Königin Neithhotep : Die erste Frau auf dem Pharaonenthron
Der trockene ägyptische Wüstensand hat schon mancherlei fragile Objekte aus pharaonischer Zeit bis in die Gegenwart hinein überliefert, so zuletzt hölzerne Barken aus der Zeit von König Huni. Doch für Oberflächenfunde erweist er sich als tückisch: Weil er die Wärme so schlecht speichert, schwankt die Temperatur zwischen Tag und Nacht immer wieder extrem stark, und wenn er vom Wüstenwind hochgewirbelt und fortgeblasen wird, wirkt er wie Schmirgelpapier. Allesamt zerstörerische Faktoren, die vor allem Felsreliefs und -inschriften stark in Mitleidenschaft ziehen.
So nimmt es nicht wunder, dass an den steinigen Berghängen der weit verzweigten Wüstentäler des Sinai immer wieder bislang übersehene Felsbilder aufgefunden werden, die dann aber so starke Erosionsschäden aufweisen, dass sie oftmals nur für kurze Zeit und nur bei günstigem Licht erkennbar sind. Eine solche Gruppe von etwa 60 Darstellungen hat 2012 ein französisches Forscherteam unter Pierre Tallet von der Pariser Sorbonne im Wadi Ameyra, rund 18 Kilometer östlich der Küstenlinie des Golfs von Suez im Landesinneren des Südsinai entdeckt und in einer kürzlich erschienenen Publikation vorgestellt.
Das Besondere an diesem Ensemble an Hinterlassenschaften ist nicht nur deren hohes Alter von mehr als 5000 Jahren, womit sie – aus der Entstehungszeit der Hieroglyphenschrift stammend – zu den ältesten inschriftlichen Zeugnissen auf dem Sinai zählen. Es ist vor allem ihr historischer Inhalt, der die Zeit der so genannten Reichseinigung in neuem Licht erscheinen lässt. Denn sie nennen mehrere Regenten der "nullten" und der 1. pharaonischen Dynastie. Und es erscheint zudem der Name der Königin Neithhotep als eigenständiger Regentin.
Etwa um 3000 v. Chr. wurden erstmals die Reiche Ober- und Unterägypten vereinigt. Der historischen Überlieferung nach war der legendäre König Menes dabei federführend. Unter seiner Herrschaft kam es zum Zusammenschluss. Auch soll er es gewesen sein, der die damalige Reichshauptstadt Memphis (Inebu hedsch = "die weißen Mauern") gegründet hat.
Wer steckt dahinter?
Anders erscheint die Geschichte, wenn man die materiellen Zeugnisse zu Grunde legt. Als Dokument der Reichseinigung gilt hier die im oberägyptischen Hierakonpolis ausgegrabene Prunkpalette des Königs Narmer. Ihr Reliefschmuck zeigt die Unterwerfung des unterägyptischen Niltals durch diesen Pharao. In welchem Zusammenhang Narmer und Menes zueinander stehen oder ob sie vielleicht sogar miteinander identisch sind, gehört immer noch zu den umstrittenen Fragen der Ägyptologie.
Die auf der neu gefundenen Inschrift erwähnte Königin Neithhotep galt nun bislang überwiegend als politisch eher einflusslose Gemahlin jenes Narmer. Ihren Namen, der "[die Göttin] Neith ist zufrieden" bedeutet und mit zwei Hieroglyphen, nämlich der Standarte der Göttin Neith und dem hotep-Zeichen in Gestalt einer eingerollten Bastmatte mit einem darauf stehenden Opferbrot geschrieben wird, kannte man bereits aus diversen Inschriften. Diese fanden sich vorwiegend in ihrem eigenen Mastaba-Grab in Negade und im Grab des Königs Aha in Abydos.
Neithhoteps Erscheinen in den Inschriften des Wadi Ameyra weist sie nun als Auftraggeberin einer Rohstoffexpedition in diese unwirtliche Wüstenregion aus. Das wäre ihr aber nur als souverän regierender Herrscherin möglich gewesen – und nicht als bloßer Königsgemahlin. Zudem machen es die umgebenden Inschriften wahrscheinlich, dass sie nicht die Ehefrau von Narmer, sondern von dessen direktem Nachfolger Aha war, dem zweiten König der 1. Dynastie. Da anschließend die Regentschaft von König Djer belegt ist, geht Studienleiter Pierre Tallet davon aus, dass Königin Neithhotep als Witwe stellvertretend für den damals noch unmündigen Djer die Amtsgeschäfte führte, ähnlich wie es 1500 Jahre später bei Hatschepsut und dem minderjährigen Thutmosis III. der Fall war. Und tatsächlich findet sich auch auf dem Turiner Königspapyrus, einer wahrscheinlich unter Ramses II. (1279-1213 v. Chr.) zusammengestellten Liste aller Pharaonen, nach Hor-Aha ein Herrscher namens Teti (I.) mit der verdächtig kurzen Amtszeit von nur einem Jahr und 45 Tagen. Bei ihm könnte es sich um Neithhotep handeln. "Teti" wäre dann ein weiterer Name aus ihrer mehrteiligen Königstitulatur.
Eine männliche Pharaonin?
Man wüsste natürlich gern, ob Neithhotep damals ebenso konsequent eine männliche Rolle spielen musste, wie es später für Hatschepsut (1479-1458 v. Chr.) belegt ist, die auf ihren Darstellungen stets mit nacktem männlichen Oberkörper und oft sogar mit dem rituellen Königsbart in Erscheinung tritt. Es wäre aber auch denkbar, dass man sie als Pharaonin akzeptierte, wie es wahrscheinlich bei Königin Sobeknofru am Ende der 12. Dynastie (um 1800 v. Chr.) der Fall gewesen ist: Ein Torso im Louvre zeigt die mutmaßliche Schwester von Amenemhet IV., die keine überlebenden Kinder (mehr) hatte, zwar mit dem Königskopftuch, aber darunter trägt sie das typische Frauengewand des Mittleren Reiches mit seinen breiten, die Brüste bedeckenden Trägern; und auf einem Sphinxkopf im New Yorker Brooklyn Museum hat sie eine weibliche Strähnenperücke und ist lediglich durch eine kleine Uräusschlange an der Stirn vor dem Mittelscheitel als königlich ausgewiesen. Ganz anders zuletzt Kleopatra VII. (51 – 30 v. Chr.), Tochter Ptolemaios' XII. und letzte Regentin über ein unabhängiges Ägypten: Hätte sie nicht, nachdem sie ihre konkurrierenden Geschwister brutal ausgeschaltet hatte, konsequent ihre Weiblichkeit ins Spiel gebracht, hätte sie Cäsar und Markus Antonius kaum für ihre politischen Ziele einspannen können.
Auch eine weitere Inschrift im Wadi Ameyra wirft vermeintlich Gesichertes über den Haufen. Antike Quellen nennen übereinstimmend den legendären Menes als Gründer der Landeshauptstadt Memphis. Im Wadi Ameyra wird die Stadt der "weißen Mauern" aber schon im Zusammenhang mit König Iri-Hor erwähnt, dem dritt- oder vorletzten Repräsentanten der "nullten" Dynastie (eine Verlegenheitsbezeichnung der Ägyptologen für die im Königsfriedhof von Abydos beigesetzten Könige, die schon vor Narmer über zumindest ganz Oberägypten geherrscht haben). Memphis bestand also schon mindestens zwei Generationen vor ihrem vermeintlichen Initiator.
Rätselhaft bleibt weiterhin die Wiedergabe von Booten in dieser und vielen anderen nahezu wasserlosen Regionen außerhalb des Niltals. Ihre bananenförmig gebogenen Rümpfe erinnern viel stärker an Abbildungen auf Keramikgefäßen der vordynastischen Negadekultur als an die originalen Bootfunde aus frühdynastischer Zeit und des Alten Reichs. In drei Fällen ist die rechteckige Hieroglyphe der "Palastfassade" (serech), die den Horusnamen des jeweiligen Königs (darunter übrigens auch Narmer) umschließt, so auf dem Schiffsrumpf platziert, dass sie fast wie die Schiffskajüte wirkt. Das ist sicher kein Zufall, ist aber in seiner Deutung noch völlig offen.
Durchs Wadi ins Bergarbeiterland
Es herrscht zumindest Konsens darüber, wer die Inschriften angebracht hat: Es waren die Teilnehmer pharaonenzeitlicher Expeditionen, die aus dem Niltal nach "Bi-au", dem "Bergarbeiterland", so der damalige Name der Halbinsel, gekommen waren, um dort Kupfer und Türkis zu gewinnen. Archäologen haben an mehreren Stellen südlich des Wadi Ameyra eine antike Bergbautätigkeit nachgewiesen. Und so deutet Pierre Tallet die neuen Inschriftenfunde dahingehend, dass die Minenarbeiter um 3000 v. Chr. eben durch dieses Trockental zu den Rohstoffquellen gezogen seien. Unter Pharao Neb-Re, dem zweiten Herrscher der 2. Dynastie (um 2820 v. Chr.), hat man offensichtlich eine neue Zugangsroute gewählt, denn er ist zum einen der letzte in den Inschriften des Wadi Ameyra genannte Pharao, zum andern taucht sein Name auch in anderen Wüstentälern auf.
Damit decken die Inschriften den Zeitraum zwischen der Negade III A-Zeit (um 3200 v. Chr.) und der beginnenden 2. Dynastie (um 2800 v. Chr.) ab und erweitern unseren Kenntnisstand über die Gründungs- und Konsolidierungsphase des pharaonischen Reiches, an dessen Anbeginn, wie wir jetzt wissen, ebenso eine Frau agierte wie zu dessen Ende 3000 Jahre später unter Kleopatra VII.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.