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Geografie: Die Geisterinseln

Weltweit tummeln sich auf Landkarten Inseln, die nie existierten. Wie kommt es zu derartigen Trugschlüssen? Das Eiland Sandy (1876-2012) aus der Südsee erzählt dies.
eine Insel in der Südsee

Im November 2012 machte die Crew der "Southern Surveyor" eine merkwürdige Entdeckung im östlichen Korallenmeer – einem Abschnitt des Pazifiks zwischen Neukaledonien und Australien: Dort auf etwa 19 Grad südlicher Breite und 158 oder 159 Grad östlicher Länge sollte sich eigentlich eine 24 Kilometer lange und bis zu 5 Kilometer breite Insel befinden – oder zumindest ein Riff, das bis an die Meeresoberfläche reicht, so dass sich dort die Wellen brechen. Sandy Island ist eindeutig auf den Seekarten des Forschungsschiffs eingetragen und findet sich unter dem Namen Sable Island auch im "Times Atlas of the World". Auf Google Earth war sie zwar nicht zu sehen, dafür blickten Interessierte auf ein großes schwarzes Loch im Meer.

Doch Maria Seton von der University of Sydney und ihre Kollegen erblickten – nichts. Mehr noch: Ihre Instrumente, mit denen sie den Meeresgrund der Region vermessen wollten, zeigten konstant Tiefen von 1400 Metern an. Lag eine Fehlfunktion vor? War das Eiland überflutet worden oder sogar kollabiert und in der Tiefe versunken? Vorsichtig näherte sich das Schiff dem fraglichen Abschnitt; alle Crewmitglieder mussten an Deck und den Horizont auf verräterische Zeichen wie schäumende Brandung absuchen, damit ihr Gefährt nicht aus Versehen auf Grund lief. Doch Fehlanzeige: Die Messgeräte funktionierten einwandfrei und belegten im gesamten Umkreis Meerestiefen von 1300 Metern und mehr. Und nichts deutete darauf hin, dass hier jemals eine Insel existierte, denn Setons Team entdeckte keine Spuren wie unterseeische Berge oder alte Riffe.

Und dennoch fand Sandy Island ihren Weg in verschiedenste Kartenwerke – und das schon seit Jahrhunderten, wie die anschließende Spurensuche von Seton und Co zeigte. Ein Bibliothekar aus Neuseeland meldete beispielsweise, dass er das Eiland auf einer Karte aus dem Jahr 1908 gefunden habe, die auf Daten aus dem Jahr 1876 beruhte. Damals hatte der britische Walfänger "Velocity" die Insel angeblich gesichtet und ihre Position mit S19°14'; E159°56’ angegeben. Richtig vertrauten die damaligen Kartografen den Angaben allerdings nicht, wie eine Randnotiz mahnt: "Vorsicht ist angebracht, wenn man zwischen den flachen Inseln des Pazifiks navigiert. Die Details wurden aus den Reisen verschiedenster Vermesser über lange Jahre hinweg zusammengetragen. Die relative Position vieler Gefahren könnte daher vielleicht nicht exakt wiedergegeben werden." Um die Achtsamkeit der Seefahrer zu schärfen und vor möglichen Risiken zu warnen, wurden schon die leisesten Hinweise auf Inseln und Riffe in die Kartenwerke aufgenommen.

Phantominseln überall

Vielfach geschah dies aus gutem Grund: Die Chesterfield-Inseln westlich von Sandy Island beispielsweise gelten als heimtückisches Archipel, denn sie bestehen aus einem Dutzend flacher Koralleninseln, zahlreichen Riffen und Sandbänken, die teilweise noch in Bewegung sind, weil Wind und Wellen Sand verdriften und neu ablagern – auf knapp 900 Quadratkilometern See erstrecken sich nur knapp zehn Quadratkilometer festes Land. Wer hier durchsegelt, muss auf der Hut sein, und viele Seekarten – zumal aus Zeiten vor der Satellitenüberwachung der Erde – berücksichtigen dies: Sie nahmen auch Inseln auf, deren Nachweis vage war und die nur vielleicht da sein könnten.

Trauminsel | Weltweit tummeln sich immer noch Inseln auf Kartenwerken, die gar nicht existieren. Letztes Jahr wurde das Südsee-Eiland Sandy aus den Aufzeichnungen entfernt – rund 140 Jahre nach seiner vermeintlichen Entdeckung.

Weltweit gab und gibt es Dutzende derartiger Phantominseln, die sich teilweise auch immer noch in verschiedensten Karten finden und die zum Teil illustre Namen wie Maria-Theresa-Riff, Nimrod-Gruppe oder Crocker Land tragen. Viele von ihnen wurden einfach erfunden, weil ihre vermeintlichen Entdecker sich davon Ruhm und Besitztümer erhofften, wie der Ritter und Seefahrer João Vaz Corte-Real aus Portugal, der vorgab, die "Terra Nova do Bacalhau" – das "Neue Land des Kabeljaus" – entdeckt zu haben. Das Eiland fand vielfach Eingang in die Kartenwerke des 16. Jahrhunderts, verschwand später aber wieder daraus. Als Belohnung für seinen "Fund" erhielt Corte-Real Besitztitel für Ländereien auf einer Azoreninsel. Einen wahren Kern besaß die Geschichte vielleicht. Denn womöglich hatte der Seefahrer auf einer seiner Expeditionen ab 1473 bereits Neufundland erreicht – 20 Jahre vor Kolumbus' Entdeckung der Neuen Welt. Die atlantischen Gewässer vor Neufundland waren bis vor wenigen Jahren berühmt für ihren Reichtum an Kabeljau, der die Grundlage für Stockfisch bildet.

Wirklich frei erfunden waren dagegen erwiesenermaßen die Inseln Byers und Morrell; Letztere ist benannt nach dem US-amerikanischen Kapitän und enttarnten Hochstapler Benjamin Morrell, der tatsächlich 1825 seinen Fuß auf diese Inseln im Nordpazifik gesetzt haben will. Ihretwegen erhielt sogar die internationale Datumsgrenze eine Delle nach Westen, damit diese Flecken Land im Meer das gleiche Datum tragen konnten wie die südöstlich gelegenen Hawaii-Inseln. Erst 1910 wurde der Fehler nach Hinweisen von Seeleuten bemerkt, die Inseln vielfach von den Landkarten getilgt und die Datumsgrenze an jener Stelle begradigt. Doch selbst noch in den 1970er Jahren brachte eine deutsche Firma Globen mit ebendiesen Phantomen auf den Markt.

Natürliche Täuschungen

Manche Phantominseln entstanden dagegen aus Trugschlüssen, weil tief liegende Wolken oder driftende Eisberge festes Land vorgaukelten, wo keines war. Und wieder andere existierten einst tatsächlich, wurden dann aber überflutet und versanken im Meer. Das könnte zum Beispiel auf die Inselgruppe Tuanaki im Südpazifik zutreffen, die zu den Cook-Inseln gehörten und südlich von Rarotonga gelegen haben sollen. 1842 verfasste ein Seefahrer einen Bericht über seinen sechstägigen Aufenthalt auf dem Archipel, das damals sogar besiedelt gewesen sein soll. 1844 war es dagegen verschwunden, als ein britisches Schiff danach suchte: Angeblich waren die Inseln ein Jahr zuvor als Folge eines heftigen Vulkanausbruchs untergegangen, doch hatten sich wohl immerhin ein paar Überlebende nach Rarotonga retten können. 20 Jahre später jedenfalls stieß ein amerikanischer Schoner in dieser Region auf zwei Felsen, die sich knapp unter der Wasseroberfläche befanden und das Gefährt beschädigten: die Haymet-Felsen. Doch auch sie entzogen sich späteren Nachforschungen, wenngleich zwei französische Schiffe in den 1870er Jahren hier wenigstens noch Untiefen nachwiesen, die mindestens zehn Meter unter Wasser lagen.

Vulkanausbruch im Tonga-Archipel
Spektakuläre, aber riskante Aufnahmen gelangen diesen Schaulustigen während des Ausbruchs eines Unterwasservulkans im Pazifik 2009.

Wie schnell der Auf- und Abstieg von Vulkaninseln gehen kann, zeigen beispielsweise zwei Fälle aus dem Tonga-Archipel und vor der Kanareninsel El Hierro, wo 2009 beziehungsweise 2011 Unterwasservulkane ausbrachen. Sie wuchsen in der Folge rasch in die Höhe, durchbrachen allerdings nicht als Festland die Wasseroberfläche, sondern blieben vom Meer bedeckt. In der Folge trugen Strömungen das lose Material zudem wieder rasch ab, so dass hier die Landkarten nicht neu gezeichnet werden mussten. Für Seeleute in früheren Jahrhunderten bildeten diese Ereignisse aber womöglich reale Eilande ab, die sie in ihren Logbüchern verewigten. Und von dort fanden sie schließlich ihren Weg in den Seefahrtkarten.

Im Fall von Sandy Island verschwanden sie laut den Recherchen von Maria Seton sogar schon in den 1970er Jahren teilweise wieder aus den Verzeichnissen: so etwa 1974 aus den offiziellen hydrografischen Karten des Französischen Hydrografischen Service und 1985 aus entsprechenden australischen Gegenstücken, nachdem verschiedene Tiefenmessungen in der Region nur Tiefsee, aber keine Insel belegten. Davon ausgehend löschten hydrografische Dienststellen weltweit die Phantominsel aus ihren Aufzeichnungen. Nur: Bis zur Wold Vector Shoreline Database sprach sich dieses Vorgehen nicht herum. Diese einfach zugängliche und kostenfreie globale Sammlung an Küstenlinien- und bathymetrischen Daten der US-amerikanischen National Geospatial-Intelligence Agency dient vielen Wissenschaftlern als Maßstab und Grundlage detailgetreuer Meereskarten, in denen folglich Sandy Island weiterhin auftauchte.

Eine schwimmende "Insel"?

Mehrere bathymetrische Datensätze – die Bathymetrie vermisst die Gestalt des Meeresbodens – vermerkten zudem, dass sich hier Land mindestens ein bis zwei Meter über die Wasserlinie erheben müsse. Satellitenmessungen der Oberflächentemperatur des Meerwassers sparten außerdem Sandy Island aus, was viele Forscher ebenfalls als Beleg für festes Land werteten. "Offensichtlich lag hier eine Art Landfilter über den Daten, damit die Wissenschaftler leichter unterschiedliche Algorithmen für ihre Untersuchungen von Wasser und Land verwenden konnten", meinen Seton und Co – eine sich immer wieder selbst erfüllende Prophezeiung also, bis die australische Geowissenschaftlerin und ihre Crew tatsächlich direkt über die Position von Sandy Island schipperten und nichts entdeckten.

Warum aber kamen die Walfänger 1876 überhaupt auf die Idee, dass sich hier im Korallenmeer eine Insel befinden könnte? Ausschließen kann Setons Team, dass sich hier einst eine Vulkaninsel befand, die nach Passage der "Velocity" kollabierte und wieder unterging: Im gesamten näheren Umkreis entdeckten sie keine Hinweise auf geotektonische Aktivität. Dennoch könnte Vulkanismus eine Rolle gespielt haben, so die Australierin. Denn vor etwas mehr als einem Jahrzehnt brach im Tofua-Bogen vor Tonga ein unterseeischer Feuerberg aus, bei dessen Eruption auch große Mengen an Bimsstein entstanden. Dieses Gestein ist sehr porös und leicht, weshalb es auf dem Wasser schwimmen kann. Innerhalb von einem Jahr driftete anschließend ein Bimssteinteppich an der Meeresoberfläche nach Westen Richtung Australien und passierte auf seinem Weg rund 20 Kilometer südlich das Ex-Eiland Sandy Island.

Und im Juli 2012 brach der Vulkan Havre nördlich von Neuseeland aus. In der Folge schwamm ein riesiges, 463 Kilometer langes und bis zu 55 Kilometer breites Bimssteinfloß auf dem Ozean, das sogar von Satelliten erfasst wurde: Es nahm die Fläche Belgiens ein. "Dies war das Bizarrste, was ich in 18 Jahren Seefahrt gesehen habe", äußerte Tim Oscar, der an Bord der neuseeländischen "HMNZS Canterbury" das Schauspiel beobachtet hatte. Gut möglich also, dass auch die "Velocity" einst auf eine derartige schwimmende Insel traf – ohne ihr flüchtiges Schicksal zu ahnen.

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