Tierschutz: Weg frei für die Jagd auf Wölfe in Europa?
Die Europäische Kommission will den strengen Schutz für Wölfe lockern und damit den Weg für die legale Jagd auf die Tiere in allen EU-Mitgliedstaaten frei machen. Dazu legte Kommissionschefin Ursula von der Leyen jetzt ihren seit einiger Zeit erwarteten Fahrplan vor. Das Konzept kommt den Forderungen von Jagd- und Agrarlobby entgegen, die angesichts gestiegener Wolfsbestände und häufiger Angriffe auf Nutztiere seit Längerem darauf dringen, die Wolfspopulation zu verringern. Natur- und Umweltschützer dagegen äußern Bedenken und Kritik.
In einem ersten Schritt sollen die Regierungen der EU-Länder, so lautet der Kommissionsvorschlag, den Ständigen Ausschuss der Berner Konvention darum bitten, das Schutzniveau des Wolfs abzusenken. Das multinationale Abkommen regelt den Umgang mit wild lebenden Tierarten in Europa und listet den Wolf bislang als »streng geschützt«. Künftig sollen die Raubtiere dann nur noch »geschützt« sein. Was nach einer kleinen Änderung aussieht, könnte eine große Wirkung haben: Denn die Lockerung der völkerrechtlich bindenden Konvention ist die Voraussetzung dafür, dass der Schutzstatus anschließend auch in den EU-Naturschutzbestimmungen abgeschwächt werden kann. Damit wäre der Weg für die Jagd auf Wölfe grundsätzlich frei – denn anders als »streng geschützte« Arten dürfen »geschützte« Arten nach den einschlägigen EU-Bestimmungen grundsätzlich bejagt werden.
Bisher ist der Abschuss von Wölfen in den allermeisten EU-Staaten nur in Ausnahmefällen möglich – vor allem dann, wenn es zu einer Häufung von Angriffen auf Nutztiere in bestimmten Gebieten kommt. Allerdings gelten in einigen EU-Ländern bereits Abweichregelungen. So erlaubte Schweden in diesem Jahr die Tötung von 75 Wölfen und in Lettland gilt seit zehn Jahren eine Abschusserlaubnis für 300 Wölfe pro Jahr.
Kommissionspräsidentin sieht »echte Gefahr« durch Wölfe
Ursula von der Leyen begründet ihren Vorstoß damit, dass die Zahl der Wölfe in vielen europäischen Ländern stark zugenommen habe. »Die Konzentration von Wolfsrudeln in einigen Regionen ist zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für Nutztiere«, erklärte sie. »Die lokalen Behörden fordern größere Flexibilität für das aktive Management kritischer Wolfspopulationen.« Dem komme die Kommission nun entgegen.
Um ihre Argumentation zu untermauern, veröffentlichte die EU-Kommission eine neue Analyse der Wolfsbestände in Europa. Demnach haben sich Wölfe gut 100 Jahre nach ihrer weitgehenden Ausrottung in fast allen EU-Mitgliedstaaten wieder fest etabliert. Insgesamt leben in Europa derzeit etwa 20 000 Wölfe. Ihre Zahl nehme weiter zu, was die Konflikte mit der Nutztierhaltung verschärfe, heißt es in dem Dokument. Pro Jahr töteten Wölfe demnach EU-weit etwa 65 000 Nutztiere, fast zwei Drittel davon sind Schafe und Ziegen. Was dramatisch klingt, wird in der EU-Studie selbst allerdings relativiert. Die Zahl der getöteten Tiere entspreche bei einem Bestand von rund 60 Millionen Schafen einem Anteil von lediglich 0,065 Prozent – das ist etwas mehr als ein halbes Promille.
Auch widerspricht das Gutachten der Annahme, dass mehr Wölfe in einer Region automatisch auch zu höheren Verlusten unter Nutztieren führen würden. So sei beispielsweise in einigen deutschen Bundesländern mit sehr hoher Wolfsdichte die Häufigkeit der Angriffe auf Weidetiere in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, heißt es darin. Das liege vor allem an Präventionsmaßnahmen. Damit bestätigt die Analyse die Argumente von Gegnern der Wolfsjagd, die vor allem darauf setzen, die Herden durch Elektrozäune, Schutzhunde oder die Rückkehr zur traditionellen Hüteschäferei mit einem Schäfer zu schützen und so den Mensch-Wildtier-Konflikt zu entschärfen.
Von der Leyen reagiert mit ihrem Plan zum einen auf den Druck von Vertreterinnen und Vertretern der Bauern- sowie der Jagdverbände. Spätestens seit dem vergangenen Jahr hat sie den härteren Kurs gegen Wölfe aber auch persönlich zur Chefinnen-Sache erklärt. Damals hatte ein Wolf eines der Ponys der CDU-Politikerin auf ihrem Hof in Niedersachsen getötet. Zuletzt hatte von der Leyen sich sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, Wölfe seien in einigen Regionen Europas zu einer Gefahr »möglicherweise auch für Menschen geworden«. Ihr wurde daraufhin ungerechtfertigte Panikmache vorgeworfen.
»Mit der Zunahme der Populationen in den vergangenen Jahrzehnten steigt das Risiko, Opfer einer Wolfsattacke zu werden, von sehr, sehr, sehr, sehr gering auf sehr, sehr, sehr gering«John Linnell, Biologe
Führende Wildtierexperten sehen die Gefahr, dass Wölfe Menschen angreifen, als verschwindend gering an. Das Risiko, durch einen Zeckenstich getötet zu werden, sei in Europa wesentlich höher, als Opfer eines Wolfs zu werden, sagt etwa der Biologe John Linnell. Der Forscher am Norwegischen Institut für Naturforschung analysiert seit vielen Jahren Wolfsattacken in aller Welt. Mit der Zunahme der Populationen in den vergangenen Jahrzehnten steige das Risiko, Opfer einer Wolfsattacke zu werden, »von sehr, sehr, sehr, sehr gering auf sehr, sehr, sehr gering«, sagt er. »Die Gefahr für den Menschen verändert sich damit von nahe null auf winzig.« Statistisch sinnvoll berechnen lasse sich das Risiko angesichts der geringen Fallzahl aber nicht.
Dennoch beurteilt auch Linnell den Kommissionsvorschlag positiv. »Aus einer reinen Naturschutzperspektive betrachtet ist es durchaus sinnvoll«, sagt er. »Die Wolfspopulationen nehmen zu, ihr Schutz war ein Erfolg, so dass ein strenger Schutz für viele Populationen nicht mehr notwendig ist.« Die Änderung des Schutzstatus, sobald sich eine Population wieder stabilisiert habe, sei zudem wichtig, um sicherzustellen, dass die Bevölkerung den rechtlichen Schutz generell akzeptiere, erklärt der Forscher.
Ähnlich argumentieren auch die Mitglieder des Deutschen Bauernverbands. Generalsekretär Bernhard Krüsken begrüßte den Kommissionsvorschlag als überfällig. Die Kommission erkenne damit endlich an, dass das Schutzniveau des Wolfs nicht mehr gerechtfertigt sei. »Die Zahlen der Wolfsrisse verdeutlichen die europaweite Dramatik für Weidetierhalter«, betonte Krüsken in einer Mitteilung. Der Zusammenschluss der europäischen Jagdverbände FACE forderte die Umweltministerinnen und -minister der EU auf, das Vorhaben zu unterstützen. Auch müsse nun der Status weiterer großer Beutegreifer wie Braunbär und Luchs überprüft werden, forderte der Verband.
Der Wolf im Fadenkreuz der Wahlkämpfer
Der Streit um den Wolf hat im Vorfeld zahlreicher Wahlen auch eine starke politische Komponente. Europaweit haben rechte und rechtsextreme Parteien ein halbes Jahr vor der Europawahl im Juni 2024 das Thema für sich entdeckt und gehen mit besonders harten Positionen auf Stimmenfang. Nach Untersuchungen von Forschern der Universität Amsterdam schneidet auch die AfD dort besonders gut ab, wo der Streit über den Umgang mit Wölfen besonders heftig ausgetragen wird und es schon einmal zu Wolfsangriffen auf Nutztiere gekommen ist. Ein solcher »Wolfs-Bonus« könnte bis zu fünf Prozentpunkte ausmachen, rechnen die Wissenschaftler vor.
Im Ringen um die Wähler ländlicher Gebiete haben aber auch die Parteien der politischen Mitte ihren Ton gegenüber dem Raubtier in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. In Deutschland steht vor allem Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) seit Längerem unter Druck – nicht nur von Seiten der Opposition. So wandten sich auch führende Koalitionspolitiker, darunter der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, in einem Brief an die Grünen-Politikerin, in dem sie »die Ermöglichung eines europarechtskonformen, regional differenzierten Bestandsmanagements« forderten. Ökologisch erwiesen sie sich dabei allerdings nicht als ganz sattelfest. So argumentierten die Abgeordneten damit, dass bei einer weiteren Ausbreitung des Wolfs besonders schützenswerte Wildtierpopulationen ausgerottet würden. Als Beispiel führten sie ausgerechnet Mufflons an, eine erst im 19. Jahrhundert künstlich nach Deutschland eingeführte Wildschaf-Art, die mittlerweile vielerorts als großes Problem für die natürliche Waldverjüngung angesehen wird.
Deutschland hat, gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere, Platz für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere
Lemke gelang es, mit einer eigenen Initiative die Wolfsdebatte hier zu Lande vorerst etwas zu beruhigen. Das in weiten Teilen von den zuständigen Umweltministern der Länder übernommene Konzept sieht auf der einen Seite »Schnellabschüsse« mit deutlich geringerem Genehmigungsaufwand vor, wenn einzelne Wölfe Schafe, Rinder oder Pferde getötet haben. Im Gegenzug lehnt die Ministerin aber Änderungen am generellen Schutzniveau für die Art weiter ab.
Population in Deutschland wächst nur noch langsam
In Deutschland leben laut aktueller Zählung derzeit 184 Wolfs-Großfamilien. Zusammen mit einzeln lebenden Wolfspaaren ergibt sich eine Zahl von 253 Wolfsterritorien mit rund 1300 Einzeltieren bundesweit. Forscher und Forscherinnen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin haben ausgerechnet, dass Deutschland – gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere – Platz für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere hat. Die neuesten Zahlen belegen aber, dass sich der Anstieg der Wolfsbestände in Deutschland deutlich verlangsamt hat. In den ersten Jahren nach der Wiederbesiedlung im Jahr 2000 war der Bestand noch exponentiell mit einem jährlichen Zuwachs von rund 30 Prozent gewachsen.
Als Nächstes müssen nun die Umweltministerinnen und -minister der EU-Mitgliedstaaten über den Vorschlag der EU-Kommission entscheiden. Erst wenn diese grünes Licht geben, wird er dem zuständigen Gremium der Berner Konvention vorgelegt. Unterstützen dort auch die in dem Abkommen vertretenen Nicht-EU-Staaten den Vorstoß, kann die Kommission die Lockerung des Wolfsschutzes in der EU in Angriff nehmen. Ob die Kommission diese Hürde nehmen kann, ist offen. Immerhin hatten sich die Umweltminister und -ministerinnen aus zwölf EU-Mitgliedstaaten schon zu Jahresbeginn in einem Schreiben zum aktuell geltenden Recht bekannt. »Wir lehnen in einer Zeit der weltweiten Krise der biologischen Vielfalt die Tendenz, den gesetzlichen Schutz des Wolfs zu schwächen, eindeutig ab«, heißt es darin. Auch Steffi Lemke gehört zu den Unterzeichnern. Dagegen hatte das Europaparlament in einer Entschließung im vergangenen Jahr den jetzt von Ursula von der Leyen eingeschlagenen Kurs ausdrücklich unterstützt.
Eine Entscheidung über den weiteren Umgang mit dem Wolf wird es vor der Europawahl aller Voraussicht nach jedoch nicht geben. Das nächste reguläre Treffen des zuständigen Ausschusses der Berner Konvention ist erst für Ende 2024 geplant. Endgültig über das Schicksal des Wolfs entscheiden wird somit wohl erst eine neue Kommission.
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