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News: Die Grenzen verschwimmen

Nerven und Leiterbahnen unterscheiden sich zwar erheblich in Aufbau und Aussehen, doch ihre Funktion ist annähernd gleich - elektrische Signale werden übermittelt. Obwohl das Prinzip sich so sehr ähnelt, ist es doch ein weiter Weg zu einer Technologie, die Nervenzellen und Elektronik auf einem Chip vereint. Wissenschaftler sind diesem Ziel nun einen großen Schritt näher gekommen: Sie ließen auf einem Computerchip Nervenzellen wachsen und beobachteten, wie künstliche Signale vom Chip über die lebenden Zellen zurück zum Chip übertragen wurden.
Es hat etwas von Sciencefiction: Kantige leblose Siliciumchips sind teilweise überdeckt von lebenden Zellen, die offenbar vom darunter liegenden Material Signale empfangen, weiterverarbeiten und an anderer Stelle wieder den Silicium-Schaltkreisen zuführen. Die Grenzen zwischen Organismus und Maschine verschwimmen. Nur eine Zukunftsvision?

Offensichtlich ist eine solche Zukunft nicht allzu weit entfernt, denn Günther Zeck und Peter Fromherz vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried gelang es nun, Nervenzellen mit den elektronischen Bauelementen eines Siliciumchips zu einem funktionsfähigen Netzwerk zu verbinden. Zunächst stellten die Forscher die künstlichen Strukturen her, in die später die Zellen eingebettet werden sollten. Dazu ordneten sie 16 Kontaktflächen auf zwei konzentrischen Kreisen um eine freie Mitte an.

Diese Kontaktstellen übernahmen dabei zwei Funktionen. Zum einen sollten kurze Spannungpulse zwischen zwei paarförmig angeordneten Elektroden die Nervenzellen anregen – der Stimulator; zum anderen befand sich zwischen den beiden Kontakten ein Transistor, mit dem sich die elektrische Aktivität der Zelle messen ließ. Beides zusammen bildete also eine Schnittstelle, über die sich Signale einspeisen und auslesen ließen. Um elektrochemische Prozesse zu vermeiden, überzogen die Wissenschaftler die Schnittstellen außerdem mit einer dünnen isolierenden Schicht aus Siliciumdioxid.

Schließlich wurde jeder dieser Messplätze mit kleinen Kunststoffpfählen aus Polyimid umzäunt, damit die Zellen an Ort und Stelle blieben und nicht über das Substrat wanderten, wie man es bei ähnlichen Experimenten in der Vergangenheit beobachtet hatte. In die derart vorbereiteten Gehege setzten die Wissenschaftler dann schließlich Nervenzellen, die sie vorher den Fuß-Nervenknoten der Schlammschnecke Lymnaea stagnalis entnommen hatten.

Schon bald sprossen ausgehend von den Nervenzellen Neuriten in alle Richtungen. Nach drei Tagen war auf diese Weise ein komplexes Netzwerk in der Mitte der kreisförmig angeordneten Nervenzellen entstanden. Nun konnten die Versuche mit den vernetzten Zellen beginnen.

Die Forscher regten dazu eine Zelle durch kurze Spannungpulse des Stimulators an. Wie Untersuchungen mit einer Glas-Mikroelektrode zeigten, baute sich sofort ein Aktionspotenzial in der Zelle auf, und auch durch den Transistor unterhalb der Zelle floss ein entsprechend größerer Strom. An einem zweiten Neuron, das über Neuriten mit der angeregten Nervenzelle verbunden war, tat sich zunächst nichts. Nach einigen weiteren Spannungspulsen konnte aber auch hier eine Mikroelektrode ein Aktionspotenzial messen, und auch der zugehörigen Transistor vermeldete die erfolgreiche Übermittlung des elektrischen Signals.

Zeck und Fromherz war es damit also gelungen, ein Signal von dem Siliciumchip über zwei Nervenzellen wieder an den Chip weiterzuleiten – kein komplizierter Weg zwar, aber immerhin einer, der durch zwei Welten führt, die der lebenden Materie und die der unbelebten. Damit scheint der Grundstein gelegt für neuartige Biosensoren, für Neuroprothesen oder gar für eine Computer-Technologie, die sich teilweise der biologischen Datenverarbeitung bedient. Bis dahin ist es jedoch immer noch ein weiter Weg, und nach Ansicht der Forscher verbleibt vieles erst einmal im Reich der Sciencefiction.

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