Invasionsbiologie: Die Geister, die ich rief
Sie kommen harmlos daher und gehören doch zu den aggressivsten und schädlichsten Invasoren überhaupt: Wo Gräser sich ungehindert ausbreiten, bleibt von der ursprünglichen Vegetation oft wenig übrig. Forscher begaben sich deshalb auf die Suche nach dem wunden Punkt der Eindringlinge - und wurden fündig.
Ausstechen, anzünden, abschneiden – nichts scheint zu helfen. Ganz im Gegenteil: Derart malträtiert treiben sie oft erst richtig aus. Gräser sind zäh und – haben sie einmal Fuß gefasst – nur schwer wieder los zu werden. Einst mit der Absicht eingeführt, in kürzest möglicher Zeit ausgedehnte Weideflächen zu bedecken, überziehen beispielsweise afrikanische Gräser in Brasilien mittlerweile mehr als 426 000 Quadratkilometer des Landes. Doch auch anderenorts gerieten gebietsfremde Grasarten bereits außer Kontrolle.
Forscher um Heather Davis vom Bodega Marine Laboratory in Bodega Bay widmeten ihre Studien in der Willapa Bay in Washington einem besonders widerstandsfähigen Zeitgenossen: dem Schlickgras (Spartina alterniflora). Bei Überflutung bildet sich an den Oberflächen seiner gefurchten Blätter ein Luftfilm, der den Gasaustausch auch im untergetauchten Zustand möglich macht – bis zu 16 Stunden kann das Gras unter Wasser bleiben. Hoch und dicht gewachsen verdrängt es nach und nach erfolgreich andere Salzwiesenpflanzen. Bleibt also nichts anderes, als dem Geschehen tatenlos zuzusehen?
Heather Davis und ihre Kollegen bauten auf die vermeintliche Schwachstelle des Schlickgrases: An der "Invasionsfront" wächst es in äußerst spärlichen Reihen. Erhalten die Pflanzen an vorderster Front möglicherweise zu wenig Pollen und können deshalb nur entsprechend wenige Samen produzieren? Manipulierende Experimente sollten Aufschluss geben.
Zwei Wochen lang nahmen sich die Wissenschaftler den isoliert stehenden Pflanzen an: Einige bestäubten sie per Hand mit einer zusätzlichen Portion Pollen, andere hingegen schlossen sie – so weit möglich – pollendicht ab. Unbehandelte Individuen dienten als Kontrolle. Wo das Gras bereits dichte Matten ausgebildet hatte, wurde eine gleiche Anzahl an Pflanzen denselben Maßnahmen unterzogen. Um zu sehen, wie viele Pollen der Wind transportiert hatte, stellten die Forscher Pollenfallen auf und nahmen zudem entlang eines Luv-Lee-Gradienten die Narben einzelner Graspflanzen unter die Lupe, indem sie den darauf klebenden Pollen absammelten.
Waren die isolierten Pflanzen tatsächlich so isoliert? Anscheinend ja: die Narben der dicht stehenden Pflanzen hatten neun Mal mehr Blütenstaub aufgefangen als die Vorreiter an der Invasionsfront. Pollendicht verpackte Blüten in der geschlossenen Wiese büßten mehr als das 6-Fache ihrer normalen Pollenlast ein – die isolierten Pflanzen hingegen erlitten durch diese Maßnahme keinerlei Verlust. Andersherum verhielt es sich mit den handbestäubten Kandidaten: Nur die einzeln stehenden Gräser konnten von der Sonderzuwendung profitieren. Sie erhöhten ihre Samenproduktion um mehr als das Dreifache. Die eng nebeneinander wachsenden Pflanzen hatten hingegen auch ohne Zutun der Forscher vom Blütenstaub genug.
Die Pollenfallen entlarvten den Wind als entscheidenden Mitspieler. Mit der Entfernung zu den Blütenstaubspendern nahm die Anzahl der gefangenen Pollen deutlich ab – auf den Narben der Pflanzen haftete auf der windabgewandten Seite deutlich weniger des fruchtbaren Staubes.
Und was lässt sich daraus ableiten? Tatsächlich schienen die Vorreiter an der Invasionsfront an akutem Pollenmangel zu leiden. Je weiter ein Individuum vom "Hauptfeld" entfernt war, desto weniger effektiv wurde es bestäubt. Je mehr Pflanzen hingegen in der Nähe waren, desto mehr Pollen lag in der Luft.
Dieser vordergründig einfache Zusammenhang – auch als "Allee-Effekt" bezeichnet – dürfte neue Wege in der Bekämpfung invasiver Grasarten eröffnen, da es zwischen der Einfuhr einer Art und deren flächenhafter Ausbreitung ein Zeitfenster zu geben scheint, in dem die Invasion verlangsamt stattfindet – der ideale Zeitpunkt, um lenkend einzugreifen. Auf der anderen Seite warnen die Erkenntnisse dieser Studie auch zur Vorsicht: Leicht kann die von bestimmten gebietsfremden Arten ausgehende Gefahr unterschätzt werden – dann nämlich, wenn sie gerade in ihrer "verzögerten Phase" beobachtet werden.
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