochwasser. Er ist ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts "Aktivierte Pflanzenkohle", das seit April 2013 an der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt wird. Dabei soll Grünschnitt aus dem Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue verwendet werden, der durch Fluten der vergangenen Jahrzehnte mit Dioxinen und anderen Schadstoffen belastet ist.
Dioxine reichern sich im Fettgewebe von Tier und Mensch an. Zu einem großen Teil sind sie entweder Krebs erregend oder stehen im Verdacht, Krebs fördernd zu sein. Ziel des Forschungsprojekts ist es daher, aus dem geernteten Gras Pflanzenkohle herzustellen und dabei die organischen Schadstoffe weit gehend zu zerstören. Angereichert mit landwirtschaftlichen Abfällen wieder auf die Elbtalauen ausgebracht, wollen die Forscher dabei die Qualität der Böden verbessern. Gleichzeitig sollen von den Schadstoffen betroffene Landwirte eine neue Einnahmequelle erhalten.
Herr Krüger, woher stammt die Belastung durch Dioxine in den Elbtalauen?
Grundsätzlich werden Schadstoffe bei jedem Hochwasser in die Auen transportiert und hier abgelagert. Im Fall der Elbtalauen wissen wir, dass die aktuellen Einträge aus sekundären Quellen stammen. Das bedeutet, die an den Partikeln haftenden Schadstoffe sind bereits im Gewässersystem unterwegs und im Wesentlichen nicht die Folge aktueller Einleitungen. Es handelt sich um historische Standorte der Leichtmetallproduktion an der mittleren Elbe sowie in den Einzugsgebieten der Nebenflüsse Mulde und Saale. Die schlimmsten Belastungen gab es in den 1950er und 1960er Jahren. Ein Teil dieser Schadstoffe ist dann auf verschiedenen Wegen in Gewässer gelangt und wird an Partikel gebunden immer weiter transportiert. Insofern leiden wir auch heute immer noch an Altlasten, die mehr als 50 Jahre alt sind.
Wie viele Schadstoffe dieses Jahr in die Elbtalauen gelangt sind, lässt sich derzeit wohl noch nicht sagen. Das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz in Mecklenburg-Vorpommern hat aber bereits Entwarnung gegeben: Es habe im eigenen Elbabschnitt keine zusätzlichen Belastungen gegeben. Wie entwickelt sich denn generell die Bodenbelastung durch neue Elbhochwasser?
Es gibt von den Bundesländern an der Elbe regelmäßige Sediment- und Bodenüberwachungen. Auch die Leuphana Universität hat in verschiedenen Projekten solche Untersuchungen im Elbvorland durchgeführt. Es ist erkennbar, dass transportierte Sedimente heute weniger stark verschmutzt sind als früher. Die stark dioxinbelasteten Sedimente der 1950er und 1960er Jahre werden somit heute durch Partikel bedeckt, die nicht mehr derartig kontaminiert sind. Wenn also bei Hochwasser neues Sediment aufgelagert wird, profitieren die Böden sogar. Daneben gibt es allerdings auch Standorte, wo der junge Sedimenteintrag unterbleibt. Dort können die Böden noch genauso stark belastet sein wie etwa in den 1970er Jahren.
Auch wenn sich die Wasser- und Sedimentqualität im Vergleich zu den vorigen Jahrzehnten wesentlich verbessert hat, bleibt die Elbe also nach wie vor ein Patient: So sind die Flusssedimente heute noch ausreichend stark belastet, um das Futtermittel in den Auen zu verschmutzen. Darüber hinaus fressen Rinder und Schafe immer auch ein wenig Boden mit, wenn sie die Auwiesen abweiden. Das reicht aus, um die Grenzwerte in den Tierprodukten und somit in unseren Lebensmitteln überschreiten zu lassen.
Wie gehen Landwirte in den Elbtalauen bislang mit den belasteten Böden um?
Der Landwirt trägt die Verantwortung für sein Produkt. Die Bundesländer haben aber Bewirtschaftungsrichtlinien und Empfehlungen formuliert, um den Schadstofftransfer in die menschliche Nahrungskette zu minimieren: So sollte das Vieh etwa nur kurze Weidezeiten im Überschwemmungsbereich bekommen. Gras sollte möglichst hoch über dem Boden geschnitten werden, um die bodennahen, stark erdverschmutzten Pflanzenteile nicht mitzuernten. Darüber hinaus sollte auf trockenes Erntewetter geachtet werden. Wird das alles beachtet, ist es möglich, auch in den Elbauen brauchbares Futter zu gewinnen. Aber es ist relativ aufwändig und bleibt immer mit einem gewissen Risiko verbunden.
In Ihrem Projekt soll mit Dioxinen belasteter Grünschnitt in einem Reaktor direkt zu Pflanzenkohle weiterverarbeitet werden. Wie löst das die genannten Probleme?
Bei der Produktion der Pflanzenkohle werden die problematischen Dioxine zerstört. Wir erzeugen also aus belastetem Grünschnitt eine weit gehend unbelastete Pflanzenkohle. Wir müssen im Rahmen unseres Projekts aber auch prüfen, ob im neuen Produkt Pflanzenkohle mit anderen Schadstoffen wie etwa Schwermetallen Probleme auftreten.
Gibt es noch technische Probleme, Pflanzenkohle aus Heu herzustellen?
Der Anlagenbauer stellt in einer Versuchsanlage aus verschiedenen Substraten Pflanzenkohle her. Bei hartem Holzschnitt ist das einfacher als bei unserem weichen Heu. Denn Holz kann auf einfachere Weise in gleichmäßig kleine, rieselfähige Stücke gehäckselt werden. Aber das sind technische Fragen, für die es Lösungen gibt.
Glauben Sie, dass die Pflanzenkohle sinnvoller ist als die Nutzung in Biogasanlagen, die ja ebenfalls getestet wird, um dioxinbelastetes Heu Gewinn bringend zu nutzen?
Es ist sicher sinnvoll, nicht nur auf ein Pferd zu setzen. Allerdings gibt es ein Problem mit den Gärresten aus den Biogasanlagen: Bei Dioxinen haben wir es mit einer Stoffgruppe zu tun, die im Gärprozess nicht oder nur geringfügig abgebaut wird. Das heißt, aus der Biogasanlage kommt ein Gärrest heraus, der stärker mit Dioxinen belastet ist als die ursprünglich eingebrachte Silage, also das vergärte Gras.
Ist es überhaupt notwendig, die belasteten Teile der Elbauen zu bewirtschaften? Immerhin werden heute über zwei Drittel der 6000 Quadratkilometer großen Überflutungsfläche der Elbtalaue als Weideland genutzt.
Wenn wir die Elbauen nicht bewirtschaften, würden sie verbuschen und wären zunehmend mit Gehölzen bewachsen. Das ist aus Naturschutzsicht förderlich, immerhin sind Weich- und Hartholzauwälder in ganz Mitteleuropa sehr selten. Allerdings dürfen sie nicht überall aufwachsen. Denn durch den Bewuchs steigt die Rauigkeit des Geländes, und der Hochwasserabfluss wird verlangsamt. In der Folge steigen die Pegel während einer Flut stärker an. Daher ist es gut, dass Landwirte einen Großteil der Überschwemmungsgebiete frei halten und einen wirtschaftlichen Nutzen erzielen können. Ansonsten müsste die Gesellschaft diese Leistung bezahlen.
Pflanzenkohle ist dafür ein innovatives Produkt: Bei ihrer Produktion wird zunächst Energie gewonnen. Darüber hinaus sind ihre Anwendungsmöglichkeiten vielfältig. Pflanzenkohle kann als Filter eingesetzt werden, in der Viehernährung oder zur Minderung von Geruchsbelästigung in Ställen. Außerdem kann die Kohle Böden verbessern. Sie wirkt positiv auf den Bodenwasserhaushalt und kann mit Hilfe von Wirtschaftsdüngern veredelt werden. Dazu eignen sich etwa Gülle, Mist, Gärreste oder Hühnertrockenkot. Es gibt noch mehr Vorteile dieses Vorgehens: Pflanzenkohle ist weniger stark abbaubar als normale organische Substanz. Das heißt, der in den Boden eingebrachte Kohlenstoff bliebe langfristig im Boden. Wir tun also etwas für das Klima, schließen gleichzeitig die Stoffkreisläufe auf den Höfen und schaffen ein neues Produkt für den Landwirt, ohne dabei die Nahrungskette zu belasten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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