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Genetik: Die Geheimnisse des ersten Kopierers

Seit es Leben auf der Erde gibt, reicht selbst die kleinste Zelle eine Abschrift ihrer genetischen Information an ihre Nachkommenschaft weiter. Das uralte Kopierverfahren der Replikation birgt noch immer Geheimnisse, die es nur nach und nach preisgibt. Gerade wurden wieder einige von ihnen enthüllt.
Vier Buchstaben genügen – A, T, C, G –, mehr braucht die Natur nicht, um sämtliche Eigenschaften eines jeden Lebewesens eindeutig festzulegen. Hinter diesen Kürzeln verbergen sich die Basen Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin, die als Nukleotide, die zusätzlich 2-Desoxy-D-Ribose enthalten, über 3',5'-Phosphodiesterbindungen miteinander zur Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA (für die englische Bezeichnung desoxyribonucleic acid), verknüpft sind. In der Reihenfolge der Basen in der DNA sind alle Informationen über alle Bestandteile und Eigenschaften des Lebewesens verschlüsselt – sie ist der genetische Kode des Lebens. Dieses Grundprinzip ist immer das gleiche, egal, ob es sich um eine einzelne Zelle oder einen komplexen vielzelligen Organismus handelt.

Will eine Zelle nun nicht sang- und klanglos aus dem Leben scheiden, muss sie rechtzeitig für Nachwuchs sorgen. Damit dieser ihr auch gleicht wie ein Ei dem anderen, stattet sie ihn mit dem selben genetischen Code aus, den sie auch selbst in sich trägt. Dazu stellt sie eine exakte Kopie der DNA her – die erste Zelle war also der erste Kopierer, den es auf der Erde jemals gab.

Doch wie geht die Zelle dabei vor? Dazu muss man zunächst die DNA genauer betrachten: Sie besteht in der Regel aus zwei Polynukleotidketten, die über eine Verbindung zwischen jeweils zwei Basen miteinander verbunden sind, wobei Adenin nur mit Thymin und Cytosin ausschließlich mit Guanin eine Bindung eingeht. Diesen Doppelstrang gilt es nun zu vervielfältigen. Die Zelle wendet dafür einen einfachen Trick an: Sie zippt den Doppelstrang wie einen Reißverschluss auseinander und synthetisiert an jedem einzelnen Strang einen komplementären Strang. Dabei dienen die Basen der bestehenden Kette als Matrize für die Neuproduktion. So entsteht aus jeder der beiden Teilketten der DNA ein neuer Doppelstrang, dessen Aufbau mit der ursprünglichen Version identisch ist.

So weit das grundlegende Prinzip – doch der Teufel steckt im Detail: Die beiden Polynukleotidketten der DNA haben nämlich aufgrund der 3',5'-Phosphodiesterbindungen eine gegenläufige Polarität. Die Kopiermaschine, die DNA-Polymerase, arbeitet aber nur in eine Richtung: Sie kann neue Bausteine nur an das 3'-Ende der Kette anhängen. Das geht aber nur an einem DNA-Strang, da der andere ja entgegengesetzt ausgerichtet ist. Die Kopiermaschine löst dieses Problem mit einem einfachen Trick: Am verkehrt herum liegenden Strang baut sie – in der ihr genehmen Richtung – zunächst kleine Einzelteile (die so genannten Okazaki-Fragmente) zusammen und verknüpft diese nachträglich zu einer langen Kette.

Das Problem dabei: Dieses Vorgehen der diskontinuierlichen Synthese ist umständlicher als die direkte Kopie der Vorlage am anderen Matrizenstrang und braucht entsprechend länger. Wie gelingt es der Zelle bloß, dass der Replikationsprozess am geöffneten Reißverschluss, der so genannten Replikationsgabel, nicht vollkommen aus dem Lot gerät, sondern an beiden Strängen parallel abläuft? Den Grund dafür fanden nun Antoine van Oijen von der Harvard Universität und seine Kollegen heraus [1].

Die Wissenschaftler studierten dieses Phänomen an der Replikationsmaschinerie eines einfachen und bereits gut untersuchten Modellsystem. Dabei beobachteten sie, dass die Synthese am für die DNA-Polymerase richtig herum liegenden DNA-Strang, dem Leitstrang, in kontinuierlichem Fluss voranschreitet – zumindest solange kein Strang entgegengesetzter Polarität vorhanden ist. Liegen jedoch beide Anteile des DNA-Doppelstranges vor, wird die Synthese am Leitstrang an ganz bestimmten Stellen immer wieder für etwa fünf Sekunden angehalten. Genau während dieses Zeitraumes wird am Folgestrang ein so genannter Primer gebildet. Dies ist ein kurzes DNA-Stück, das als Startermolekül der DNA-Synthese dient. Die Primase, die den Primer synthetisiert, fungiert zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig als Synthesebremse für den Leitstrang. Anschließend wird an beiden Strängen DNA gebildet, wobei der Folgestrang zunächst eine Schleife bildet. Diese wird direkt vor der Synthese des nächsten Primers gelöst.

Die Doppelfunktion der Primase als Produzent des Startermoleküls und gleichzeitiger Bremse für den Leistrang sorgt damit dafür, dass beide Stränge im Endeffekt im Gleichschritt wachsen.

So weit, so gut. Doch was passiert, wenn die Replikationsmaschinerie auf einen Fehler im Matrizenstrang stößt? Denn gelegentlich ist die DNA beschädigt. So kann beispielsweise UV-Licht Löcher in den DNA-Strängen verursachen. Zwar kann die Zelle derartige Mutationen grundsätzlich reparieren, doch manchmal bleiben solche Schäden bestehen. Sie dürfen bei der Replikation aber keinesfalls an die Tochterzelle weitergegeben werden, da diese sich zu einer Krebszelle entwicklen könnte. Ryan Heller von der Cornell Universität und Kenneth Marians von Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York fanden nun heraus, wie die Replikationsmaschinerie mit solchen Fehlern umgeht [2].

Die beiden Forscher stellten eine derartige Situation im Reagenzglas nach und beobachteten was die Kopiermaschine machte. Die blieb nicht etwa an dem in der DNA klaffenden Loch stehen und wartete darauf, dass der Schaden doch bitte behoben werden möge, sondern machte einfach einen großen Schritt darüber hinweg: Sie unterbrach – selbst am Leitstrang – die DNA-Produktion und nahm sie mit Hilfe der Helikase erst hinter der beschädigten Stelle wieder auf. Die Helikase ist zwar eigentlich dafür zuständig, den DNA-Doppelstrang für die Replikation reißverschlussartig aufzuziehen. In diesem Notfall übernimmt sie aber auch schon mal die Aufgabe des Primers.

Mit diesem Verfahren kann die Synthese bei fehlerhafter DNA auch am beschädigten Strang weiterlaufen, sodass die zeitliche Koordination der DNA-Produktion an beiden Strängen nicht aus dem Tritt gerät – allerdings zu dem Preis, dass ein Loch in dem neu synthetisierten Strang verbleibt. Dieses wird möglicherweise später in aller Ruhe von speziellen Enzymen repariert.

Der ganze Aufwand der – möglichst fehlerfreien – Replikation dient, wie gesagt, jeder lebenden Zelle dazu, ihre ganze Erbinformation an ihre Nachkommen weiterzugeben. Nun gibt es aber an der Grenze zum Leben noch eine weitere Existenzform: Die Viren. Zwar verfügen auch diese Winzlinge über genetische Information in Form von DNA oder RNA (Ribonukleinsäure), können diese aber nicht selbst kopieren, sondern bedienen sich dazu der Replikationsmaschinerie einer fremden Zelle.

Der Bakteriophage M13 dringt dazu in Bakterien ein und programmiert deren Kopiermaschine auf die Produktion von Viren-DNA um. Auch in diesem Fall ist ein Startermolekül notwendig, um die DNA-Synthese in Gang zu bringen. Der Primer wird normalerweise von speziellen Enzymen, den Primasen hergestellt. M13 geht dabei allerdings einen etwas anderen Weg, wie Nikolay Zenkin vom Waksman Institut zusammen mit seinen Kollegen herausfand [3].

Priming-Komplex | Das 3'-Ende der RNA ragt aus der RNA-Polymerase frei heraus und kann der DNA-Polymerase als Primer dienen.
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass das Erbgut von M13 eine einsträngige DNA ist. Diese greift sich für ihre Verdoppelung die RNA-Polymerase der Wirtszelle. Dieses Enzym liest normalerweise die Gene der doppelsträngigen Wirts-DNA ab und übersetzt diese in RNA. Da es aber auf den Umgang mit doppelsträngiger DNA spezialisiert ist, kommt es beim Ablesen der einsträngigen Viren-DNA durcheinander und produziert einen langen RNA-Strang, welcher der DNA-Polymerase, die schließlich die virale DNA produziert, als Primer für die DNA-Synthese dient.

Die uralte Kopiertechnik des Lebens, die DNA-Replikation, ist demnach – obwohl im grundlegenden Prinzip immer gleich – alles andere als eine eintönige, ewig einheitliche Sache.

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