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Ökoimmunologie: Die Immunabwehr im echten Leben

Das Immunsystem ist in freier Wildbahn starken Schwankungen unterworfen. Ökoimmunologen versuchen hinter die Ursachen zu kommen und dadurch auch besser zu verstehen, wie Krankheitserreger übertragen werden.
Feldlerche

Arne Hegemann hat sich für seine Forschungsarbeiten kein handliches Studienobjekt ausgesucht: Der Biologe von der Universität Groningen untersucht das Immunsystem der quirligen Feldlerche. "Sie ist nicht gerade leicht einzufangen, aber wir müssen das kurz tun, um ihr ein wenig Blut abzuzapfen", sagt Hegemann. Warum gerade die Feldlerche? Und was ist an der Immunabwehr des zwitschernden Wiesenbewohners so interessant?

Feldlerche | Quirliges Untersuchungsobjekt der Umweltimmunologen: die Feldlerche.

Hegemanns Arbeiten fallen in das seit etwa 15 Jahren aufstrebende Forschungsfeld der "Ökoimmunologie", bei der die Körperabwehr frei lebender Tiere in ihrem natürlichen Umfeld untersucht wird. Besonders in den letzten zwei Jahrzehnten hat man zwar sehr viel über die grundsätzlichen Mechanismen des Immunsystems gelernt: wie sich ein Körper vor Infektionserregern schützt, wie Eigenes von Fremdem unterschieden wird oder was die Grundlagen von Allergien und Autoimmunerkrankungen sind. Darüber, welchen Einfluss die Bedingungen in freier Wildbahn auf die individuelle Immunabwehr haben – die Ernährung, Temperatur, Jahreszeit, die Gene, das Geschlecht und die persönliche Infektionsgeschichte –, weiß man jedoch bisher wenig. Denn in der Regel werden immunologische Studien meist mit isolierten Abwehrzellen "im Reagenzglas" oder mit genetisch identischen, wohlgenährten und in sauberen Käfigen gehaltenen Labormäusen durchgeführt [1].

Dabei kann man eigentlich nur durch Untersuchungen vor Ort verstehen, wie die Immunabwehr mit Pathogenen fertig wird, wie sich Infektionskrankheiten ausbreiten, wann oder wodurch möglicherweise auch eine Gefahr für den Menschen besteht und welche Schutzmaßnahmen am besten greifen würden. Aus Erkenntnissen der Ökoimmunologie könnte man auch lernen, warum der Mensch in gewissen Lebenssituationen besonders anfällig für Infekte ist oder warum Impfungen bei dem einen besser, bei dem anderen schlechter anschlagen.

Weil man sich in der immunologischen Forschung jedoch bisher stark auf Mensch und Maus konzentriert hat, sind Untersuchungen an frei lebenden Tieren lange Zeit unmöglich gewesen. Es fehlte schlichtweg an Methoden und Nachweisreagenzien. Doch die Lage bessert sich allmählich. Ökoimmunologen, die die Immunabwehr von Vögeln studieren, können sich das ein oder andere aus der Geflügelforschung borgen, wo man sich ebenfalls mit Infektionskrankheiten und Immunabwehr – besonders von Huhn und Pute – beschäftigt.

Arne Hegemann hat es auf die Feldlerche abgesehen, weil deren Bestand in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist. Als "Teilzieher" verbringen einige Trupps den Winter in Südeuropa, andere bleiben im Norden. Womöglich seien die Daheimgebliebenen wegen einer Nahrungsnot geschwächt und anfälliger für Infekte. Einer geschwächten Immunabwehr könnte eventuell auf die Beine geholfen werden, wenn mehr Stoppelfelder im Winter liegen gelassen und die Vögel ausreichend Futter finden würden, erklärt Hegemann die praktischen Konsequenzen seines Projekts.

"Bisher war man davon ausgegangen, die Immunabwehr der Vögel würde als kostenintensive Körperfunktion stur immer dann heruntergeschraubt werden, wenn andere Vorgänge, wie die Fortpflanzung, Mauser oder auch der Vogelzug, das begrenzte Energiebudget strapazierten", sagt der Biologe. Erste Ergebnisse seiner Gruppe zeigen jedoch, dass die Immunabwehr der Vögel zusätzlich auch von Jahr zu Jahr stark schwankt – wegen der unterschiedlichen äußeren Einflüsse wie dem Wetter, der kursierenden Krankheitserreger und der Verfügbarkeit von Nahrung [2].

Kritisch wird es aber wohl dann, wenn sich durch menschliche Eingriffe in das Ökosystem, etwa auch durch den Klimawandel, die Nahrungssituation, Vogelzugzeiten, Rastmöglichkeiten und Verbreitungsgebiete sehr stark verändern. Dann kann das im Lauf der Entwicklung eingespielte Gleichgewicht zwischen Immunabwehr der Vögel und Krankheitserregern aus den Fugen geraten, das in der Regel ein Fortbestehen beider Parteien, also des Vogels und des Parasiten, garantiert [3]. Die Gefahr dadurch: Alte und neue Erreger könnten sich in tierischen (und menschlichen) Populationen ausbreiten. "Wenn wir intakte Ökosysteme erhalten, bewahren wir auch die menschliche Gesundheit", sagt daher Raina Plowright vom Center for Disease Dynamics an der Pennsylvania State University gegenüber der "New York Times", würde die Umwelt dagegen abrupt verändert, beeinflusse dies das gesamte Lebensgefüge, auch das des Menschen.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig herauszubekommen, wie Krankheiten übertragen werden. "Denn es macht natürlich einen Unterscheid für die Maßnahmen, die ergriffen werden können, ob sich ein Infektionserreger über Zugvögel verbreitet oder die Übertragung per Futter stattfindet", sagt Inge Müller vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Im Winter 2005/2006 war dieses Thema zum ersten Mal massiv in das öffentliche Bewusstsein gerückt, als sich der Vogelgrippeerreger H5N1 von Asien aus nach Europa, Afrika und in den Mittleren Osten ausbreitete.

Wie genau das im Einzelnen geschehen konnte, ob durch Geflügelhandel oder ziehende Vögel, ist umstritten. Für China selbst habe man deutlich zeigen können, dass die Grippe von Entenvögeln auf das Hausgeflügel übertragen wurde, sagt Inge Müller. Viele verschiedene Wasservogelarten können mit Influenzaviren infiziert sein. Einige, etwa die Stockente, zeigen im Gegensatz zu Schwan und Tauchente aber keinerlei Anzeichen einer Erkrankung. Noch unklar ist nun, über welche Distanzen die Wasservögel ihre Last tatsächlich mitnehmen und ob sie Viren während des Vogelzugs überhaupt ausscheiden.

Möglicherweise begünstigt der Vogelzug die Ausbreitung von Krankheiten, weil währenddessen alle Ressourcen für den Flug mobilisiert und die Aktivitäten der Immunabwehr heruntergeschraubt werden. Genauso gut könne, so die Ansicht einiger Forscher, die jährliche Vogelwanderung aber gerade auch zur Senkung des Infektionsrisikos beitragen. Der Vogel entkomme durch den Zug in wärmere Gefilde der Nahrungsknappheit und damit einer Schwächung der Immunabwehr. Und infizierte Vögel würden den langen Flug erst gar nicht überstehen, weshalb schließlich nur eine gesunde Population das Ziel erreicht.

Sonia Altizer von der University of Georgia kritisiert die regelmäßig aufgestellte Behauptung, Zugvögel transportierten Krankheitserreger über weite Distanzen: Dafür gebe es noch viel zu wenig Belege [4]. Als Beispiel dient oft das Westnilvirus, das 1999 erstmals an der Ostküste Nordamerikas auftauchte. Zwischen 1999 und 2010 infizierten sich etwa 1,8 Millionen Menschen mit dem Virus, und Millionen Vögel starben in Amerika an der Infektion, die über Mücken weitergegeben wird. Immer wieder stand auch der Vogelzug im Verdacht. Eine viel wahrscheinlichere Ursache ist laut Experten aber die stärkere Verbreitung mit dem Flugverkehr, der in den Jahren vor 1999 über New York extrem zugenommen hatte [5].

Welche Rolle ziehende Entenvögel bei der Ausbreitung von Krankheitserregern spielen, will Inge Müller mit Hilfe von Stockenten am Bodensee herausfinden. "Die Ente muss mit vielen Erregern kämpfen: Es geht nicht nur um Influenza, sondern auch um die Geflügelcholera oder Entenhepatitis", sagt die Tierärztin. "Wir wollen wissen, wann die Ente mit welchen Erregern belastet ist und wie sie darauf reagiert." Dazu würden einige Tiere in Käfigen gehalten, in die Wildenten ein- und ausfliegen könnten.

An den Methoden zur Bestimmung der Immunfunktion von Stockenten werde noch gefeilt. Geplant sei auch, frei lebende Enten mit "Biologgern" auszustatten, die die Forscher über das Bewegungsmuster der Tiere, die Herzfrequenz und Körpertemperatur informierten. Die Messwerte und das Verhalten des Vogels soll zukünftig mit Immunwerten in Zusammenhang gebracht werden, die die Forscher zuvor im Labor bestimmt haben. Das könnte Aufschlüsse über das Abwehrverhalten im "echten" Leben bringen und darüber, wie und wann Krankheitsübertragungen wahrscheinlich sind.

Gelegentlich erleben Inge Müller und ihre Mitarbeiter dabei echte Überraschungen. Ein Stockentenerpel, von dem man annahm, er sitze das ganze Jahr über am Stadtteich, war kurz entschlossen für acht Wochen nach Sankt Petersburg geflogen. Ob oder welche Krankheitserreger er bei seiner Rückkehr mit im Gepäck hatte, kann die Forscherin noch nicht sagen.

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