Java: Die Herren der Goldringe
Als Prinz Vessantara aus dem Exil in seine Hauptstadt zurückkehrte, schickten die Götter roten Regen als Ausdruck für ihren Segen und als Versprechen auf Reichtum. Diese Legende verarbeitete ein Bildhauer im 9. Jahrhundert auf Java in einem Relief des Tempels Borobudur, des größten buddhistischen Sakralbaus überhaupt. Im Zentrum der Insel waren zu dieser Zeit Fürstentümer zu Königreichen herangewachsen, in denen Gold eine zentrale Rolle spielte: In Form von Schmuck kennzeichnete es den Adel, als Material für religiöse Bauten und Kunstwerke das Himmlische, als Münzmetall Reichtum und Wirtschaftsmacht. Dementsprechend ließ es der unbekannte Gestalter auf dem Relief in Form von Geldstücken und Ringen herabregnen.
Java gehört zu Indonesien, das mehr als 17 000 Inseln in Südostasien umfasst. Auf die Frühgeschichte Anfang des 1. Jahrtausends folgte eine klassische Periode, in der Hinduismus und Buddhismus dominierten, unterteilt in eine frühe, mittlere und späte Periode (700–929, 929–1200 und 1200–1527). Dabei lag das Zentrum der Herrschaft lange in Zentraljava und verlagerte sich im 10. Jahrhundert nach Ostjava. Nach dem Untergang des letzten großen Königreichs Majapahit endete das hinduistisch-buddhistische Zeitalter, und die islamische Phase begann.
Gold war ein zentrales Element der Hofkultur in klassischer Zeit, wie Artefakte, bildliche Darstellungen und altjavanische Texte zeigen. Vermutlich steigerte seine Beständigkeit gegenüber den andere Materialien zersetzenden Umweltbedingungen seine Wertschätzung. Neben Ringen, die auch als Zahlungsmittel galten, fertigten Kunstschmiede diversen Kopfschmuck, Ketten und Gürtel für den Oberkörper, Ringe für Finger und Arme. Solcher Zierrat wurde zudem bei archäologischen Grabungen gefunden, meist aufbewahrt in einer kupfernen Schatzkiste oder in Keramiktöpfen.
Die Kostbarkeiten einer bestimmten Phase Javas zuzuordnen, gelang bislang aber nur anhand von Stilvergleichen mit bereits datierten Objekten. Das mochten gleichartige Schmuckstücke sein, die bei archäologischen Grabungen zu Tage kamen oder bis in die Kolonialzeit als Erbstücke aufbewahrt wurden. Ähnliche Stilmerkmale finden sich auch auf Reliefs und Statuen, die anhand anderer Kriterien datierbar waren. Viele Artefakte jedoch ließen sich auf diese Weise allein nicht in die Chronologie der Insel einbetten. Insgesamt wissen wir deshalb noch zu wenig über Typologie, Stilgeschichte oder den Gebrauch insbesondere des Goldschmucks. Zudem stoßen Kunsthistoriker an methodische Grenzen, wenn ein Objekt auftaucht, das keine Parallelen zu bekannten aufweist. Ein Problem sind im Übrigen solche ungesicherter Herkunft, wie man sie seit den 1980er Jahren immer wieder auf dem internationalen Antikenmarkt findet. Handelt es sich im Einzelfall um eine Fälschung? Oder ist das Artefakt zwar echt, stammt aber aus Raubgrabungen oder wurde aus einer Ausgrabung gestohlen? Erst kürzlich entdeckte der auf Sulawesi lebende deutsche Archäologe Horst Liebner anhand der Funddokumentation, dass mindestens 20 Prozent eines goldenen Unterwasserschatzes in der Java-See während oder nach der Bergung verschwanden.
Gesucht sind daher Verfahren, um Goldartefakte zu datieren und zu charakterisieren. Inzwischen liegen archäometrische und stilgeschichtliche Studien für altjavanische Finger- und Ohrringe vor, die zum Bestand des Frankfurter Weltkulturen Museums gehören, sowie für hunderte Goldobjekte aus Privatsammlungen der Golden Lotus Foundation Singapore. Die Analysen der Materialzusammensetzung erfolgten am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gGmbH (CEZA) in Mannheim mittels Röntgenfluorenzanalyse und Massenspektrometrie sowie an der Goethe-Universität Frankfurt mit weiteren spektroskopischen Methoden. Die zeitliche Einordnung geschah insbesondere durch 14C-Datierung winziger Kohlenstoffreste, die aus den Belägen einiger Artefakte gewonnen wurden, und anhand stilistischer, das heißt kunsthistorischer Vergleiche.
Gewinnen, reinigen, anreichern
Trotz der Allgegenwart von Gold im klassischen Java gab es auf der Insel selbst nur geringe Vorkommen; es musste also importiert werden. Auch heutzutage gewinnt man es auf Sumatra, Borneo, Sulawesi und Mindanao, sei es als Flussgold, mit einer Schale oder Wanne aus dem Schlamm gewaschen, oder als Berggold in Minen oder Tagebauwerken der von Regenwald bedeckten Hochebenen. Mit Quecksilber wird es von anderen Mineralen getrennt, worauf man noch den Silberanteil verringerte, etwa durch Erhitzen mit Eisensulfat, Salz und Ziegelmehl.
Vor Jahrhunderten dürften die Metallhandwerker diesen Prozess ebenfalls vollzogen haben, es gibt dazu jedoch nur wenige archäologische Belege. Aus einem Schiff, das im 10. Jahrhundert vor Sumatra sank, wurden Goldschmiedewerkzeuge wie Reibsteine, tönerne Schmelztiegel und Ausgussformen geborgen. Ähnliches kam an Orten des Berggoldabbaus auf Sumatra aus dem 12. bis 14. Jahrhundert zum Vorschein – offenbar hat man das Edelmetall durchaus direkt an den Lagerstätten verarbeitet. Das Fragment eines Tontiegels, wie er heutzutage noch zum Aufschmelzen von Gold verwendet wird, entdeckten deutsche Archäologen vor wenigen Jahren in Westsumatra.
Neben- und Spurenelemente im Gold, die sich mittels Röntgenanalytik nachweisen lassen, könnten helfen, den Ursprung des Edelmetalls zu ermitteln. Hier steht die Forschung noch am Anfang, wobei bereits neu entsprechende Daten an einigen Artefakten aus Java erhoben wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass Kupfer ein natürliches Begleitelement von Gold ist, mitunter aber der Schmelze zugegeben wurde. Die Legierung erhält einen roten Farbton und ist härter als Naturgold. Elemente der so genannten Platingruppe sind in Mineralen Gold führender Flüsse enthalten und geraten daher mit in die Schmelze. Insbesondere das Mengenverhältnis des namengebenden Platins zu dem verwandten Element Palladium scheint für die geologische Umgebung der Gewässer charakteristisch zu sein. Demnach entspricht der Rohstoff einiger javanischer Schmuckstücke den auf Bali gefundenen Grabbeigaben der Zeit 200 v. Chr. bis 500 n. Chr. Für die Analyse mit Massenspektrometern muss allerdings eine Probe entnommen und verdampft werden. Das Verfahren wird daher nur selten eingesetzt.
In klassischer Zeit importierte Java nicht nur Gold, sondern trieb mit Produkten daraus seinerseits Seehandel bis nach Ost-, Süd- und Westasien. Schiffe des 10. bis 18. Jahrhunderts, deren Wracks in indonesischen Gewässern gehoben wurden, hatten einst Schmuck und Gefäße aus Gold transportiert, dazu Altgold und Barren von zuvor noch nicht verarbeitetem Edelmetall. So beförderte die »Cirebon« im 10. Jahrhundert mehr als 500 Goldobjekte, dazu hunderte Kilogramm Halbedelsteine wie Quarz und Lapislazuli, um sie in Schmuckstücke einzusetzen. Verschifft wurde, was sich verkaufen ließ: Chinesisches Gold- und Silbergeschirr gelangte deshalb in die südostasiatische Inselwelt, dort gefertigter Goldschmuck fand sich in China.
Java importierte auch Schmucksteine mit eingravierten Namen. Solche in arabischer Kalligrafie, Kufi genannt, stammen aus dem Iran des 8. bis 11. Jahrhunderts, allerdings wurden erst zwei Exemplare beschrieben. Diese hat man offenbar als Vorprodukte erworben und auf Java in Ringe eingesetzt, wie die Untersuchungen des Metalls nahelegen. So war die Legierung mit hohem Goldgehalt für gegossene Ringe der frühen Klassik durchaus gebräuchlich. Auch die Verarbeitung entspricht javanischer Tradition: Die Ringschiene wurde zunächst aus einem Goldblech gefaltet und in die konzentrische Form gehämmert. Der den Stein aufnehmende Kopf ist nur leicht erhaben, dünne Krallen halten den Stein in der Fassung.
Ob solche Schmuckstücke als Siegelringe verwendet wurden, wobei die Kalligrafie den Namen des Ringträgers bezeichnete, oder ob sie wie Amulette Unheil abwehren sollten, lässt sich heutzutage leider nicht mehr ermitteln. Die Gemmen wurden noch Jahrhunderte später in neue, dem gewandelten Zeitgeschmack angepasste Fassungen eingefügt, waren demnach also als geschätzte Antiquitäten weitergegeben worden.
Auf javanesischen Ringen finden sich zudem in Indien gebräuchliche religiöse Symbole wie das vasenähnliche Zeichen der hinduistischen Fruchtbarkeitsgöttin Sri oder das liegende heilige Rind – direkt in Gold gegossen. Vielleicht gab es keine entsprechend gravierten und für den Import geeigneten Steine. Deshalb schufen die Kunstschmiede der Insel ihre eigene Variante. Das Sri-Zeichen kombinierten sie dabei mit einem Ring, der die Form eines Büffelhorns imitierte. Denn der für den Reisanbau unabdingbare Wasserbüffel symbolisierte in dieser Region Südostasiens ebenfalls Fruchtbarkeit. Somit entstand eine neue Gattung Goldringe als identitätsstiftende Schmuckform Javas.
Die Kreativität und technische Raffinesse der Goldhandwerker des klassischen Java gingen mit einem hohen gesellschaftlichen Ansehen einher. Ein Mythos erzählt sogar, der 1222 gekrönte König Ken Angrok des ostjavanischen Reichs Singhosari habe das Edelmetall selbst hergestellt. Das Goldgewerbe war bereits im 9. Jahrhundert so weit ausdifferenziert, dass es Spezialisten für die Anfertigung von Schmuck gab, während andere Gefäße, Goldfäden für Textilien, vergoldete Möbel, Pavillons oder Waffen produzierten. Zudem standen ihnen diverse Techniken zur Verfügung, um das jeweils optimale Ergebnis zu erzielen. Ihre Waren boten diese Experten auf regelmäßig abgehaltenen Märkten an. Vermutlich gaben sie ihre Fertigkeiten ausschließlich an die Söhne weiter – die Goldschmiedekunst war ein gut gehütetes Geheimnis.
Die dem Edelmetall zugeschriebenen Qualitäten gingen weit über seinen Materialwert hinaus. Es symbolisierte göttliche Kraft, Tugend und Schönheit. Der Reichtum eines Herrschers manifestierte sich für jedermann sichtbar in golddurchwirkten Stoffen, vergoldeten Dolchen, Thronsesseln und Booten. Im Palast wurden Dächer und Wände vergoldet, Stufen erhielten Gold- und Silbereinlagen; sogar Hunde wurden damit geschmückt. Selbst die vier Methoden, Gold auf seine Echtheit zu prüfen – mit Hilfe eines Reibsteins, durch Hämmern, Aufschneiden oder Aufschmelzen –, verglich man mit menschlichen Eigenschaften wie Belesenheit, Charakter, Tugend und Wohltätigkeit. Seine Verwandlung beim Schmieden machte nach altjavanischem Verständnis das Wirken höherer Mächte sichtbar. Deshalb beschrieb ein Text des 9. Jahrhunderts den idealen König: »Er solle ewig respektiert werden und den Obersten in der Welt verkörpern. Ihm solle man folgen wie Perlen an einer Kette. Ein Mann von gutem Benehmen ist wie ein solides Ohrgehänge. Die Anbetung Schiwas verewigt sich in einem Kronjuwel« (Zitat gekürzt).
Chemische Analysen von altjavanischem Schmuck verraten, dass Gold, Silber und Kupfer immer miteinander legiert wurden. Unter dem Mikroskop zeigen abgeriebene Ränder einen silbernen Schimmer. Viele kleine Objekte sowie künstlerisch anspruchsvolle Ohrgehänge enthalten bis zu 60 Prozent dieses Edelmetalls, wahrscheinlich wurde Gold aber auf der Oberfläche mit geeigneten Verfahren angereichert. Ob ästhetische Gründe ausschlaggebend waren oder ob man kostbareres Edelmetall sparen wollte, lässt sich nicht sagen.
Mit nur 12 bis 17 Prozent Silber und einem Kupferanteil von 3 bis 5 Prozent formte man einen dank des hohen Goldgehalts weichen Draht, der vielleicht schon im 2., spätestens im 6. Jahrhundert kunstvoll gewickelt oder gedreht wurde. Es gab einfach umwickelte Ringe, aber im 13. oder frühen 16. Jahrhundert auch sehr aufwändig gearbeitete aus mehrfach geflochtenem Kordeldraht und aufgelöteten Goldkügelchen.
Mitunter hat man das Goldgewicht notiert, beispielsweise auf der Rückseite von Schmuckbändern aus fein gearbeitetem Goldblech, zusammen mit Namen und Titeln – die kostbarsten Stücke gehörten offenbar der königlichen Familie. Solche Bänder schmückten den nackten Oberkörper, dienten aber auch als Hüftgürtel, der eine rockartige Bekleidung hielt, wie sie heutzutage noch in Südostasien üblich ist. Sie wurden mit floralen Mustern und eingelegten Halbedelsteinen verziert. Letztere hat man mit Bronzeblechen hinterlegt, deren chemische Analyse die anhand der Motivik und Schrift ermittelte Datierung des Zierrats unterstützt: Solche Bänder gehörten zwischen 700 und 1200 zur Bekleidung der Königsfamilie.
Glücksringe in Tempelritualen
Angesichts einer derart zentralen Rolle in der javanischen Adelsgesellschaft wundert es nicht, dass Goldschmuck verschiedenen Zwecken diente. Im 13. Jahrhundert wurden Hofdamen, die anmutig tanzen, rezitieren und musizieren konnten, mit einem goldenen Ring, Armband oder einer Halskette belohnt. Als höchste Auszeichnung galt ein goldenes Gewand. Demnach zählte bei solchen Gunstbeweisen nicht nur das reine Goldgewicht, sondern auch die ästhetische und technische Leistung des verantwortlichen Kunsthandwerkers.
Tempellisten des 9. bis 11. Jahrhunderts, eingraviert in Stein oder Metall, berichten zudem, so genannte Versöhnungs- oder Glücksringe aus Gold seien zusammen mit Textilien, Geld, Metallwaren oder Waffen von Privatpersonen gestiftet worden, auf dass der Herrscher oder eine Behörde ihnen im Gegenzug Steuern oder Arbeiten für das Heiligtum erlasse. Solche Stücke kennt man von Reliefs und aus Sammlungen. Laut chemischen und kunsthistorischen Analysen stellten sie eine weitere Schmuckklasse dar. Kompakt aus Goldguss gefertigt, waren sie nach der aus Indien übernommenen Gewichtseinheit »masa«, die 2,4 Gramm entsprach, in vier Klassen gestaffelt: Die leichteste wog vier »masa«, die schwerste 16 »masa«, also immerhin um die 38 Gramm. Untersuchungen zur Legierung bestätigen, dass all diese Versöhnungsringe 80 bis 90 Prozent Feingold aufwiesen.
Auch eine besondere Motivwahl kennzeichnet diese Schmuckstücke: Schriftzeichen, das Symbol der Fruchtbarkeitsgöttin Sri, ein Fisch über einer Lotusblüte. Diese Darstellungen waren in die Gussform der Ringe eingearbeitet und – so verraten Mikroskopaufnahmen – mit feinem Ziselierwerkzeug nachgearbeitet worden. Die Motive finden sich ebenso auf Gold- und Bronzemünzen des indischen Chola-Reichs (4. bis 13. Jahrhundert), die über den Seehandel im insularen Südostasien weit verbreitet wurden. Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich javanische Goldschmiede von den Ausdrucksformen eines anderen Kulturkreises inspirieren ließen und sie in die eigene Vorstellungswelt übertrugen, um das künstlerische Repertoire Javas auf höchst qualitätvolle Weise zu erweitern.
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