Wissenschaftliche Publikationen: Die ganze Wahrheit
"Mutation in Gen X ohne Auswirkung" oder "Faktor Y als Ursache für Krankheit Z nicht bestätigt" wird man selten in hochkarätigen wissenschaftlichen Zeitschriften als Schlagzeilen lesen - solche Erkenntnisse werden als Nichtmeldung abgetan, schlicht unter den Teppich gekehrt und so den Forscherkollegen vorenthalten. Dieser unausgewogenen Berichterstattung wollen einige neue Zeitschriften für negative Resultate entgegenwirken.
Publikationen in den Naturwissenschaften sind in der Regel nach folgendem Muster gestrickt: Es wird eine Hypothese aufgestellt, experimentell überprüft und für richtig befunden. So schreiben Wissenschaftler – aber so arbeiten sie nicht. Meistens gelangt die Forschung erst auf erheblichen Irrwegen zum Ziel. Vielleicht erweist sich die Methode als untauglich, die Daten lassen sich im Rahmen der gängigen Modelle nicht erklären, oder sie liefern schlicht ein langweiliges Null-Ergebnis. Negative Resultate sind häufige und zweifelsohne wichtige Schritte im Erkenntnisgewinn, nur werden sie meist verschwiegen.
Dieses Manko im Publikationswesen bekam auch Christian Pfeffer, Wissenschaftler am Dana-Farber Cancer Institute, während seiner Promotionszeit an der Harvard Medical School zu spüren. Lange biss er sich an Experimenten, die einfach nicht funktionieren wollten, die Zähne aus – bis er schließlich auf Konferenzen in der Diskussion mit Kollegen erfuhr, dass diese ähnliche Versuche auch schon erfolglos unternommen hatten. Zu lesen war das nirgends. Hätte er früher davon gewusst, hätte er viel Zeit und Geld gespart.
Aus den Fehlern Anderer lernen
Mit dieser im System begründeten Verschwendung von Ressourcen wollte sich Pfeffer nicht zu Frieden geben. Warum sollte jeder nur aus seinen eigenen Fehlern lernen, wo doch das Lernen aus den Fehlern Anderer viel effektiver und billiger wäre und jedem – auch dem Autor – mit einer öffentlichen Diskussion geholfen würde?
Gedacht – getan. Pfeffer sprach mit Bjorn Olsen, Professor an der Harvard Medical School, und gemeinsam riefen sie die Online-Zeitschrift Journal of Negative Results in Biomedicine ins Leben. "Wir haben es erst im universitären Rahmen aufgezogen, sind dabei aber auf ein so positives Echo gestoßen, dass wir gesagt haben: Lass uns das ausbauen!", erzählt Pfeffer. Mit BioMed Central fand sich ein Herausgeber, der von der Idee leicht zu überzeugen war.
Natürlich hängt der Erfolg einer solchen Zeitschrift stark davon ab, ob sich die Wissenschaftler auf diesen Wandel im Publikationswesen einlassen. Und das ist in einem so kompetitiven Bereich, wie es die Wissenschaft nun einmal ist, ein großer Risikofaktor. "Einige Leute wollen ihre negativen Ergebnisse schon deshalb nicht publizieren, weil sie meinen, dass sie damit der Konkurrenz helfen", erklärt Pfeffer.
Andere halten es schlicht für eine Zeitverschwendung, negative Resultate aufzuschreiben und wiederum Andere sind zu eitel und wollen ihre Misserfolge nicht jedem zugänglich im Internet dokumentiert wissen. Dabei muss man sich mit einer Publikation im Journal of Negative Results in Biomedicine wirklich nicht verstecken. "Wir sind sehr kritisch – mit positiven wie mit negativen Ergebnissen", sagt Pfeffer. Nur etwa fünf Prozent der eingesendeten Manuskripte werden ohne weitere Rückfragen bei den Autoren publiziert.
Einstürzende Dogmen
Außerdem handelt es sich bei negativen Resultaten keineswegs nur um Misserfolge. Auch Beobachtungen, die mit einem Dogma im Konflikt stehen sind – solange kein neues Modell zur Hand ist – negative Resultate. Und gerade solche Beobachtungen können Anlass dazu geben, alte Dogmen in Frage zu stellen und letztendlich über Bord zu werfen.
Barbara McClintock zum Beispiel beobachtete in den 1940er Jahren die Bildung von Farbmustern im Mais und zog Schlüsse, die nicht mit der Vorstellung unveränderbarer DNA in Einklang zu bringen waren. "Die Leute haben ihr ihre Daten nicht geglaubt, und sie hat es lange Zeit nicht publizieren können", erzählt Pfeffer. Dabei hatte McClintock mit diesen Beobachtungen die "springenden Gene" entdeckt, wofür sie später den Nobelpreis erhielt.
"Alte Modelle werden erst abgelöst, wenn die wissenschaftlichen Kollegen dem auch zustimmen. Es braucht viele Daten, die ein Dogma widerlegen, bis es gestürzt wird", erklärt Pfeffer. "Unsere Zeitschrift soll ermutigen, eben solche Daten an die Öffentlichkeit zu bringen."
Wie im Goldrausch
Auch heute sind die Wissenschaften nicht vor Irrtümern gefeit. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat eine Unmenge von Daten produziert, die nun auf Auswertung warten, und neue Studien über den Zusammenhang zwischen Genen und Krankheiten sprießen wie Pilze aus der Erde. Viele Wissenschaftler befinden sich in einer Art Goldrausch, und da wird schon mal unsauber gearbeitet – nur in knapp einem Drittel der Fälle bestätigen sich die Ergebnisse in weiteren Studien.
Die Publikation negativer Ergebnisse tut Not – falsch positive müssen entlarvt werden und der verzerrte Eindruck, dass die meisten Krankheiten klar definierte genetische Ursachen haben, muss relativiert werden. Die Online-Zeitschrift "NOGO" (Journal of Negative Observations in Genetic Oncology) hat sich darauf spezialisiert, negative Resultate in der Genetik von Krebserkrankungen zu publizieren – also genetische Veränderungen, die keinen Krebs verursachen.
Vertuschte Ergebnisse
Auch die jüngsten Nachrichten über unerwartete Nebenwirkungen bestimmter Medikamente weisen auf Irrtümer hin – oder zumindest auf das Fehlen wichtiger (negativer) Informationen. Gerade in der Pharmaforschung spielen allerdings auch Interessenkonflikte eine Rolle, die von Zeitschriften für negative Resultate kaum überwunden werden können.
In mehreren Fällen wurde Pharmafirmen vorgeworfen, Resultate aus klinischen Studien, die ihre Medikamente in einem schlechten Licht erscheinen lassen, unter den Tisch zu kehren. So wurde zum Beispiel ein Teil einer Studie, welche die Nebenwirkungen des Medikaments Celebrex untersuchte, schlicht unterschlagen, um das Medikament besser aussehen zu lassen.
Um diesem Versteckspiel entgegenzuwirken, haben die Herausgeber einiger einflussreicher medizinischer Journale, wie Lancet oder New England Journal of Medicine beschlossen, ab Juli 2005 nur noch Studien zu publizieren, die vorher mitsamt allen positiven wie negativen Teilergebnissen in einer öffentlich zugänglichen Datenbank registriert wurden.
Die Wissenschaft ist so alt wie die Menschheit, und schon immer produzierte sie negative Ergebnisse, die wenig Beachtung fanden. Das Unternehmen Wissenschaft wird immer größer und gerät immer stärker in ein Geflecht verschiedenster Interessengruppen. Vielleicht ist dadurch nun ein Punkt erreicht, an dem negative Beobachtungen ein eigenes Forum brauchen – Zeitschriften für negative Resultate. "Die Unwahrheiten liegen oft nicht in dem, was man sagt", bemerkte schon einst der Philosoph Ludwig Marcuse (1894-1971), "sondern in dem, was man nicht sagt."
Dieses Manko im Publikationswesen bekam auch Christian Pfeffer, Wissenschaftler am Dana-Farber Cancer Institute, während seiner Promotionszeit an der Harvard Medical School zu spüren. Lange biss er sich an Experimenten, die einfach nicht funktionieren wollten, die Zähne aus – bis er schließlich auf Konferenzen in der Diskussion mit Kollegen erfuhr, dass diese ähnliche Versuche auch schon erfolglos unternommen hatten. Zu lesen war das nirgends. Hätte er früher davon gewusst, hätte er viel Zeit und Geld gespart.
Aus den Fehlern Anderer lernen
Mit dieser im System begründeten Verschwendung von Ressourcen wollte sich Pfeffer nicht zu Frieden geben. Warum sollte jeder nur aus seinen eigenen Fehlern lernen, wo doch das Lernen aus den Fehlern Anderer viel effektiver und billiger wäre und jedem – auch dem Autor – mit einer öffentlichen Diskussion geholfen würde?
Gedacht – getan. Pfeffer sprach mit Bjorn Olsen, Professor an der Harvard Medical School, und gemeinsam riefen sie die Online-Zeitschrift Journal of Negative Results in Biomedicine ins Leben. "Wir haben es erst im universitären Rahmen aufgezogen, sind dabei aber auf ein so positives Echo gestoßen, dass wir gesagt haben: Lass uns das ausbauen!", erzählt Pfeffer. Mit BioMed Central fand sich ein Herausgeber, der von der Idee leicht zu überzeugen war.
Natürlich hängt der Erfolg einer solchen Zeitschrift stark davon ab, ob sich die Wissenschaftler auf diesen Wandel im Publikationswesen einlassen. Und das ist in einem so kompetitiven Bereich, wie es die Wissenschaft nun einmal ist, ein großer Risikofaktor. "Einige Leute wollen ihre negativen Ergebnisse schon deshalb nicht publizieren, weil sie meinen, dass sie damit der Konkurrenz helfen", erklärt Pfeffer.
Andere halten es schlicht für eine Zeitverschwendung, negative Resultate aufzuschreiben und wiederum Andere sind zu eitel und wollen ihre Misserfolge nicht jedem zugänglich im Internet dokumentiert wissen. Dabei muss man sich mit einer Publikation im Journal of Negative Results in Biomedicine wirklich nicht verstecken. "Wir sind sehr kritisch – mit positiven wie mit negativen Ergebnissen", sagt Pfeffer. Nur etwa fünf Prozent der eingesendeten Manuskripte werden ohne weitere Rückfragen bei den Autoren publiziert.
Einstürzende Dogmen
Außerdem handelt es sich bei negativen Resultaten keineswegs nur um Misserfolge. Auch Beobachtungen, die mit einem Dogma im Konflikt stehen sind – solange kein neues Modell zur Hand ist – negative Resultate. Und gerade solche Beobachtungen können Anlass dazu geben, alte Dogmen in Frage zu stellen und letztendlich über Bord zu werfen.
Barbara McClintock zum Beispiel beobachtete in den 1940er Jahren die Bildung von Farbmustern im Mais und zog Schlüsse, die nicht mit der Vorstellung unveränderbarer DNA in Einklang zu bringen waren. "Die Leute haben ihr ihre Daten nicht geglaubt, und sie hat es lange Zeit nicht publizieren können", erzählt Pfeffer. Dabei hatte McClintock mit diesen Beobachtungen die "springenden Gene" entdeckt, wofür sie später den Nobelpreis erhielt.
"Alte Modelle werden erst abgelöst, wenn die wissenschaftlichen Kollegen dem auch zustimmen. Es braucht viele Daten, die ein Dogma widerlegen, bis es gestürzt wird", erklärt Pfeffer. "Unsere Zeitschrift soll ermutigen, eben solche Daten an die Öffentlichkeit zu bringen."
Wie im Goldrausch
Auch heute sind die Wissenschaften nicht vor Irrtümern gefeit. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat eine Unmenge von Daten produziert, die nun auf Auswertung warten, und neue Studien über den Zusammenhang zwischen Genen und Krankheiten sprießen wie Pilze aus der Erde. Viele Wissenschaftler befinden sich in einer Art Goldrausch, und da wird schon mal unsauber gearbeitet – nur in knapp einem Drittel der Fälle bestätigen sich die Ergebnisse in weiteren Studien.
Die Publikation negativer Ergebnisse tut Not – falsch positive müssen entlarvt werden und der verzerrte Eindruck, dass die meisten Krankheiten klar definierte genetische Ursachen haben, muss relativiert werden. Die Online-Zeitschrift "NOGO" (Journal of Negative Observations in Genetic Oncology) hat sich darauf spezialisiert, negative Resultate in der Genetik von Krebserkrankungen zu publizieren – also genetische Veränderungen, die keinen Krebs verursachen.
Vertuschte Ergebnisse
Auch die jüngsten Nachrichten über unerwartete Nebenwirkungen bestimmter Medikamente weisen auf Irrtümer hin – oder zumindest auf das Fehlen wichtiger (negativer) Informationen. Gerade in der Pharmaforschung spielen allerdings auch Interessenkonflikte eine Rolle, die von Zeitschriften für negative Resultate kaum überwunden werden können.
In mehreren Fällen wurde Pharmafirmen vorgeworfen, Resultate aus klinischen Studien, die ihre Medikamente in einem schlechten Licht erscheinen lassen, unter den Tisch zu kehren. So wurde zum Beispiel ein Teil einer Studie, welche die Nebenwirkungen des Medikaments Celebrex untersuchte, schlicht unterschlagen, um das Medikament besser aussehen zu lassen.
Um diesem Versteckspiel entgegenzuwirken, haben die Herausgeber einiger einflussreicher medizinischer Journale, wie Lancet oder New England Journal of Medicine beschlossen, ab Juli 2005 nur noch Studien zu publizieren, die vorher mitsamt allen positiven wie negativen Teilergebnissen in einer öffentlich zugänglichen Datenbank registriert wurden.
Die Wissenschaft ist so alt wie die Menschheit, und schon immer produzierte sie negative Ergebnisse, die wenig Beachtung fanden. Das Unternehmen Wissenschaft wird immer größer und gerät immer stärker in ein Geflecht verschiedenster Interessengruppen. Vielleicht ist dadurch nun ein Punkt erreicht, an dem negative Beobachtungen ein eigenes Forum brauchen – Zeitschriften für negative Resultate. "Die Unwahrheiten liegen oft nicht in dem, was man sagt", bemerkte schon einst der Philosoph Ludwig Marcuse (1894-1971), "sondern in dem, was man nicht sagt."
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