Erstes Leben: Die Hydrothermalquelle in uns
Wir wissen nicht, wo es geschah oder wie, aber dass es passierte, davon legt unsere Anwesenheit Zeugnis ab. Vor etwas mehr als dreieinhalb Milliarden Jahren entstand irgendwo auf der Erde ein System aus chemischen Reaktionen, das sich selbst unter Energieverbrauch aufrecht erhalten und vervielfältigen konnte. Es hat das bis heute ununterbrochen getan – in den unzähligen Varianten dessen, was wir als Leben bezeichnen.
Wissenschaftler sind sich heute weit gehend einig, dass die Entstehung des Lebens kein unwiederholbarer Glücksfall war, sondern das Ergebnis einer Umwelt, die nach nachvollziehbaren Prinzipien aus zu Beginn recht einfachen chemischen und physikalischen Prozessen im Laufe der Zeit immer komplexere System hervorbrachte. Die genauen Bedingungen, unter denen das geschah, sind jedoch noch strittig.
Kam das Leben doch vom Land?
Nun postuliert ein Team um die Biologen Armen Mulkidjanian und Eugene Koonin [1], das erste Leben sei keineswegs im Meer, sondern in landgebundenen Hydrothermalquellen entstanden – und löste mit dieser Veröffentlichung eine heftige Debatte aus. Denn Darwin hatte zwar einst über den sprichwörtlichen warmen Tümpel als Heimat der ersten Organismen spekuliert, doch in den letzten Jahrzehnten galt unter den meisten Forschern als sicher: Die Wiege des Lebens stand im Ozean.
Dementsprechend stößt die These auch auf Ablehnung. Zu jener Zeit habe es auf der Erde nur sehr wenig festes Land gegeben, zitiert zum Beispiel "Nature" [2] den Biochemiker und Wissenschaftsjournalisten Nick Lane vom University College London, und die hydrothermalen Systeme seien viel zu verstreut und kurzlebig gewesen, als dass sie einen Startpunkt für das Leben hätten abgeben können. Mulkidjanian weist das zurück: "Das einzige was Geologen wirklich sagen können ist, dass es aus jener Zeit Zirkonkristalle gibt, die indizieren, dass Kontinente bereits vor 4.4 Milliarden Jahren existierten, und dass an ihren Rändern schon vor 4.0 – 4.2 Milliarden Jahren Subduktion stattfand." Genaueres wisse man nicht.
Mulkidjanian, der an der Universität Osnabrück über den Energiestoffwechsel von Zellen forscht, stützt seine These auf Parallelen in den Elementhäufigkeiten von diesen Hydrothermalsystemen und dem Innenleben moderner Zellen. Einige Elementen wie Zink, Phosphor und Kalium, die im Stoffwechsel eine herausragende Rolle spielen, sind in normalen wässrigen Umgebungen sehr rar – nicht jedoch in den heißen Quellen, die in der Frühzeit der Erdgeschichte auf den Kontinenten brodelten.
Uralte Erbstücke im Zellplasma
Diese Besonderheit, argumentieren die Autoren nun, sei kein Zufall, sondern uraltes Erbe aller Lebewesen. Diese Idee ist keineswegs neu. Bereits in den 20er Jahren stellten Wissenschaftler fest, dass die Zusammensetzung von Blut und Lymphe erstaunliche Parallelen zum Meerwasser aufweist. Aus dieser Beobachtung entstand die Idee vom "inneren Ozean": Die ersten Vielzeller tragen seit ihrer Entstehung jenes Milieu mit sich herum, an das ihre einzelligen Vorfahren optimal angepasst waren – das Meer.
Mulkidjanian geht nun davon aus, dass Ähnliches auch für das Zellplasma gilt – die Bedingungen im Inneren der Zelle selbst spiegelten die Umgebung wider, in der ihr Urahn entstand. Der Grund dafür seien, erklärt der Osnabrücker Forscher, die ersten Zellmembranen. Sie bestanden aus viel einfacheren Molekülen als die modernen Membranen: Anders als moderne Phospholipide trugen sie wohl nur einen Fettsäurerest und seien deswegen für kleine Moleküle sehr durchlässig gewesen. "Die ionendichte Membran, die wir bei modernen Zellen sehen, können wir als eine Anpassung an andere Umweltbedingungen betrachten. Erst als die ersten Zellen andere Bereiche des Systems besiedelten, brauchten sie dafür dichte Membranen, um angesichts der veränderten Stoffkonzentrationen die optimalen Bedingungen in ihrem Inneren zu bewahren", so Mulkidjanian.
Auch diese einfachen Membranen hätten – das zeigen Experimente – Peptide, Nukleinsäuren und ähnliche organische Verbindungen im Inneren der Protozellen zurückgehalten. Doch sie hätten nicht verhindert, dass Metallionen und kleine Moleküle frei in die Zellen diffundierten. Und so, argumentieren die Forscher, sind die wichtigsten und ältesten Stoffwechselwege auf jene Bedingungen optimiert, die sie einst vorfanden.
Durchlässige Membranen?
Das Argument, Leben sei überhaupt nur dann Leben, wenn es gegenüber der Umwelt abgeschottet sei, lässt er nicht gelten. Es sei vielmehr bekannt, dass Bakterien am schnellsten wüchsen, wenn die Bedingungen in ihrem Inneren und außen gleich seien, so dass sie keine Energie aufwenden müssen, um die Ionenkonzentration in ihrem Cytoplasma optimal zu halten. Unter diesen Bedingungen wüchsen Bakterien sogar in Gegenwart von Entkopplern, die das Membranpotenzial zunichte machen.
Der erhebliche Aufwand, den Zellen heute treiben, um die Konzentrationen der verschiedenen Elemente im richtigen Bereich zu halten, führen die Forscher dementsprechend als zentrales Indiz für ihre These an: Die ersten Zellen hatten demnach nicht die Mittel, seltene Elemente aktiv anzureichern und waren auf das angewiesen, was sie in ihrer Umgebung fanden. Nach Ansicht von Mulkidjanian und Koonin deuten insbesondere die überproportional vorhandenen Elemente Phosphor, Zink und Kalium darauf hin, dass diese Umgebung eine besondere war: Nur vulkanische heiße Quellen an Land, vergleichbar denen im Yellowstone-Nationalpark, hätten eine ähnliche chemische Signatur.
Und die ist recht spezifisch. Über alle Bereiche des Lebens findet man bei den ältesten konservierten Enzymen Mangan und Zink als häufige Kofaktoren, während häufige und vergleichbar leicht verfügbare Elemente wie Eisen nach diesen Analysen erst später hinzukamen. Ein weiteres Rätsel umgibt den Phosphor, eines der wichtigsten Elemente im Energiehaushalt und in Biomolekülen wie der DNA, das jedoch überall sonst extrem selten ist – so selten, dass es absurd erscheint, wie wichtig es für alle Organismen ist.
Hydrothermale Fluide – ein ganz besonderer Saft
Auch das ungewöhnliche Mengenverhältnis von Kalium und Natrium in der Zelle bedarf nach Ansicht von Mulkidjanian und Koonin einer Erklärung: Die beiden Elemente kommen in einer Umkehrung ihrer natürlichen Verteilung vor – die Kaliumkonzentration ist mehrere Größenordnungen höher als sie es in Meerwasser während der Erdgeschichte jemals gewesen ist, und die von Natrium mehrere Größenordnungen geringer. Hinzu komme, dass mehrere der evolutionär ältesten Proteine mit Kalium zusammenwirken, keines dagegen mit Natrium.
Diese Anreicherung von Kalium gegen Natrium findet man im Ozean nicht, denn im Meerwasser ist Natrium um den Faktor 40 häufiger als sein Schwesterelement – und war es auch im Erdaltertum. Kaliumreiche Gesteine der Kontinente jedoch können dieses Verhältnis auf dem Land deutlich verschieben oder sogar umkehren. Die heißen Fluide der hydrothermalen Systeme könnten so all diejenigen Elemente mit sich geführt haben, deren Anwesenheit so schwer zu erklären ist.
Moderne terrestrische Hydrothermalquellen sind allerdings ein sehr lebensfeindlicher Ort, die Bedingungen an terrestrischen Hydrothermalquellen waren im Hadaikum allerdings völlig anders als heute – aus einem einfachen Grund: Es fehlte der Sauerstoff. Heute sind gerade die von den Forschern favorisierten oberen Bereiche hydrothermaler Systeme stark sauer, weil dort Schwefelwasserstoff mit Luftsauerstoff zu Schwefelsäure reagiert. In der Frühzeit der Erde jedoch wären derartige Vorgänge nicht abgelaufen, das Wasser in diesen Systemen hatte wohl einen neutralen pH-Wert. Auch gelöstes Kieselgel hätte sich anders niedergeschlagen, in Form poröser Mineralien wie Zeolithe oder Tone, die mit Sulfiden versetzt waren, die alle drei als der Entstehung von Leben sehr förderlich gelten.
So lässt sich auch der Nobelpreisträger Jack Szostak, Fachmann für Membranen und einer der profiliertesten Forscher auf dem Gebiet der Lebensentstehung, von "Nature" wohlwollend zitieren, geothermal aktive Regionen seien generell ein plausibler Kandidat als Schauplatz des ersten Lebens. Skeptisch äußert er sich allerdings über das Vorgehen von Mulkidjanian und Koonin, aus der Zusammensetzung der Zelle direkt auf die Umwelt zur Zeit der Lebensentstehung zu schließen – insbesondere bestehe im Fall des Kaliums die Möglichkeit, dass dessen hohe Konzentration eine spätere Anpassung der Zellen sei, erklärt er.
Mulkidjanian allerdings lässt sich davon nicht beirren und sucht den Disput mit seinem prominenten Fachkollegen: "Wir haben mit Professor Szostak schon vor einigen Wochen auf einer Konferenz in Texas über dieses Thema diskutiert und werden in Kürze weitere Forschungsarbeiten veröffentlichen, in denen wir uns mit seinen Argumenten auseinandersetzen." Dann geht die Diskussion über den Ursprung des Lebens in eine neue Runde.
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