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News: Die Jagd nach der Gravitationskonstanten

In der 200 Jahre währenden Jagd nach immer genaueren Werten für die Gravitationskonstante haben Forscher eine weitere Messung hinzugefügt, die frühere Experimente bestätigt, andere wiederum in Frage stellt. Dabei könnten sich hinter den Nachkommastellen wichtige Erkenntnisse über die Natur des Universums verbergen.
Schema zur Messung von G
Erst etwa 100 Jahre nach der Entdeckung des Gravitationsgesetzes durch Newton gelang es Henry Cavendish, die Stärke der Massenanziehungskraft - die Gravitationskonstante G - auf der Erde zu messen. Er bestimmte den Wert auf vier Stellen genau. Heute, über 200 Jahre später, sollten einige Nachkommastellen hinzugekommen sein - müsste man meinen. Doch die Gravitationskonstante gilt immer noch als die am schlechtesten bestimmte Naturkonstante.

Und es kommt noch schlimmer: Die Messungen werden zwar immer genauer, aber zugleich auch widersprüchlicher. So bestimmten Gabe Luther und William Towler 1982 einen Wert, der so genau war, dass er bis heute vom Committee on Data for Science and Technology (C0DATA) zur Verwendung empfohlen wird. Dieser Zahl widersprachen allerdings 1995 veröffentlichte Messungen der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt in Braunschweig: Sie lieferten ein weit höheres Ergebnis bei höherer Genauigkeit. Bis heute blieb dieser Wert umstritten.

Eine neue Ära in der Messung der Konstante G begann 1998, als es Wissenschaftlern gelang, den Wert mit bisher unerreichter Genauigkeit von bis zu 0,05 Promille zu messen. Doch damit ergaben sich erneut neue Widersprüche, denn zwei Arbeitsgruppen – von Jens Gundlach and Stephen Merkowitz von der University of Washington und von Terry Quinn vom Bureau International des poids et mesures (BIMP) in Sevres - gaben mit ähnlich großer Genauigkeit sich gegenseitig ausschließende Resultate bekannt, die aber beide deutlich über dem "CODATA-Wert" lagen.

Als Schiedsrichter in diesem Wirrwarr von widersprüchlichen Ergebnissen werfen jetzt Wissenschaftler der Universität Zürich einen weiteren Wert ins Spiel: Stephan Schlamminger und der kürzlich verstorbene Eugen Holzschuh bestimmten ihn mit einem Experiment, das beispielhaft für den hohen Aufwand und die Sorgfalt ist, welche die Jäger der Gravitationskonstante an den Tag legen müssen.

Dabei war das Prinzip recht einfach: Die Messapparatur bestand aus einem Massekomparator - einer Art senkrecht ausgerichteten Balkenwaage -, der die Gewichtsdifferenz zweier Gewichte zueinander bestimmte. An die Waage wurden auf unterschiedlicher Höhe zwei je ein Kilogramm schwere Test-Massen aus vergoldetem Kupfer oder Tantal gehängt, die durch zwei tonnenschwere, mit Quecksilber gefüllte Stahlzylinder - so genannten Feld-Massen - angezogen wurden. Die Feld-Massen wurden dabei abwechselnd zwischen die beiden oder über und unter den beiden Test-Massen befestigt. Im ersten Fall wurde die obere Test-Masse nach unten und die andere nach oben gezogen. Bei der anderen Einstellung passierte genau das Gegenteil.

Aus dieser scheinbaren Gewichtsdifferenz, welche der Massekomparator registrierte, berechneten die Forscher die Anziehungskraft zwischen den Körpern und daraus schließlich sehr genau die Gravitationskonstante.

So weit die Theorie. Doch die Ausführung erwies sich als schwierig, mussten doch alle störenden Einflüsse wie Temperatur- und Luftdruckschwankungen, mechanische Verformungen oder Einflüsse von Magnetfeldern weitgehend ausgeschaltet werden. Allein um Erschütterungen zu vermeiden, platzierten die Physiker ihr Experiment auf den Boden einer 4,5 Meter tiefen, mit einer dicken Zementschicht ausgekleideten Grube am Schweizer Paul-Scherrer-Institut in Villingen.

Und das Ergebnis des ganzen Experimentes? Der neue Wert von 6,67407·10-11 Kubikmeter pro Kilogramm und Sekunde liegt ebenfalls etwas höher als der "CODATA-Wert" und bestätigt die Ergebnisse von Gundlach und Merkowitz.

Was soll nun der ganze Aufwand und der ganze Streit, wenn es doch nur um ein paar Stellen geht? Nun, diese Erbsenzählerei hat durchaus kosmische Auswirkungen. Denn gerade in astronomischen Maßstäben machen sich winzige Änderungen der Gravitationskonstante sehr stark bemerkbar. Astronomen wären daher sehr dankbar für einen genaueren Wert von G.

Und verbergen sich hinter den Messabweichungen Schlampigkeit der Forscher, noch unbekannte Fehlerquellen oder vielleicht sogar ein Hinweis auf die Gültigkeit der heiß umstrittenen Stringtheorie? Letzteres jedenfalls behaupten Jean-Paul Mbelek und Marc Lachieze-Rey vom Laboratoire du Commissariat à l'Énergie Atomique bei Paris. Sie postulieren Wechselwirkungen zwischen dem Magnetfeld der Erde und der Gravitation, die auch Auswirkungen auf die Gravitationskonstante haben sollten. Ihrer Meinung nach weisen die Messungen von G zwangsläufig Unterschiede auf, weil sie an verschiedenen Orten vorgenommen wurden, an denen das Magnetfeld der Erde unterschiedlich stark ist.

Als die beiden Wissenschaftler daraufhin alle in den letzten beiden Jahrzehnten gemessenen Zahlen überprüften, stellten sie - mit Ausnahme des Braunschweiger Wertes - eine gute Übereinstimmung mit ihrer Theorie fest. Sollte sich das bewahrheiten, dann wäre dies der erste experimentelle Hinweis auf die Gültigkeit der Stringtheorie.

Andere Physiker, wie der Gravitationsexperte Clifford Will von der University of St. Louis, sind da skeptischer: "Die experimentellen Werte nähern sich einander an. In fünf Jahren werden wir einen übereinstimmenden Wert für G haben."

Die Jagd geht also weiter, entweder bis ein einziger einheitlicher Wert gefunden ist, oder bis Forscher Messungen der Gravitationskonstante am Nord- und Südpol vornehmen. Denn dort sollte laut Mbelek die Auswirkungen des Magnetfeldes auf die Gravitationskonstante am größten sein. Vielleicht aber tun sich auf diesem Weg noch ganz andere Überraschungen auf.

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